Benj nahm sich nicht die Zeit zu erklären, daß er beileibe kein Geschwätz im Sinn hatte. Er schaltete sein Mikrofon auf Dondragmers
Brückenkommunikator um und begann zu sprechen. „Don, hier ist Benj Hoffman. Wie ich sehe, läßt du deine Matrosen Eis hacken. In euren Krafteinheiten steckt eine Menge Energie, mehr als alle Meskliniten innerhalb eines Jahres mit ihren Muskeln erzeugen können. Haben deine Wissenschaftler schon einmal daran gedacht, euren Bohrer mit Konverterenergie anzutreiben oder diese irgendwie in Wärme umzuwandeln? Ferner, räumen deine Matrosen lediglich Eis oder versuchen sie, unter den Rumpf an Beetchermarlf und Takoorch heranzukommen? Ich weiß, wie wichtig es ist, die Kwembly wieder flottzumachen, aber das Eis unter dem Rumpf muß ohnehin entfernt werden. Ich halte es für möglich, daß einiges von dem Wasser unter dem Fahrzeug noch nicht gefroren ist und daß deine beiden Steuerleute darin überlebt haben. Grabt ihr gezielt Tunnel oder pickt ihr nur im Eis herum?“
Einige der Zuhörer runzelten bei dieser Wortwahl die Stirn, aber niemand unterbrach den Jungen oder äußerte sich dazu. Die meisten sahen nur fragend oder prüfend zu Easy hinüber und entschieden sich, nichts zu sagen, das als Kritik an ihrem Sohn hätte ausgelegt werden können. Manche beschäftigten sich sowieso mit den gleichen Fragen, hatten sich jedoch nicht überwinden können, sie in Anwesenheit der anderen zu stellen.
Wie üblich bei den Gesprächen zwischen den Satelliten und Dhrawn besaß nun auch Benj genug Zeit, während er die Antwort erwartete, darüber nachzudenken, welche anderen Dinge er noch hätte sagen oder wie er die gesagten hätte besser formulieren kö nnen. Die Mehrzahl der im Kommunikationsraum anwesenden Zuhörer kannten diese Überlegungen nur zu gut aus eigener Erfahrung. Ein paar amüsierten sich. Alle empfanden eine gewisse Sympathie. Einige glaubten fest, daß er der Versuchung, eine besser formulierte Fassung seiner Durchsage durchzugeben, bevor die Antwort eintraf, nicht widerstehen könne. Als Dondragmers Erwiderung aus dem Lautsprecher drang, ohne daß Benj es getan hatte, enthielt man sich jeden Beifalls. Aber jene, die Easy gut kannten, bemerkten die Zufriedenheit in ihrer Miene. Nicht einmal sie hätte auf Benj gewettet.
„Hallo, Benj! Wir tun für die Vermißten, was wir können. Ich fürchte, es gibt keine Möglichkeit, irgendwelche unserer Werkzeuge mit Konverterenergie zu versorgen. Ausgenommen die Helikopter, einige Laborapparaturen und die Scheinwerfer, sind sie nicht dazu geeignet. Selbst wenn es ginge, wir kommen doch nicht an die Konverter heran; sie liegen alle unter dem Eis.
Sicherlich entsinnst du dich, Benj, daß wir es vorgezogen haben, von komplizierter Ausrüstung so unabhängig wie möglich zu bleiben. Fast alle verfügbaren Gegenstände, die wir nicht selbst herstellen konnten, dienen unmittelbaren Forschungszwecken.“ Ib Hoffman war nicht anwesend und hörte diesen letzten Satz deshalb nicht. Unglücklicherweise, denn später kostete es ihn lange Zeit, ihn nach der Erinnerung seines Sohnes zu rekonstruieren.
„Das ist mir bekannt, aber…“, Benj verstummte.
Er wußte nichts weiter mehr zu sagen. Die Scheinwerfer — so wußte er — konnten als Erhitzer nicht benutzt werden; es waren solide elektroluminiszente Geräte ohne Leuchtröhren oder Glühbirnen, nicht nur für eine unbeschränkte Funktionsdauer konstruiert, sondern auch für Dhrawns Atmosphäre mit ihrem freien Sauerstoff und enormen Druckwerten. Hätte Beetchermarlf dies gewußt, er würde weniger Zeit verschwendet haben. „Könnt ihr nicht einfach den Stromausstoß eines Konverters durch einige Drähte leiten und das Eis mit der entstehenden Hitze schmelzen oder ihn ins Wasser abgeben? Es muß noch viel Ammoniak enthalten und würde sicher leiten.“ Eine weitere Pause folgte, die Benj verwandte, um seine Vorschläge auf Fehler zu prüfen.
