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»Psst, nicht am Telefon. Bleiben Sie cool, Dawes.«

»Klar. Krach-Krach-Bumm-Bumm. Das ist gut.« Er lachte.

»Das waren doch Sie, oder?«

»Ihnen würde ich nicht mal meinen zweiten Vornamen sagen.«

Magliore brüllte vor Lachen. »Das ist gut. Sie sind sehr gut, Mr. Dawes. Sie sind zwar ein Spinner, aber wenigstens ein intelligenter. Ich bewundere das.«

»Danke«, sagte er und schluckte ganz intelligent den Rest seines Drinks herunter.

»Ich wollte Ihnen auch noch mitteilen, daß da unten alles nach Plan weiterläuft. Froh und munter.«

»Was?«

Das Glas schlüpfte ihm aus den Fingern und rollte über den Teppich.

»Sie haben natürlich für alles Ersatzmaschinen, Dawes.

Für manche Maschinen sogar doppelten Ersatz. Sie müssen ihre Leute bar ausbezahlen, bis die Bücher wieder in Ordnung sind, aber die Arbeit geht auch so weiter.«

»Sie spinnen.«

»Nein. Ich finde nur, Sie sollten es wissen. Ich hab’s Ihnen ja gesagt, Dawes, manche Dinge können Sie einfach nicht beseitigen.«

»Sie Mistkerl, Sie lügen. Warum rufen Sie einen so armen Mann zu Weihnachten an und erzählen ihm Lügen?«

»Ich lüge nicht. Jetzt sind Sie wieder dran, Dawes. In diesem Spiel werden immer Sie am Drücker sein.«

»Ich glaube Ihnen nicht.«

»Sie armer Spinner.« Magliore schien wirklich Mitleid mit ihm zu haben, und das war das Schlimmste. »Ich glaube, das wird auch für Sie kein gutes Jahr werden«, sagte er und legte auf.

Das war Weihnachten.

26. Dezember 1973

ER fand einen Brief von IHNEN im Briefkasten (er hatte sich angewöhnt, an die Leute von der Stadtverwaltung nur noch in Personalpronomen zu denken, die er sich in Großbuchstaben, in riesigen, zerlaufenden Lettern gedruckt vorstellte, wie sie auf Plakaten von Horrorfilmen zu sehen waren), als wollten SIE ihm bestätigen, was Magliore ihm erzählt hatte.

Er nahm ihn in die Hand, betrachtete den steifen weißen Geschäftsumschlag und empfand dabei so ziemlich alle negativen Gefühle, zu denen der menschliche Geist fähig ist: Verzweiflung, Haß, Angst, Wut, Verlorenheit. Am liebsten hätte er ihn in tausend Stücke zerrissen und in den Schnee geworfen, aber ihm war klar, daß er das nicht tun konnte. Er öffnete ihn, wobei er den Umschlag beinahe in der Mitte durchriß, und stellte fest, daß er sich vor allem betrogen fühlte. Sie hatten ihn angeschmiert. Reingelegt. Er hatte ihre Maschinen und Geschäftsbücher zerstört, und sie waren einfach mit ihrem Ersatzzeug dahergekommen und hatten weitergearbeitet. Ebensogut könnte er versuchen, alleine gegen die chinesische Armee anzukämpfen.

Jetzt sind Sie wieder dran, Dawes. In diesem Spiel werden immer Sie am Drücker sein.

Die anderen Briefe waren alles vorgedruckte Formulare gewesen: Lieber Freund, bald wird ein großer Kran bei Ihnen vorbeikommen und Ihr Haus einreihen. Bereiten Sie sich auf dieses aufregende Ereignis vor. WIR VERSCHÖNERN IHRE STADT!

Aber dieser Brief war nicht von der Baubehörde, sondern vom Stadtrat, und er war ›persönlich‹:

20th Dezember 1973

Mr. Barton G. Dawes

1241 Crestallen Street West

M-——-, W-——

Sehr geehrter Mr. Dawes,

Wir haben in Erfahrung gebracht, daß Sie der letzte Anwohner in der Crestallen Street West sind, der noch nicht umgezogen ist. Wir hoffen, daß sich Ihnen bei der Bewältigung dieses Problems keine besonderen Schwierigkeiten stellen. In unseren Akten befindet sich zwar das Formular 19642-A (die Bestätigung, daß Sie vom Straßenbauprojekt 6983-426-73-74-110 informiert worden sind), aber Ihr Umzugsformular (6983-426-73-73-HC-9OO4) ist uns leider abgängig. Wie Sie sicher wissen, können wir Ihnen ohne dieses Formular keine Entschädigung überweisen. Aufgrund unserer Schätzung von 1973 hat das Anwesen an der Crestallen Street West, Nr. 1241, einen Wert von 63 500 Dollar. Wir sind überzeugt, daß Ihnen die Dringlichkeit dieser Angelegenheit ebenso be-wußt ist wie uns. Nach dem Gesetz müssen Sie bis zum 20. Januar 1974 ausgezogen sein, dem Tag, an dem die Bauarbeiten an der Crestallen Street West planmäßig beginnen sollen.

