»Und haben Sie später mit ihm darüber sprechen können?«
»Ja.«
»Und hatte er viel dazu zu sagen?«
»Viel, ja.«
Ich sah zur Bühne. Eine neue saluang-Gruppe hatte sie betreten. Einer der Musiker spielte eine Rabab; er schlug mit seinem Bogen gegen den Bauch des Saiteninstruments und grinste. Es folgte ein weiteres anzügliches Hochzeitslied.
»Ich fürchte, ich habe Sie gerade ein bisschen ausgefragt«, sagte Ina.
»Tut mir Leid. Ich bin immer noch etwas erschöpft.«
»Dann sollten Sie nach Hause gehen und schlafen. Das ist eine ärztliche Anweisung. Mit ein bisschen Glück werden Sie Ibu Diane morgen wiedersehen.«
Wir gingen die laute Straße hinunter, ließen die Feierlichkeiten hinter uns. Die Musik spielte bis fünf Uhr morgens. Ich schlief trotzdem tief und fest.
Der Fahrer des Krankenwagens war ein magerer, wortkarger Mann in der weißen Uniform des Roten Halbmonds. Sein Name war Nijon. Er schüttelte mir mit übertriebener Ehrerbietung die Hand und hielt seine großen Augen auf Ibu Ina gerichtet, während er mit mir sprach. Ich fragte, ob ihn die Fahrt nach Padang unruhig mache. Ina übersetzte seine Antwort: »Er sagt, er habe schon gefährlichere Sachen aus weniger zwingenden Gründen gemacht. Er sagt, es sei ihm ein Vergnügen, einen Freund von Wun Ngo Wen kennen zu lernen. Er sagt, dass wir so schnell wie möglich aufbrechen sollten.«
Also kletterten wir in den Fond des Krankenwagens. An einer der Seitenwände befand sich ein horizontaler Stahlschrank, in dem normalerweise medizinische Ausrüstung gelagert wurde. Außerdem konnte man ihn als Sitzbank benutzen. Nijon hatte den Schrank ausgeräumt, und wir stellten fest, dass es mir möglich war, mich hineinzuzwängen, wenn ich meine Beine in den Hüften und den Knien abknickte und meinen Kopf irgendwie unter die Achsel klemmte. Der Schrank roch nach antiseptischen Mitteln und Latex und war ungefähr so bequem wie ein Affensarg, aber genau dort würde ich mich aufhalten müssen, falls wir an einem Kontrollpunkt angehalten wurden — dazu Ina auf der Bank in ihrem Arztkittel und En auf einer Tragbahre ausgestreckt, in seiner Rolle als KVES-Infizierter. Im heißen Morgenlicht erschien der Plan närrischer, als mir lieb war.
Nijon hatte kleine Keile in die Abdeckung des Schranks geklemmt, sodass ein wenig Luft darin zirkulieren konnte. Trotzdem empfand ich wenig Freude bei der Aussicht, in einen dunklen, heißen Metallkasten zu kriechen. Aber ich musste das gar nicht, jedenfalls vorerst nicht. Die Aktivitäten der Polizei, so Ina, konzentrierten sich auf die neue Schnellstraße zwischen Bukik Tinggi und Padang, und da wir in einem lockeren Konvoi mit anderen Dorfbewohnern reisten, sollten wir rechtzeitig vorgewarnt sein, bevor man uns anhielt. So saß ich also erst einmal neben Ina, während sie eine Tropfinfusion in Ens Armbeuge befestigte — ohne Nadel, nur mit Klebestreifen. En war begeistert von dem Täuschungsmanöver und probte schon mal den Husten, ein tief aus der Lunge geholtes Raucherröcheln, das bei Ina ein ebenso theatralisches Stirnrunzeln hervorrief: »Hast du etwa die Nelkenzigaretten deines Bruders gestohlen?«
En wurde rot. Er habe das lediglich im Interesse einer realistischen Darstellung gemacht, gab er zu verstehen.
»Ach ja? Pass nur auf, dass du dich nicht in ein frühes Grab schauspielerst.«
Nijon schlug die hinteren Türen zu, kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. Unsere holprige Fahrt nach Padang begann. Ina sagte En, er solle die Augen zumachen. »Tu so, als wenn du schläfst.« Nicht lange, und sein Atem ging ruhiger, verwandelte sich schließlich in ein sanftes Schnarchen.
»Er war die ganze Nacht wach von der Musik«, erklärte Ina.
»Trotzdem wundere ich mich, dass er schlafen kann.«
»Einer der Vorzüge der Kindheit. Oder des Ersten Alters, wie die Marsianer sagen — habe ich Recht?«
Ich nickte.
»Sie haben vier davon, stimmt das? Vier Altersstufen, wo wir nur drei haben?«
So war es, wie Ina natürlich sehr genau wusste. Von allen Eigenheiten des Lebens in Wun Ngo Wens Fünf Republiken war dies diejenige, die die terrestrische Öffentlichkeit am meisten faszinierte hatte.
