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»Wie möchten Sie Ihren Kaffee?«

Marino ist vernünftig genug, ihr nicht seine Standardantwort zu geben: Wie meine Frauen, süß und weiß.

»Schwarz ist in Ordnung«, sagt Scarpetta. Sie folgen Mrs. Paulsson einen Flur mit altem Dielenfußboden entlang. Rechts liegt ein gemütliches kleines Wohnzimmer mit dunkelgrünen Ledermöbeln und Kamingerätschaften aus Messing. Links befindet sich ein steif möblierter, formeller Salon, der unbenutzt wirkt. Im Vorbeigehen schlägt Scarpetta daraus die Kälte entgegen.

»Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?«, fragt Mrs. Paulsson. »Typisch für mich. An der Tür rede ich von Kaffee, und nach Ihren Mänteln frage ich erst, wenn Sie schon in der Küche stehen. Kümmern Sie sich nicht darum. Ich bin zurzeit nicht auf dem Damm.«

Nachdem sie aus den Mänteln geschlüpft sind, hängt Mrs. Paulsson diese an hölzernen Haken in der Küche auf. Scarpetta bemerkt einen hellroten handgestrickten Schal an einem der Haken und überlegt aus irgendeinem Grund, ob er vielleicht Gilly gehört hat. Die Küche ist in den letzten Jahrzehnten nicht modernisiert worden; der Boden hat ein altmodisches schwarz-weißes Schachbrettmuster, und die Geräte sind alt und weiß. Durch das Fenster sieht man einen kleinen Garten mit einem Holzzaun. Dahinter befindet sich ein niedriges Schieferdach mit fehlenden Pfannen. Es ist mit Moos bewachsen, und die Dachrinnen sind mit Laub verstopft.

Mrs. Paulsson schenkt Kaffee ein. Dann setzen sie sich an einen Holztisch an das Fenster, das Blick auf den Zaun und das bemooste Dach bietet. Scarpetta fällt auf, wie sauber und ordentlich die Küche ist. Töpfe und Pfannen hängen an Eisenhaken über einem Metzgerblock. Abtropfbrett und Spüle sind leer und fleckenlos. Sie bemerkt eine Flasche Hustensaft auf der Anrichte neben einem Papierhandtuchspender. Es ist ein nicht verschreibungspflichtiger Hustensaft mit Schleimlöser. Scarpetta trinkt ihren schwarzen Kaffee.

»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagt Mrs. Paulsson. »Eigentlich habe ich auch gar keine Ahnung, wer Sie sind. Detective Browning hat mich heute Morgen angerufen, erklärt, Sie seien Experten von außerhalb, und mich gebeten, zu Hause zu sein. Dann haben Sie sich gemeldet.« Sie sieht Scarpetta an.

»Also hat Browning Sie angerufen«, meint Marino.

»Er war wirklich nett.« Sie betrachtet Marino und scheint etwas an ihm interessant zu finden. »Keine Ahnung, warum all diese Leute … Tja, vermutlich weiß ich nicht allzu viel.« Wieder steigen ihr Tränen in die Augen. »Ich sollte dankbar sein. Nicht auszudenken, wie es wäre, wenn einem so etwas zustößt und niemand kümmert sich darum.«

»Alle sind sehr betroffen«, erwidert Scarpetta. »Deshalb sind wir ja hier.«

»Wo wohnen Sie?« Sie starrt weiter Marino an, greift nach ihrer Tasse, trinkt einen Schluck und mustert ihn dabei eindringlich.

»In Südflorida, ein Stück nördlich von Miami«, antwortet Marino.

»Ach, ich dachte, Sie wären vielleicht aus Los Angeles«, entgegnet sie, und ihr Blick wandert zu seiner Kappe.

»Wir haben Geschäftsverbindungen nach L.A.«, sagt Marino.

»Es ist erstaunlich«, fährt sie fort, wirkt aber gar nicht erstaunt. Allmählich erahnt Scarpetta eine andere Seite an Mrs. Paulsson, ein Geschöpf, das sprungbereit in ihr lauert. »Das Telefon läutet ununterbrochen. So viele Reporter, so viele Leute.« Sie dreht sich auf ihrem Stuhl um und deutet auf die Vorderseite des Hauses. »In riesigen Übertragungswagen mit Parabolantennen, oder wie die Dinger sonst heißen. Eigentlich ist es ja pietätlos. Aber die FBI-Agentin, die letztens hier war, meinte, es läge daran, dass niemand weiß, was Gilly zugestoßen ist. Sie sagte, es sei nicht so schlimm, wie es sich anhört, was immer das auch bedeuten mag. Sie habe schon viel schrecklichere Dinge gesehen, aber das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Vielleicht hat sie ja die Medien gemeint«, erwidert Scarpetta mitfühlend.

»Was könnte schrecklicher sein als das, was mit meiner Gilly passiert ist?«, fragt Mrs. Paulsson und wischt sich die Augen ab.

»Was, glauben Sie, ist ihr denn passiert?«, erkundigt sich Marino und streicht mit dem Daumen über den Rand seiner Kaffeetasse.

