»Du siehst aus, als wärst du gegen eine Wand gelaufen«, sagte Jason.
»Von was für einer marsianischen Technologie sprechen wir hier eigentlich?«
Er grinste. »Sie ist wirklich sehr clever. Quasibiologisch. Sehr klein. Molekulare autokatalytische Rückkopplungsschleifen mit ins Reproduktionsprotokoll eingeschriebener kontingenter Programmierung.«
»Könntest du das übersetzen?«
»Kleine, winzige, künstliche Replikatoren.«
»Lebendig?«
»In gewissem Sinne ja, lebende Dinge. Künstliche lebende Dinge, die wir ins All schießen können.«
»Und was tun sie dann?«
Sein Grinsen wurde breiter. »Sie fressen Eis und sie scheißen Information.«
4 x 109 n. Chr.
Ich überquerte ein paar Meter festgestampfte Erde, an der in schorfigen Stücken verwitterter Asphalt hing, gelangte zu einer Böschung und rutschte, ziemlich geräuschvoll, auf der anderen Seite hinunter. Mit meinen Hartschalenkoffern, die vollgepackt waren mit Kleidung, handgeschriebenen Aufzeichnungen, Digitaldateien und marsianischen Pharmazeutika, landete ich in einem Entwässerungsgraben, Wasser, so grün wie Papayablätter und so warm wie die tropische Nacht, Wasser, das den vernarbten Mond spiegelte und nach Gülle stank.
Ich kletterte wieder hinauf, versteckte das Gepäck an einer trockenen Stelle der Böschung und kroch bis ganz nach oben, wo ich mich so hinlegte, dass man mich nicht sehen konnte, ich meinerseits aber die Straße, Ibu Inas Betonschachtelklinik und den davor geparkten schwarzen Wagen im Blick hatte.
Die Männer aus dem Auto waren durch die Hintertür eingedrungen. Sie schalteten weitere Lichter ein, wodurch gelbe Quadrate in den Fenstern mit vorgezogenen Jalousien entstanden, aber was sie in dem Gebäude anstellten, konnte ich nicht erkennen. Vermutlich durchsuchten sie es. Ich versuchte zu schätzen, wie lange sie sich drinnen aufhielten, doch offenbar hatte ich die Fähigkeit verloren, Zeit zu berechnen oder sie auch nur auf meiner Uhr abzulesen. Die Ziffern leuchteten wie ruhelose Glühwürmchen, wollten aber nicht lange genug stillstehen, dass ich mir einen Reim darauf machen konnte.
Einer der Männer kam aus der Vordertür, ging zum Auto und ließ den Motor an; der zweite Mann folgte ein paar Sekunden später und sprang auf den Beifahrersitz. Der mitternachtfarbene Wagen fuhr, nachdem er auf die Straße gesetzt hatte, ganz nah an mich heran, die Scheinwerfer strichen über die Berme. Ich duckte mich und blieb still liegen, bis das Motorengeräusch verklang.
Dann überlegte ich, was ich nun tun sollte. Eine nicht leicht zu beantwortende Frage, denn ich war müde — unglaublich müde plötzlich, zu schwach, um aufzustehen. Ich wollte zurück zur Klinik, ein Telefon auftreiben, Ina wegen der Männer im Auto warnen. Aber vielleicht würde En das ja besorgen. Ich hoffte es. Weil ich es nämlich nicht bis zur Klinik schaffen würde. Meine Beine zitterten bei jeglichem Versuch, mich in Bewegung zu setzen. Das war schon mehr als Müdigkeit, das fühlte sich wie Lähmung an.
Als ich wieder zur Klinik blickte, stieg dort Rauch aus den Abzügen im Dach und das gelbe Licht hinter den Jalousien flackerte. Feuer.
Die Männer hatten Inas Klinik angezündet, und es gab nichts, was ich tun konnte, außer die Augen zu schließen und zu hoffen, dass ich nicht sterben würde, bevor mich hier jemand fand.
Ich erwachte vom Gestank des Rauches und von einem leisen Weinen.
Immer noch kein Tageslicht. Aber ich stellte fest, dass ich mich bewegen konnte, wenigstens ein bisschen, mit beträchtlicher Mühe und unter Schmerzen, und ich schien auch mehr oder weniger klar im Kopf zu sein. Also schob ich mich den Hang hoch, Stück für Stück.
Auf der offenen Fläche zwischen mir und der Klinik waren Autos und Leute, Scheinwerfer und Taschenlampen schnitten spastische Bögen in den Himmel. Die Klinik war nur mehr eine schwelende Ruine. Ihre Betonmauern standen noch, doch das Dach war eingestürzt und das Gebäude vom Feuer praktisch ausgeweidet worden. Ich schaffte es, aufzustehen. Ich ging auf das Weinen zu.
