Die Gemütshaltung, in der er sich dabei befand, ließ sich für menschliche Vorstellungen nicht exakt beschreiben. In menschlichem Sinne war er weder geduldig noch ungeduldig. Er wußte, daß Warten bisweilen unvermeidlich war, und wurde durch diese Unbequemlichkeit emotional so gut wie gar nicht gerührt. Er war, sowohl nach menschlichem wie auch mesklinitischem Durchschnitt, ziemlich intelligent und fantasievoll, aber er kannte keinerlei Bedürfnis, sich das Warten durch irgendwelche Tagträumereien zu erleichtern oder zu verkürzen.
Eine halbbewußte mentale >Uhr< veranlaßte ihn zur regelmäßigen Beachtung der Fortschritte des Schmelzprozesses. Besser konnte man den mentalen Zustand des Meskliniten während des Wartens nicht umschreiben.
Selbstverständlich schlief er weder noch war er unachtsam, denn als ein plötzliches Rumpeln und ein Kollern von Steinen erfolgte, reagierte er prompt. Die Stelle, an der er lag, befand sich nicht weit von der rotierenden Walze entfernt, so daß ihm sofort klar wurde, was geschehen sein mußte.
Beetchermarlf erfaßte es nicht weniger rasch, und schneller, als je ein Mensch zu handeln vermocht hätte, unterbrach er die Energiezufuhr. Die beiden Meskliniten trafen sich zwei oder drei Sekunden später neben der Walze, die nun zum Stillstand kam.
Sie war inzwischen in äußerst schlechter Verfassung. Das Walzenmaterial war überaus strapazierfähig, und unter normalen Fahrtbedingungen wäre sie noch viele Monate lang unbeeinträchtigt geblieben; doch rücksichtslose Rotationsreibung auf der Stelle, auf steinigem Untergrund, beanspruchte das Material doch zu stark.
Die Steine, über denen die Walze rotiert war, hatten sich unter der Einwirkung der Rotation erheblich abgeflacht. Nach sorgfältiger Untersuchung konstatierte der junge Steuermann, daß weniger die oberflächliche Reibung als ein vormals runder Stein, den die Walzenrotation innerhalb etwa einer Stunde zu einem messerscharfen Gebilde zurechtgeschabt hatte, die Ursache des Walzenausfalls war. Takoorch pflichtete ihm bei; der tiefe Schlitz, der rund um die Walze verlief, war nur zu eindeutig.
Es gab keine Frage, was zu tun sei, und sie taten das Machbare sofort. In weniger als fünf Minuten entfernten sie den Konverter aus der Fahrwerkeinheit und installierten ihn in die benachbarte Walze, die infolge der Entleerung der Gaszelle ebenfalls von der Überbelastung befreit worden war. Beetchermarlf warf die Maschine ohne Zögern an; es kümmerte ihn nicht, daß unter Umstä nden auch diese Walze beschädigt werden konnte.
Takoorch war mittlerweile ziemlich unbehaglich zumute. Der Ausfall der Walze hatte seinen Optimismus ganz erheblich gedämpft, und er bezweifelte, ob die andere lange genug durchhalten würde, um ihnen einen Weg ins Freie zu tauen.
Nach ein paar Minuten angestrengten Überlegens kam ihm der Gedanke, daß eine Konzentration erwärmten Wassers auf eine Stelle den Schmelzprozeß in eine bestimmte Richtung beschleunigen könne, und er trug diese Idee seinem Gefährten vor. Beetchermarlf ärgerte sich, daß ihm dies nicht schon längst eingefallen war. Während der folgenden halben Stunde schichteten die beiden einen Steinwall auf, der ihre Wärmequelle zum Hohlrauminnern abschirmte und das Warmwasser, das die Walzenrotation aufwühlte, teilweise gegen die Eisbarriere leitete. Takoorch sah seine Erwartung zufriedenstellend erfüllt; das Eis auf der Steuerbordseite der Kwembly wich nun rascher.
Natürlich war er nicht gerade glücklich. Ihm schien es kaum wahrscheinlicher als Beetchermarlf, daß diese Walze die überhöhte Beanspruchung länger ertragen würde als die andere; falls sie sich verschliß, bevor es einen Weg nach draußen gab, ließ sich wohl kaum noch etwas zu ihrer persönlichen Rettung unternehmen. In einer solchen Situation vermochte mancher Mensch sich gelassen hinzusetzen und darauf zu hoffen, daß Freunde ihm zu Hilfe eilten, und an diese Hoffnung konnte er sich bis zum letzten Augenblick klammern. Die me ntale Konstitution nur weniger Meskliniten neigte zu dieser Haltung, und die beiden Steuermänner zählten nicht dazu. Das Stennish kannte ein Wort, das Easy stets mit >Hoffnung< zu übersetzen pflegte, doch in Wahrheit stimmten die beiden Begriffe doch nicht ganz überein.