»Sie ist an der Grippe gestorben«, antwortet Mrs. Paulsson. »Gott hat sie zu sich geholt. Warum, kann ich nicht sagen. Ich wünschte, jemand würde es mir erklären.«

»Es gibt Leute, die nicht so sicher sind, dass es die Grippe war«, entgegnet Marino.

»Mein kleines Mädchen lag mit Grippe im Bett. In diesem Jahr sind viele Menschen an der Grippe gestorben.« Sie sieht Scarpetta an.

»Mrs. Paulsson«, beginnt Scarpetta. »Ihre Tochter ist nicht an der Grippe gestorben. Ich bin sicher, dass man Ihnen das bereits mitgeteilt hat. Sie haben doch mit Dr. Fielding gesprochen, richtig?«

»Oh, ja. Wir haben miteinander telefoniert, kurz nachdem es passiert ist.« Sie bricht in Tränen aus. »Gilly hatte vierzig Grad Fieber und erstickte fast vor Husten, als ich losgegangen bin, um neuen Hustensaft zu holen. Länger war ich nicht weg. Ich bin nur zum Drugstore in der Cary Street gefahren, um Hustensaft zu kaufen.«

Wieder wandert Scarpettas Blick zu der Flasche auf der Anrichte. Sie denkt an die Proben, die sie in Fieldings Büro betrachtet hat, bevor sie sich auf den Weg zu Mrs. Paulsson machte. Unter dem Mikroskop waren Reste von Fibrin, Lymphozyten und Makrophagen in Teilen des Lungengewebes zu erkennen. Die Alveolen waren frei. Gillys leichte Lungenentzündung, eine bei Grippe häufig auftretende Komplikation, insbesondere bei alten und jungen Menschen, war im Abklingen und nicht schwer genug, um die Lungenfunktion zu beeinträchtigen.

»Mrs. Paulsson, wir können feststellen, ob Ihre Tochter an der Grippe gestorben ist«, entgegnet Scarpetta. Sie möchte nicht ins Detail gehen, wie verhärtet, verklebt, klumpig und entzündet Gillys Lungen gewesen wären, wäre sie an einer akuten Lungenentzündung gestorben. »Hat Ihre Tochter Antibiotika genommen?«

»Oh, ja. In der ersten Woche.« Sie greift nach ihrer Kaffeetasse. »Ich dachte wirklich, dass es ihr schon besser ginge, und habe geglaubt, es wäre nur noch eine Erkältung.«

Marino schiebt seinen Stuhl zurück. »Macht es Ihnen was aus, wenn Sie sich zu zweit weiterunterhalten? Ich würde mich gern ein bisschen umschauen, falls Sie das nicht stört«, meint er.

»Ich weiß nicht, was es hier zu sehen gäbe. Aber nur zu, Sie wären nicht der Erste. Ihr Zimmer ist hinten.«

»Ich finde es schon.« Als er den Raum verlässt, klingen seine Stiefel dumpf auf dem alten Dielenboden.

»Gilly ging es wirklich besser«, bestätigt Scarpetta. »Das hat die Untersuchung ihrer Lunge ergeben.«

»Tja, sie war immer noch schwach und wackelig auf den Beinen.«

»Sie ist nicht an der Grippe gestorben, Mrs. Paulsson«, wiederholt Scarpetta mit Nachdruck. »Es ist wichtig, dass Sie das begreifen. Wenn sie an der Grippe gestorben wäre, säße ich nicht hier. Ich versuche, Ihnen zu helfen, doch dazu müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten.«

»Sie klingen nicht, als wären Sie von hier.«

»Ursprünglich aus Miami.«

»Oh, und da wohnen Sie ja immer noch, wenigstens in der Nähe. Ich wollte schon immer mal nach Miami, vor allem wenn das Wetter so trüb ist wie heute.« Sie steht auf, um Kaffee nachzuschenken, und bewegt sich mühsam und steifbeinig zur Kaffeemaschine neben der Hustensaftflasche. Scarpetta stellt sich vor, wie Mrs. Paulsson ihre Tochter bäuchlings aufs Bett drückt, und sie kann diese Möglichkeit nicht ausschließen, auch wenn sie ihr wenig wahrscheinlich vorkommt. Die Mutter wiegt nicht viel mehr als die Tochter, während der Mensch, der Gilly festgehalten hat, um einiges schwerer und stärker gewesen sein muss als sie, um ihre Gegenwehr zu brechen. Sonst hätte sie nämlich schwerere Verletzungen davongetragen. Allerdings könnte Scarpetta auch nicht schwören, dass Mrs. Paulsson Gilly nicht ermordet hat, so gern sie das täte.

»Ich wünschte, ich hätte mit Gilly nach Miami, nach Los Angeles oder in sonst eine tolle Stadt fahren können«, spricht Mrs. Paulsson weiter. »Aber ich habe Flugangst, und im Auto wird mir übel, und deshalb bin ich nie viel gereist. Jetzt bedauere ich, dass ich mir keine größere Mühe gegeben habe, über meinen Schatten zu springen.«