»Wie, zum Teufel, soll ich denn damit zu tun haben?«, fragte Thorpe. »Ich bin immer noch eine halbe Milliarde Kilometer vom Ort des Geschehens weg.«
»Er glaubt, du hättest eine Nachricht geschickt, die alles in Gang gebracht hat. Wir haben nachgesehen, und im Logbuch des Funkers steht nichts davon, aber das will natürlich nicht viel heißen.«
»Warum glaubt er das?«
Sie berichtete ihm von den lunarischen Agenten im Hauptsitz der Sierra Corporation.
»Das werde ich dem Boss weitergeben müssen.«
»Wechsle nicht das Thema. Hast du eine solche Nachricht geschickt?«
Thorpe seufzte und setzte sich auf, worauf sie ihre Füße gegen das Schott stemmen musste, um nicht wegzutreiben. Sie griff nach dem Schlafgurt und drehte sich neben ihm in eine sitzende Position.
»Hast du?«, drängte sie.
Thorpe nickte langsam. »Angeklagt und für schuldig befunden, Euer Ehren.«
»Was hast du denn bloß gesagt, um sie in eine solche Aufregung zu versetzen?«
»Ich habe herausgefunden, wie man den Kometen aufhalten kann.«
Sie schnappte heftig nach Luft und zog die Hände an ihre Brust. »Das ist ja wundervoll! Wie fangen wir es an?«
Thorpe erzählte ihr von seinem langen Arbeitstag und wie er zuletzt darauf gekommen war, Avalon in die Flugbahn des Kometen zu lenken, um diesen abzubremsen.
Sie sah ihn an wie eine Lehrerin ihren ein wenig zurückgebliebenen Schüler. Es war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte.
»Was stimmt denn nicht?«
»Mein armer Liebling, weißt du denn nicht, dass wir das längst erwogen haben? Nicht mit Avalon natürlich, aber wir haben die Möglichkeit, einen kleineren Himmelskörper auf Donnerschlag aufprallen zu lassen, ziemlich gründlich durchdacht. In der Nähe seiner Flugbahn befindet sich nichts, was groß genug wäre. Wie groß ist dieser Avalon eigentlich?«
Thorpe sagte es ihr.
Sie dachte einen Moment lang konzentriert nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Es klappt nicht! Nicht annähernd genug Masse.«
Er zögerte eine lange Weile, unfähig dazu, ihrem Blick zu begegnen. »Genau genommen«, sagte er schließlich, »schließt mein Plan zwei Kollisionen ein. Der Zusammenstoß mit Avalon bereitet lediglich den zweiten Aufprall vor.«
»Erzähl mir nicht, du hast zwei Asteroiden entdeckt, die du dem Kometen in den Weg werfen kannst!«
»Nein, keine zwei Asteroiden.«
»Was dann?«
»Weißt du noch, wie wir herausgefunden haben, dass Donnerschlag die Erde treffen würde?«
»Eher würde ich meine erste Liebesnacht vergessen«, erwiderte sie. »Ich werde immer noch rot, wenn ich daran denke, welchen Narren ich aus mir gemacht habe. Zuerst erzähle ich dir, dass ein Zusammenstoß so unmöglich ist wie ein Schneeball in der Hölle, und dann rechne ich aus, dass er direkt auf die Erde knallen wird.«
»Zuerst nicht«, erinnerte er sie. »Deine erste Berechnung ergab, dass der Kern nah herankommen, die Erde aber verfehlen würde.«
»Das war, weil ich ein unvollständiges Gravitationsmodell benutzt hatte. In dem, das ich hatte, fehlte …« Entsetzen trat in Ambers Gesicht, als ihr Verstand ihren Mund überholte. »Nein, es muss eine andere Möglichkeit geben!«
»Ich wünschte, es gäbe eine«, sagte Thorpe, die angestaute Erregung in einem Schwall herauslassend. »Avalon wird Donnerschlag nicht genügend verlangsamen, um die Erde aus der Schussbahn zu bringen. Aber es wird Luna ermöglichen, azwischenzutreten. Wenn Donnerschlag mit Avalon kollidiert, wird er achtzig Tage später auf dem Mond einschlagen. Luna wird ihn abrupt aufhalten …«
»Und vernichtet werden!«
30
Der Kopernikus-Krater beherrschte die Panoramawand im Konferenzraum des Premierministers. Das Bild, vom niedrigen Orbit aus schiefem Winkel aufgenommen, gab die terrassenförmigen Wände des Kraters und die gewaltigen Bergspitzen in der Mitte in scharfem Relief wieder. Dem Süden zu markierte eine dünne Linie den Verlauf der mondumspannenden Einschienenbahn. Rund um die Bergspitzen herum, am Ende einer der Spurschienen der Einschienenbahn, waren mehrere winzige Kuppeln verstreut. Die Kuppeln gaben die Lage der Eisminen an, die Kopernikus für die Ökonomie der Republik so wichtig gemacht hatten.
