Als sich niemand meldete, nickte Thorpe. »Sehr schön. Wir werden Ihnen im Anschluss an diese Sitzung eine allgemeine Satzung zur Unterschrift vorlegen. Aber ich fürchte, ich habe schon zu lange geredet. Wenn also keiner von Ihnen Einwände hat, dann möchte ich jetzt Miss Hastings bitten, uns über die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich des Kometen zu unterrichten. Amber?«
»Projektor, bitte«, sagte Amber. Es gab ein kurzes surrendes Geräusch, als ein großer transparenter Kubus aus der Decke zum Vorschein kam. »Das erste Bild, bitte.«
Der Würfel füllte sich mit der Wiedergabe einer Ansammlung von Sternen und einer Aufnahme des Kometen Hastings, die das Große Auge zwei Wochen zuvor aufgenommen hatte. Die Koma des Kometen war noch immer lediglich als schwacher Lichtfleck zu sehen.
»Die Basisdaten des Kometen sind Ihnen allen vertraut«, sagte Amber mit einem Blick über die Tische. »Der Kern ist nahezu rund, mit einem Durchmesser von fünfhundert Kilometern und einer Masse von etwa sechzig Billiarden Tonnen. Messungen der Geschwindigkeit, mit der sich die Koma aufbaut, deuten darauf hin, dass die Temperatur des Kerns um die zehn Kelvin beträgt. Das ist sehr kalt für ein Objekt in einer Entfernung von einer Milliarde Kilometern von der Sonne.«
»Irgendwelche neuen Daten über die Zusammensetzung des Kometen?«, fragte Professor Chen von seinem Sessel ein halbes Dutzend Plätze rechts von Amber aus.
Sie wandte sich ihm zu. »Wir sehen noch immer die Spektrallinien von Wasser, Ammoniak, Zyan und ein paar anderen Verunreinigungen in der Koma des Kometen. Natürlich können wir die Messungen der Koma nicht dazu benutzen, den Prozentanteil des Gesteinsmaterials an der Mischung zu bestimmen. Sollte der Vergleich mit anderen Kometen gerechtfertigt sein, dann müsste etwas vorhanden sein.«
»Irgendwelche Hinweise auf freien Sauerstoff, Stickstoff oder Helium?«
»Wir haben einen größeren Gehalt an Wasserstoff und Sauerstoff in der Koma festgestellt, als aus der Photodissoziation der Wassermoleküle resultiert, außerdem sind Spuren von Stickstoff vorhanden. Wir haben jedoch keinerlei Helium gemessen. Das ist kaum eine Überraschung, denn falls es irgendwelche Lachen davon gab, wären sie während früherer Passagen durchs innere Sonnensystem verdampft.« Amber wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem ganzen Publikum zu. »Ich fürchte, die meisten Details der Zusammensetzung des Kometen werden so lange ein Rätsel bleiben, bis wir wirklich dort angekommen sind.«
Amber ließ ihr zweites Hologramm projizieren. Der Projektor zeigte nun ein dreidimensionales Diagramm der voraussichtlichen Flugbahn des Kometen. Der Orbit bestand aus einer einzelnen weißen Linie, die zum Jupiter hinführte, und einem fächerförmigen Regenbogen von Farben, der von ihm wegführte.
»Wir haben den Kometen während der letzten sechs Monate sehr genau beobachtet und verfügen über eine gute Projektion seiner gegenwärtigen Bahn. Aus dem fernen Raum kommend, wird er die Umlaufbahn des Jupiter in zweihundert Tagen schneiden. Der Abstand zum Jupiter wird zum Zeitpunkt größter Annäherung ungefähr zwei Millionen Kilometer betragen. Die Anziehungskraft des Jupiter wird den Kometen um angenähert zwanzig Grad ablenken. Die verschiedenfarbigen Linien stellen die mögliche Spannweite des resultierenden Orbits dar.«
»Diese Orbits fächern sich über vier Grad auf, Miss Hastings«, sagte Chen Ling Tsu. »Sie können sie doch bestimmt noch genauer bestimmen!«
»Ich wünschte, wir könnten es, Professor Chen. Unglücklicherweise sind mit der Beobachtung eines Objekts in solcher Entfernung bestimmte Einschränkungen verbunden. Um die Daten zu verbessern, wäre eine mehrwöchige Beobachtung des Kometen aus kurzer Distanz erforderlich.«
Amber war weitere zwanzig Minuten mit der Beantwortung von Fragen beschäftigt, die den Mechanismus gravitationeller Ablenkung betrafen. Als einer der technischen Experten SierraCorps fragte, wie die Admiral Farragut auf dem Kern landen sollte, lächelte sie. »Das ist Kapitän Olafsons Job. Sie wird die Versammlung jetzt für mich weiter leiten.«
»Wie war ich heute Morgen?«, fragte Amber am Nachmittag, als sie und Thorpe sich ein spätes Mittagessen schmecken ließen.