Auf der Erde spricht man in der Regel von zwei oder drei Phasen des Lebens: Kindheit und Erwachsensein, oder Kindheit, Pubertät und Erwachsensein. In manchen Kulturkreisen wird dem hohen Alter noch ein besonderer Status zugedacht. Doch der Brauch der Marsianer war völlig anders und hing mit ihren über Jahrhunderte entwickelten Fertigkeiten in der Biochemie und Genetik zusammen. Sie teilten das Leben in vier Abschnitte ein, die durch biochemisch vermittelte Vorgänge markiert waren: Geburt bis Pubertät war Kindheit; Pubertät bis zum Ende des körperlichen Wachstums und dem Beginn des Stoffwechselgleichgewichts war Adoleszenz oder Jugend; Gleichgewicht bis Verfall, Tod oder radikaler Wandel war Erwachsensein.
Und jenseits des Erwachsenseins das fakultative, das Wahlalter: das Vierte.
Schon vor Jahrhunderten hatten marsianische Biochemiker ein Mittel ersonnen, das menschliche Leben um durchschnittlich sechzig bis siebzig Jahre zu verlängern. Aber die Entdeckung war kein reiner Segen. Der Mars war ein von radikalen Beschränkungen, vom Mangel an Wasser und Stickstoff geprägtes Ökosystem — das Ackerland, das Ibu Ina so vertraut schien, war der Triumph einer überaus avancierten und subtilen Biotechnik, und die menschliche Fortpflanzung unterlag seit Jahrhunderten einer Regulierung, die sich an Kriterien der Nachhaltigkeit orientierte. Gab man der durchschnittlichen Lebenszeit noch einmal siebzig Jahre dazu, beschwor man zwangsläufig eine Bevölkerungskrise herauf.
Auch war die Langlebigkeitsbehandlung selbst weder einfach noch angenehm. Es handelte sich um eine tiefgreifende zelluläre Rekonstruktion. Ein Cocktail aus im Labor erzeugten viralen und bakteriellen Einheiten wurde in den Körper injiziert. Maßgeschneiderte Viren nahmen eine Art System-Update vor, überarbeiteten DNA-Sequenzen, restaurierten Telomere und stellten die genetische Uhr neu, während bakterielle Phagen giftige Metalle und Plaques ausschwemmten und Schäden reparierten.
Das Immunsystem wehrte sich. Die Behandlung glich im günstigsten Fall einer sechswöchigen schweren Grippe, mit Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen und körperlicher Schwäche. Bestimmte Organe verfielen in einen regenerativen Overdrive, Hautzellen starben ab und wurden in rasender Folge ersetzt, Nervengewebe bildete sich spontan und blitzschnell neu.
Es war ein schmerzhafter, erschöpfender Prozess, und mitunter traten negative Nebenwirkungen auf. Die meisten Probanden vermeldeten einen zumindest mittelfristigen Gedächtnisverlust, in einigen wenigen Fällen kam es sogar zu Demenzerscheinungen und irreversibler Amnesie. Das wiederhergestellte, neu verkabelte Gehirn war, kaum merklich, zu einem anderen Organ geworden — und sein Besitzer zu einer anderen Person.
»Sie haben den Tod bezwungen«, sagte Ina.
»Nicht ganz.«
»Allerdings sollte man meinen, dass sie, mit all ihrer Weisheit, imstande gewesen sein müssten, die Sache weniger unangenehm zu gestalten.«
Mit Sicherheit hätten sie die oberflächlichen Beschwerden des Übergangs ins Vierte Alter lindern können. Aber sie hatten sich entschieden, es nicht zu tun. Die marsianische Kultur hatte das Vierte Alter zum Teil ihrer Tradition gemacht, mit allen Konsequenzen: der Schmerz war eine einschränkende Bedingung, eine schützende, vorbeugende Unannehmlichkeit. Nicht jeder wollte ein Vierter werden. Nicht nur, dass der Übergang schwierig war, auch hatten die Marsianer der Langlebigkeit per Gesetz einen gravierenden sozialen Preis abverlangt: Jeder marsianische Bürger hatte das Recht, sich der Behandlung zu unterziehen, kostenfrei und ohne Ansehen der Person, aber es war den Vierten verwehrt, sich fortzupflanzen — die Fortpflanzung war ein den Erwachsenen vorbehaltenes Privileg (seit zweihundert Jahren enthielt der Langlebigkeitscocktail Präparate, die eine irreversible Sterilisation für beide Geschlechter bewirkten). Als Vierter verlor man außerdem das aktive und passive Wahlrecht — niemand wünschte sich einen Planeten, der von ehrwürdigen Greisen zu eigenem Nutzen regiert wurde. Allerdings besaßen alle Fünf Republiken ein Rechtsprüfungsorgan — eine Art Supreme Court —, das ausschließlich von Vierten gewählt wurde. Vierte waren mehr und gleichzeitig weniger als Erwachsene, wie auch Erwachsene mehr und gleichzeitig weniger sind als Kinder: mächtiger und stärker, aber weniger spielerisch; freier, aber eingeschränkter.