„Vermutlich kenne ich mich in dieser Art von Physik nicht genug aus, aber Borndender und seine Leute müßten das beurteilen können“, antwortete Dondragmer zweifelnd. „Genauer gesagt, ich weiß nicht, was für Drähte und welcher Strom sich eigneten. Sind gewöhnliche Ausrüstungen wie Scheinwerfer oder Motoren an die Krafteinheiten angeschlossen, unterliegt die Kopplung automatischen Sicherheitsschaltungen. Doch ich besitze keine Vorstellung von etwaigen Begleiterscheinungen oder davon, ob die Sicherheitsschaltungen der Krafteinheiten funktionieren, wenn wir mit einfachen, direkten Stromkreisen arbeiten. Ich würde mich über weitere Informationen freuen, aber nach wie vor bleibt unklar, welches Leitmaterial wir verwenden sollten. In der Kwembly gibt es nicht viel Metall.
Selbstverständlich gibt es nichts, das als Leitmaterial für Starkstrom vorgesehen wäre. Du hast wohl recht, daß man das Eis selbst als Leiter benutzen könnte, aber hältst du das für ratsam, solange sich Beetchermarlf und Takoorch unter ihm befinden? Falls ihr uns genug detaillierte Informationen liefern könnt, die uns irgendeine erfolgversprechende Maßnahme erlauben, werden wir gern alles versuchen. Bis dahin vermögen wir nur zu tun, was im Rahmen unserer Möglichkeiten steht. Ich bin über die Kwembly, Kervenser, Beetchermarlf und Takoorch genauso beunruhigt, wie du es wahrscheinlich bist.“
Der Schlußsatz des Captains entsprach nicht völlig der Wahrheit, aber der Irrtum war unbeabsichtigt. Er vermochte nicht wirklich zu erfassen, wie tief eine Freundschaft sich in kurzer Zeit und ohne persönlichen Kontakt zwischen den beiden Seiten entwickeln konnte. Seine Kultur kannte weder ein ausgedehntes Postwesen noch Amateurfunk. Der Gedanke, daß eine fernmündliche Verbindung emotionale Bedeutung gewinnen konnte, war ihm zwar nicht vollständig fremd; immerhin hatte er zu Barlennans Mannschaft gehört, als die Bree vor Jahren Tausende von Meilen der mesklinitischen Ozeane überquert hatte und Charles Lackland sie per Funk begleitete; dennoch gehörte echte Freundschaft für ihn in eine andere Kategorie. Jahre später, als er von Lacklands Tod erfuhr, hatte er lediglich herkömmliches Bedauern empfunden. Dondragmer wußte, daß Benj und der junge Steuermann ausführliche Gespräche geführt hatten, doch er hatte das meiste davon nicht mitbekommen; hätte er es, so wären ihm die sich dabei entfaltenden Gefühle wahrscheinlich nicht völlig verständlich geworden.
Zum Glück ahnte Benj nichts davon, so daß er keinen Grund dazu sah, an den Worten des Captains zu zweifeln. Allerdings befriedigte ihn weder die Antwort noch die unveränderte Situation.
Er war der Meinung, daß besonders für Beetchermarlf entschieden zu wenig getan wurde; er war zum Zuhören verdammt, aber konnte persönlich keine Hilfe leisten. Er mußte hier untätig herumsitzen und auf Berichte warten. Selbst viele Menschen, die sowohl reifer als auch geduldiger als Benj Hoffman waren, hätten sich mit dieser erzwungenen Untätigkeit nicht weniger schwer abfinden können.
Seine Empfindungen flossen in seine nächsten Worte deutlich genug ein. Easy vollführte ihre protestierende Geste nur halb. Es war zu spät, und es bestand die Chance, daß der Mesklinit von Wortwahl und Tonfall nicht den gleichen Eindruck bekam wie der menschliche Zuhörer. „Aber du kannst doch nicht einfach dort auf deiner Plattform liegen und nichts tun!“ rief Benj. „Deine Steuerleute könnten in diesem Moment ersticken.
Weißt du, wie viel Ateml uft sie in ihren Schutzanzügen mitführten?“
Diesmal erlag er der Versuchung. Innerhalb von Sekunden begriff er, was er geäußert hatte, und kaum eine halbe Minute später befand sich eine Durchsage, von der er hoffte, daß sie besser formuliert sei, unterwegs nach Dhrawn. „Ich weiß, es ist nicht so, daß du überhaupt nichts unternimmst, aber ich begreife einfach nicht, wie du es fertig bringst, nur auf Ergebnisse zu warten.
Ich würde persönlich nach draußen gehen und Eis hacken oder etwas anderes tun, aber hier oben im Satelliten, hier kann ich es nicht.“