»Du warst gut«, versicherte er ihr.
Die Sitzung des ersten Tages hatte früh geendet, damit die Teilnehmer Gelegenheit hatten, sich auf die Sitzung des zweiten Tages vorzubereiten, den ersten von vier zermürbenden Tagen, die einer detaillierten Diskussion aller möglichen Aspekte des Einsatzplans gewidmet waren. Thorpe nutzte die Atempause, um Amber die Hafengegend von San Francisco zu zeigen. Es war schon fast fünfzehn Uhr, als sie an Bord eines nachgebauten Heckraddampfers aus dem neunzehnten Jahrhundert gingen, wo sie zu Abend essen wollten. Das nadelförmige Hauptgebäude der Sierra Corporation und die Golden Gate Bridge waren durch die Restaurantfenster deutlich zu sehen.
»Ich hoffe, dass ich nicht zu technisch war.«
Thorpe lachte. »Sogar unser Generalkonsul hat begriffen, wovon du geredet hast. Ich kenne diesen Mann. Glaub mir, Himmelsmechanik ist definitiv nicht sein Spezialgebiet.«
»Wer war der kleine Mann, mit dem du in der Pause gesprochen hast?«
»Das war Nathan Monet, Rechnungsprüfer von SierraCorp.«
»Macht er immer so ein finsteres Gesicht?«
»Das macht er, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Monet und ich haben eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des reibstoffvorrats der Admiral Farragut. Er will nur das absolute Minimum für die Durchführung der Mission bewilligen. Ich bestehe auf ausreichenden Reserven, um für unerwartete Entwicklungen gewappnet zu sein. Ich dachte schon, ich hätte ihn zu meiner Sicht der Dinge bekehrt, aber der verdammte Erbsenzähler ist ebenso dickköpfig wie kurzsichtig. Mr. Smith hat ihn schließlich angewiesen, mir das zu geben, was ich haben will. Deshalb hat er so finster geguckt.«
Sie unterhielten sich eine Weile über Nebensächlichkeiten; schließlich räusperte sich Amber. »Warum hast du mich heute Abend zum Essen eingeladen, Tom?«
»Seit wann braucht ein Mann einen Grund, wenn er eine gutaussehende Frau zum Essen einlädt?«
»Du weichst mir aus!«
»Also gut«, sagte er. »Ich wollte mit dir ausgehen, damit wir darüber sprechen können, was auf Luna passiert ist.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ein Mann und eine Frau haben zu viel getrunken und die Nacht damit verbracht, sich miteinander zu vergnügen. So was passiert immer wieder.«
»Das ist alles, was es dir bedeutet hat? Reine Gymnastik?«
Sie lächelte humorlos. »Ist das nicht das Sprüchlein, das du von mir erwartet hast?«
»Das war eine ernsthafte Frage. Ich möchte darauf eine ernsthafte Antwort haben.«
»Die Wahrheit?«, fragte sie. »Es fällt mir schwer, mich an meine Gefühle in dieser Nacht zu erinnern. Es ist, als wäre das einer anderen Person passiert. Ich erinnere mich, dass ich schon übermütig war, bevor wir anfingen, die Bars abzuklappern. Später fühlte ich mich … zufrieden. Es kam mir so richtig vor in dem Moment, auch wenn ich wusste, dass unsere Beziehung nur von kurzer Dauer sein würde. Später stellte ich fest, dass ich dich nicht vergessen konnte. Ob bei Tag oder bei Nacht, ich musste in letzter Zeit oft an dich denken, Thomas Thorpe.«
»Mir ging’s genauso. Du glaubst nicht, es könnte Liebe sein?«
»Ich wüsste nicht, wieso«, erwiderte sie. »Wie lange waren wir zusammen? Anderthalb Tage? Man kann sich nicht so schnell verlieben, oder?«
»Ich weiß nicht. Da fehlt mir die Erfahrung.«
»Mir ebenfalls.«
»Wusstest du, dass ich dein Foto in meiner Reisetasche habe?«
»Wirklich?«
Er nickte. »Ich hab’s mir aus einer Faxstory über den Kometen ausgeschnitten. Du kennst sie bestimmt. Sie haben dein Gesicht mit einer Aufnahme des Großen Auges unterlegt.«