Einer der Männer, der bisher vorwiegend nur zugehört hatte, meldete sich nun zu Wort. „Ib, du und Alan, ihr habt vor ein paar Minuten beide behauptet, daß Barlennan damit einverstanden gewesen sei, die Menge komplizierten Expeditionsgeräts auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Soviel war mir auch bekannt; aber du, Ib, hast ebenfalls erwähnt, du hegtest an seiner Ehrlichkeit gewisse Zweifel. Beruhen diese Zweifel auf der Tatsache, daß er die Helikopter akzeptiert hat?“
Hoffman schüttelte den Kopf. „Nein. Unsere Argumente, die wir für ihre Verwendung vorbrachten, waren überaus stichhaltig, es überraschte mich lediglich, wie schnell er sich darauf einließ.“
„Aber Meskliniten sind von Natur aus akrophobisch. Der Gedanke des Fliegens muß jemanden, der von einer Welt mit derartiger Gravitation stammt, doch schlichtweg unvorstellbar anmuten.“
Ib lächelte grimmig. „Stimmt. Aber als erstes unternahm Barlennan, nachdem er den Handel mit den Leitern des Unternehmens Schwerkraft zustande gebracht hatte, einen Flug mit einem selbstgebauten Heißluftballon, und zwar in Mesklins Polarzone, wo die Gravitation am höchsten ist. Was Barlennan auch motivieren mag, die Akrophobie ist es nicht. Ich mißtraue ihm nicht regelrecht; doch ich bin unsicher über seine Denkweise, wenn diese etwas vage Formulierung erlaubt ist.“
„Ich denke ähnlich darüber“, warf Aucoin ein.
„Und ich glaube, damit sind wir uns vorerst einig.
Ich schlage vor, uns in, sagen wir: sechs Stunden noch einmal zu besprechen. Inzwischen können wir Überlegungen anstellen, im Kommunikationsraum den Meskliniten zuhören oder mit ihnen reden; jedenfalls etwas, das sich eignet, uns vielleicht neue Anregungen zu liefern. Ihr kennt meine Vorstellungen davon.“
Einer der Wissenschaftler meldete sich nochmals.
„Ich kann nicht anders, ich muß mich immer wieder, wenn eins der Fahrzeuge Schwierigkeiten hat, selbst wenn sie eindeutig natürlicher Art sind, mit der Esket beschäftigen.“
„Ich schätze, so geht es uns allen“, erwiderte Aucoin.
„Je länger ich darüber nachdenke, um so mehr verfestigt sich mein Verdacht, daß sie auf einen intelligenten Widerpart getroffen ist. Immerhin wissen wir, daß es auf Dhrawn anderes Leben gibt als nur das Gesträuch und die Pseudoalgen, die die Meskliniten gefunden haben. Quantitativ widerspräche eine solche Beschränkung den atmosphärischen Verhältnissen; irgendwo muß ein kompletter ökologischer Komplex existieren, und zwar, wie ich vermute, in den wärmeren Regionen.“
„Wie die Tiefdruckzone Alpha.“ Hoffman erweiterte den aufgeworfenen Gedanken. „Ich halte die Möglichkeit, daß eine intelligente Spezies Dhrawn bewohnt, für erwägenswert. Bisher haben wir aus dem Raum keine Spur von ihr entdeckt, und die Meskliniten sind ihr nicht begegnet — vorausgesetzt, die Esket hat es nicht getan; aber siebzehn Milliarden Quadratmeilen sind eine Menge Land. Die Idee ist plausibel, und du bist keineswegs der erste, dem sie geko mmen ist; Easys Angaben zufolge hat auch Barlennan schon daran gedacht, im Verlauf der Debatte um die Esket, aber aufgrund der Ausdehnung unerkundeten Gebiets wollte er keine Suche durchführen.
Selbstverständlich wollten wir nichts erzwingen.“
„Warum nicht?“ fragte Mersereau. „Kämen wir mit Eingeborenen in Kontakt, wie damals auf Mesklin, das Projekt liefe weitaus zügiger! Wir wären nicht mehr so abhängig von… oh!“
Aucoin lächelte düster. „Genau“, sagte er. „Nun haben wir einen Grund, an Barlennans Aufrichtigkeit zu zweifeln. Ich behaupte nicht, er sei ein eiskalter Politiker, der das Leben seiner Leute opfert, um seine Teilhabe am Dhrawn-Projekt zu sichern, aber die Besatzung der Esket war mit Gewißheit ohnehin längst nicht mehr zu retten, als er sich bereit erklärte, die Kalliff nicht auszuschicken.“
„Da ist noch ein anderer Aspekt“, konstatierte Hoff man nachdenklich.