Wir müssen Sie darauf hinweisen, daß Sie sich aufgrund des Enteignungsgesetzes (L. L. 19452-36) strafbar machen, sollten Sie Ihr Haus bis Mitternacht des 19. Januar 1974 nicht verlassen haben. Wir sind sicher, daß Sie sich darüber im klaren sind, weisen aber der Vollständigkeit halber nochmals darauf hin.

Sollten Sie mit dem Umzug Schwierigkeiten haben, rufen Sie mich doch bitte während der Bürosrunden an, oder besser noch, kommen Sie vorbei, damit wir die Angelegenheit besprechen können. Ich bin sicher, daß sich alles regeln lassen wird. Wir sind gerne bereit, Ihnen in dieser Angelegenheit behilflich zu sein, und Sie werden vor allen Dingen feststellen, wie sehr wir zur Kooperation bereit sind. Inzwischen darf ich Ihnen ein frohes Fest und ein erfolgreiches neues Jahr wünschen.

Mit frdl. Grüßen

John T. Gordon

Für den Stadtrat

JTG/tk

»Nein«, stammelte er. »Das darfst du mir nicht wünschen. Du nicht.« Er zerriß den Brief und warf ihn in den Papierkorb.

An diesem Abend saß er vor dem Fernseher und mußte plötzlich an die Zeit zurückdenken, fast zweiundvierzig Monate war das jetzt her, in der Mary und er entdeckt hatten, daß Gott ein paar Straßenbauarbeiten am Gehirn ihres Sohnes geplant hatte.

Der Arzt hatte Younger geheißen. Hinter seinem Namen war eine Latte von Titeln auf dem Diplom zu lesen gewesen, das an der getäfelten Wand in seinem Büro gehangen hatte.

Das einzige, was er mit Sicherheit verstanden hatte, war, daß Younger Neurologe war, ein Mann, der sich mit Gehirn-krankheiten befaßte.

Er und Mary waren an einem warmen Juninachmittag auf Youngers Bitte hin ins Krankenhaus gekommen, in dem Charlie damals schon seit neunzehn Tagen lag. Younger war ein gutaussehender Mann Mitte Vierzig, der sich mit Golfspielen - ohne einen elektrischen Buggy - fit gehalten hatte.

Seine Haut war tief gebräunt. Aber vor allem hatten ihn die Hände des Arztes fasziniert. Sie wirkten groß und unge schickt, doch wenn er sie über dem Schreibtisch bewegte - ab und zu einen Bleistift aufnehmend, durch seinen Terminkalender blätternd oder einfach mit dem silbernen Briefbeschwerer spielend -, besaßen sie eine geschmeidige Grazie, die ihn beinahe schon abgestoßen hatte.

»Ihr Sohn hat einen Gehirntumor«, hatte er gesagt. Er hatte es ausdruckslos und ohne besondere Betonung gesagt, aber seine Augen hatten sie dabei gemustert, als ob er soeben eine explosive Bombe auf sie losgelassen hätte.

»Tumor«, hatte Mary leise, verständnislos wiederholt.

»Wie schlimm ist es?« hatte er Younger gefragt.

Die Symptome hatten sich während der letzten acht Monate entwickelt. Zuerst die Kopfschmerzen, zu Anfang vereinzelt, dann immer häufiger. Dann sah er manchmal doppelt, was besonders nach den Turnstunden passierte. Und danach, für Charlie äußerst beschämend, das Bettnässen. Sie hatten ihn jedoch erst zum Arzt gebracht, als er auf dem linken Auge vorübergehend blind wurde. Das Auge war plötzlich rot wie ein Sonnenuntergang, der das klare Blau von Charlies Augen zerstörte. Das hatte sie entsetzt. Der Arzt hatte ein paar Tests mit ihm gemacht, und dann waren weitere Symptome gefolgt: Phantomgerüche von geschälten Orangen und gespitzten Bleistiften; vorübergehende Taubheit in der linken Hand; gelegentliche Ausbrüche von kindlichem Unsinn und Obszönitäten.

»Es steht sehr schlimm«, hatte Younger geantwortet. »Sie müssen auf das Schlimmste gefaßt sein. Es läßt sich nicht operieren.«