Rund um den Konferenztisch saßen ein Dutzend der einflussreichsten Männer und Frauen Lunas. Auch wenn viele von ihnen der Nationalpartei angehörten, handelte es sich doch keineswegs um eine Versammlung der Nationalisten. Pierre Robles, John Hobarts Vorgänger im Amt des Premierministers, war als Vertreter der Konservativen anwesend, ebenso die Führer der beiden kleineren Parteien. Vervollständigt wurde die Versammlung durch Niels Grayson vom Farside-Observatorium und Albert Portero von der Universität.
John Hobart stand am Kopf des Tisches und blickte über die eilig zusammengerufene Gruppe. An seinem Gesichtsausdruck war deutlich zu erkennen, dass er alles andere als glücklich war. Er kam augenblicklich zur Sache.
»Wir haben von unserem Agenten an Bord der Admiral Farragut einige ausgesprochen beunruhigende Nachrichten bekommen. Professor Grayson, bitte.«
Niels Grayson stand auf und ging zu dem Pult am einen Ende des Konferenzraums. Vierundzwanzig Stunden zuvor war er noch im Farside-Observatorium gewesen. Zwölf Stunden hatte er für die Anreise gebraucht; er war müde und gereizt und erheblich verstört aufgrund der Neuigkeiten, die ihn am Ende seiner Reise erwartet hatten. Trotzdem hatte er fast acht Stunden Zeit gehabt, die Implikationen von Malvans Katastrophenmeldung zu studieren.
»Diejenigen von Ihnen, die der Bildwand den Rücken zuwenden, sollten sich umdrehen«, sagte er. Grayson berührte einen Schalter, und das Bild des Kopernikus-Kraters verblasste, um von der vertrauten schematischen Darstellung des Sonnensystems ersetzt zu werden. Donnerschlags ekliptischer Orbit umrundete darin die Sonne und endete abrupt an dem Kreis, der die Erdumlaufbahn darstellte. Ein winziges Kometensymbol folgte der Ellipse um die Sonne herum und begann sich auf die beiden Kugeln zuzubewegen, die Erde und Mond repräsentierten. Als der Komet das Planetendoppel erreicht hatte, veränderte sich der Maßstab, und man sah Erde und Luna aus der Nähe. Der Komet flog von außen auf die beiden Himmelskörper zu, wobei er sich der Erdumlaufbahn von unten in einem Dreißig-Grad-Winkel näherte. Zeit und Datum wurden in der oberen rechten Bildschirmecke angezeigt.
Während seine Zuhörerschaft das Diagramm betrachtete, fasste Grayson die Kollisionsberechnungen und die Versuche zur Beschleunigung des Kometen zusammen. »Wie Sie alle wissen, sind alle Anstrengungen, den Eisasteroiden zu beschleunigen, bislang gescheitert. Ich möchte auf die Gründe des Scheiterns nicht weiter eingehen, es genügt zu erwähnen, dass es versucht werden musste. Den vergangenen Monat über haben die Wissenschaftler und Astronomen des Systems nach einer neuen Möglichkeit gesucht, den Kometen abzulenken. Unsere Leute auf der Erde berichteten kürzlich über Aktivitäten, die darauf hindeuteten, dass ein neuer – und geheimer – Versuch geplant wurde. John Malvan, der Repräsentant Lunas bei der Hastings-Expedition, gelang es, die Einzelheiten dieses Geheimplans herauszufinden, und hat sie uns kürzlich übermittelt. Wie Malvan berichtet, planen sie die Erde dadurch zu retten, dass sie den Kometen mit Luna kollidieren lassen!«
Im Raum erhob sich empörtes Stimmengewirr. Den meisten Anwesenden war mitgeteilt worden, dass sich das Treffen mit einem Gegenstand von vitalem Interesse für die Sicherheit der Republik befassen würde, ohne ihnen jedoch Einzelheiten zu nennen. Einer der arlamentsabgeordneten der Nationalpartei fragte: »Wie ist das möglich?«