„Welcher?“
„Ich weiß nicht, ob es sich zu erwähnen lohnt, aber die Kwembly steht unter dem Befehl von Dondragmer, seit langer Zeit einer von Barlennans Partnern, und nach herkömmlichen Vorstellungen müßten die beiden sehr eng befreundet sein.
Besteht die Möglichkeit, daß Barlennan sich davon beeinflussen läßt und wider alle Vernunft eine Rettungsaktion einleitet? Diese Raupe ist nicht einfach der Kommandant einer Expedition. Seine Kaltblütigkeit ist eine rein physische Eigenschaft.“
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, erwiderte der Chefplaner. „Schon vor Monaten habe ich mich sehr gewundert, daß er Dondragmer überhaupt auf Erkundung schickte, aber ich habe mich dann nicht weiter darum gekümmert.
Selbstverständlich weiß niemand von uns genug über die mesklinitische Psyche im allgemeinen und Barlennans Motivationen im besonderen, um derartige Dinge in der Planung zu berücksichtigen.
Man muß diese Frage jedoch auf die Liste der unbeantworteten setzen. Unterhalten wir uns noch über die beiden Besatzungsmitglieder, die anscheinend unter der Kwembly eingefroren sind; aber dann müssen wir die Sitzung wirklich beenden.“
„Ein Fusionskonverter kann ein Drahtgebilde ganz nett erhitzen, und Widerstände sind keine besonders komplizierten Gegenstände“, führte Mersereau aus. „Überhaupt wäre Heizgerät auf Dhrawn beileibe nicht fehl am Platze — hätten wir nur…“
„Aber wir haben nicht“, unterbrach ihn Aucoin ungeduldig.
„Du solltest mich ausreden lassen. Trotzdem, die Konverter der Kwembly sind eine gewaltige Energiequelle. Es muß sich doch irgendwelches Metall an Bord befinden, aus dem man Widerstände oder Lichtbogen herstellen könnte. Ob die Meskliniten eine so heikle Angelegenheit zu verwirklichen vermögen, kann ich nicht beurteilen.
Auch ihrer Temperaturverträglichkeit müssen Grenzen gesetzt sein. Immerhin können wir uns ja erkundigen, ob sie schon eine ähnliche Idee hatten.“
„Du übersiehst eins. In den Fahrzeugen gibt es kaum Metall, und ich wäre überrascht, würde mesklinitisches Tauwerk sich plötzlich als leitfähig erweisen. Aber ich bin nicht dagegen, daß wir Dondragmer fragen. Easy ist wahrscheinlich noch im Kommunikationsraum; sie kann dir helfen, falls erforderlich. Und jetzt machen wir Schluß.“
Mersereau nickte, während er bereits zur Tür ging, und die Versammlung löste sich auf. Aucoin folgte ihm, wogegen die übrigen Personen den Raum durch andere Türen verließen. Nur Hoffman blieb am Tisch zurück.
Sein Blick war grüblerisch und sein Gesicht auf eine Weise nachdenklich verzogen, die ihn älter als seine vierzig Jahre wirken ließ.
Er mochte Barlennan. Dondragmer mochte er, wie seine Frau, sogar noch mehr. Er hatte nicht den leisesten Anlaß, den Ablauf des Dhrawn-Projekts zu bemängeln. Abgesehen von jenem Erpressungsmanöver vor einem halben Jahrhundert gab es keinen konkreten Grund, dem mesklinitischen Kapitän zu mißtrauen. Den Menschen die hypothetische Existenz von Eingeborenen vorzuenthalten, dafür konnte es einfach kein Motiv geben, ganz gewiß nicht.
Barlennan würde klar sein, daß die Umstände, die es den Menschen bereiten mußte, solchen Geschöpfen, falls sie existierten, die Durchführung des Forschungsprojekts zu übertragen, es lediglich stark verzögern und seine Auftraggeber deshalb darauf verzichten würden.
Die gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und den Meskliniten ließen sich als unbedeutend einstufen. Dergleichen geschah zehnmal häufiger zwischen Menschen und Drommianern. Nein, es gab keine Berechtigung zu der Annahme, daß die Meskliniten bereits eigenen, von den menschlichen Plänen unabhängigen Absichten nachgingen.
Dennoch, Barlennan hatte keine Helikopter gewollt und sie erst nachträglich akzeptiert; derselbe Barlennan, der, kaum daß er sich einige wissenschaftliche Kenntnisse angeeignet hatte, einen Heißluftballon baute und ihn flog.