Es war Ibu Ina, die weinte. Sie saß auf einer Asphaltinsel, die Arme um die Knie geschlungen. Einige Frauen standen um sie herum, die mir düstere, misstrauische Blicke zuwarfen, als ich näherkam. Doch als Ina mich sah, sprang sie auf und wischte sich die Augen mit dem Hemdsärmel ab. »Tyler Dupree!« Sie rannte auf mich zu. »Ich dachte, Sie wären in den Flammen umgekommen. Verbrannt mit allem andern.«
Sie packte mich, umarmte mich, hielt mich aufrecht — meine Beine waren schon wieder weich geworden. »Die Klinik«, brachte ich heraus. »All Ihre Arbeit. Es tut mir so Leid, ich…«
»Nein«, unterbrach sie mich. »Die Klinik ist nur ein Gebäude. Das ganze medizinische Klimbim kann man ersetzen. Sie dagegen sind einzigartig. En hat mir erzählt, wie Sie ihn weggeschickt haben, als die Brandstifter kamen. Sie haben ihm das Leben gerettet, Tyler!« Sie trat etwas zurück. »Tyler? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Nein, nicht so richtig. Ich blickte an Inas Schulter vorbei zum Himmel. Der Tag brach an. Die alte Sonne ging auf. Der Mount Marapi zeichnete sich vor dem indigoblauen Himmel ab. »Bin nur müde«, sagte ich und schloss die Augen. Ich fühlte, wie meine Beine nachgaben, und hörte Ina um Hilfe rufen. Dann schlafe ich eben noch ein wenig, dachte ich. Es wurden einige Tage daraus.
Aus naheliegenden Gründen konnte ich nicht im Dorf bleiben.
Ina wollte mich während des letzten Abschnitts der medikamentösen Krise pflegen und fand, dass das Dorf mir Schutz schuldete. Schließlich hatte ich Ens Leben gerettet, wie sie beharrlich versicherte, und En war nicht nur ihr Neffe, sondern auf die eine oder andere Weise mit praktisch jedem im Umkreis verwandt. Ich war ein Held. Aber ich war auch ein Magnet, der die Aufmerksamkeit böser Männer anzog, und hätte Ina sich nicht derart ins Zeug gelegt, hätten die kepala desa mich wohl in den nächsten Bus nach Padang gesetzt. So aber wurde ich, zusammen mit meinem Gepäck, in ein unbewohntes Holzhaus gebracht (die Besitzer waren vor einigen Monaten rantau gegangen), bis anderweitige Vorkehrungen getroffen werden konnten.
Die Minangkabau von Westsumatra verstanden sich bestens darauf, den Zumutungen unterdrückerischer Regimes ein Schnippchen zu schlagen. Sie hatten alles überstanden: die Heraufkunft des Islam im sechzehnten Jahrhundert, die Padri-Kriege, den holländischen Kolonialismus, Suhartos Neue Ordnung, die Nagari-Restauration und, nach dem Spin, die New Reformasi und ihre brutale Staatspolizei. Ina hatte mir dazu einige Geschichten erzählt, in der Klinik und hinterher, als ich in einem winzigen Zimmer unter den riesigen, langsam kreisenden Flügeln eines elektrischen Ventilators lag. Die Stärke der Minang, sagte sie, sei ihre Flexibilität, ihr tiefes Verständnis dafür, dass der Rest der Welt nicht so war wie ihr Zuhause und es auch nie sein würde. (Sie zitierte ein Sprichwort der Minang: »Andere Felder, andere Grashüpfer. Andere Teiche, andere Fische.«) Die Tradition des rantau — junge Männer zogen hinaus in die Welt und kehrten reicher oder weiser zurück — habe ein kultiviertes, weltkluges Volk aus ihnen gemacht. Die schlichten Büffelhornholzhäuser des Dorfes waren mit Aerostat-Antennen ausgerüstet, und die meisten hier lebenden Familien empfingen regelmäßig Briefe oder E-Mails von Verwandten aus Australien, Europa, Kanada, den USA.
Es war daher keine Überraschung, dass Minangkabau auch im Hafen von Padang in allen nur denkbaren Funktionen beschäftigt waren. Inas Ex-Mann Jala war einer von vielen im Import/Export-Geschäft, der rantau-Expeditionen zum Bogen und darüber hinaus organisierte. »Jala ist ein Opportunist, und er kann auf kleinliche Weise gemein sein, aber er ist nicht skrupellos«, sagte Ina. »Diane hatte Glück, dass sie auf ihn gestoßen ist, oder vielleicht ist sie einfach eine sehr gute Menschenkennerin. Jedenfalls hat Jala für die New Reformasi nichts übrig.« (Sie hatte sich von ihm scheiden lassen, weil er, so Ina, in der Stadt die üble Gewohnheit entwickelt hatte, mit Frauen von zweifelhaftem Ruf zu schlafen. Er gab zu viel Geld für seine Freundinnen aus, und zweimal hatte er zwar heilbare, aber unschöne Geschlechtskrankheiten mit nach Hause gebracht. Er sei ein schlechter Ehemann, sagte sie, doch kein ausgesprochen schlechter Mensch. Er würde Diane nicht an die Behörden verraten, es sei denn, er würde verhaftet und gefoltert — aber er sei viel zu clever, um sich verhaften zu lassen.)