Takoorch jedenfalls, von seiner nicht einwandfrei definierbaren Stimmung dazu bewegt, bezog zwischen der rotierenden Walze und dem schmelzenden Eis Stellung und beobachtete beides.
Beetchermarlf behielt wiederum den Motorblock unter Aufsicht.
Da sie unter dieser Walze den Untergrund nicht ausgehöhlt hatten, waren die Reibungsintensität und die Wärmeentwicklung diesmal stärker, folglich kam es auch zu einem schnelleren Verschleiß der Walzenbereifung. Das Rumpeln, das die Zerstörung des Belagmaterials begleitete, ertönte bereits eine erschreckend kurze Zeitspanne nach Fertigstellung des Steinwalls.
Wieder reagierten die beiden Meskliniten sofort und gleichzeitig, ohne sich zu verständigen.
Beetchermarlf deaktivierte den Konverter und verließ eilends den Motorblock; Takoorch erreichte die Eisbarriere nur deshalb früher, weil er bloß die halbe Strecke zurückzulegen hatte. Beide begannen mit ihren Messern wie rasend die frostige Oberfläche zu bearbeiten; sie wußten, daß sie sich nahe an der Steuerbordseite der Kwembly befanden. Vielleicht würden ihre Messer, bevor der Gefrierprozeß erneut einsetzte, die restliche Eisschicht durchbrechen können…
Takoorchs Klinge zerbrach innerhalb der ersten Minute. Einige der Menschen im Satelliten hätten sich sehr für die Laute interessiert, die der Steuermann daraufhin ausstieß, aber nicht einmal Easy Hoffman wäre es gelungen, sie zu deuten.
Beetchermarlf unterbrach die Äußerungen des anderen mit einer Geste. „Bleib hinter mir und bewege dich so schnell, wie du es vermagst, damit das Wasser sich nicht beruhigt. Ich kratze weiter.“
Der ältere Steuermann gehorchte; mehrere Minuten verstrichen, in denen man kein Geräusch außer dem Scharren der Klinge vernahm.
Beetchermarlf kam voran, aber es war offensichtlich, daß die Arbeit, da das Wasser abkühlte, sich wieder erschwerte. Keiner der beiden wußte es, aber tatsächlich war der einzige Grund, aus dem das Wasser in ihrem Gefängnis so lange in flüssigem Zustand geblieben war, daß das Einsetzen des Gefrierprozesses rings um die Kwembly das Entweichen des Ammoniaks aus dem Bereich unter ihrem Rumpf unterbunden hatte. Das Eis unter dem Fahrze ug bildete sich lediglich, da nach und nach winzige Ammoniakmengen zwischen den Eiskristallen durchsickerten. Der Captain hätte allerdings auch in Kenntnis dieser Sachlage nicht mehr für seine beiden unter dem Rumpf gefangenen Steuerleute tun können. Und Beetchermarlf, hätte man ihn in diesem Moment informiert, würde nicht ernsthaft darüber nachgedacht haben; er war viel zu beschäftigt. Sein ganzes Trachten richtete sich ausschließlich darauf, mit der Klinge so viel Eis wie möglich zu lösen, ohne zu riskieren, daß sie brach.
Aber sie brach. Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls besaß der Messergriff, den er mit seinem rechten vorderen Zangenpaar hielt, plötzlich keine Klinge mehr, und das Bruchstück, das vor ihm lag, ließ sich von seinen Zangen nicht besser handhaben als eine bloße Klinge von menschlicher Hand.
Verärgert warf er den Griff beiseite, und da er sich unter Wasser befand, war ihm nicht einmal das Vergnügen vergönnt, einen heftigen Aufprall zu hören.
Takoorch begriff sofort. Sein Kommentar, hätte man ihn sechs Millionen Meilen über Dhrawns Oberfläche vernommen, wäre als zynisch ausgelegt worden, doch Beetchermarlf faßte ihn nur als zutreffend auf.
„Hältst du es für besser, hier unter der Steuerbordseite einzufrieren, oder sollen wir uns unter die Rumpfmitte begeben? Der Zeitunterschied wird nicht groß sein, schätze ich.“