»Ja. Ich habe nur ihre motorischen Funktionen blockiert.«
»Befrei sie.«
Der Zähler legte eine Pause ein, in der er natürlich nicht nachdachte, sondern nur vorgab nachzudenken. »Du weißt, was du tust, Pjotr?«
»Ja.«
Die geschuppte Pfote glitt achtlos über Danilows Hand und klatschte gegen Maschas Wange. Sofort bewegten sich die zwei wieder.
Schweigend beobachtete ich, wie die beiden, noch vor kurzem meine Freunde und noch vor viel kürzerem meine Feinde, die Macht über ihre Körper zurückgewannen.
Danilow gähnte ungeniert, wie ein Mensch, der aus einem friedlichen und süßen Schlaf erwacht. Plötzlich schien ein Krampf seine Muskeln heimzusuchen. Sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzverzerrten Grimasse.
»Du bist ein Dreckskerl, Petja …«
Ich erwiderte kein Wort.
»Ein Dreckskerl und ein Idiot …«
Danilow half Mascha, sich aufzusetzen. Wie dämlich, wie absolut dämlich und falsch, wenn vier Menschen, von denen einer nicht mal mehr über einen menschlichen Körper verfügte, in der fragilen Schale eines außerirdischen Schiffs auf Leben und Tod aneinandergerieten.
»Ich habe schließlich nicht damit angefangen«, konterte ich. Vor den beiden brauchte ich mich nicht zu rechtfertigen, das stand für mich fest – und zwar einfach deshalb, weil ich mir wirklich keiner Schuld bewusst war.
»Du hast alles verdorben …«, sagte Mascha leise. »Alles!«
Schweigend berührte ich meinen verbundenen Hals. Das Taschentuch war bereits völlig blutdurchtränkt.
Der Reptiloid saß zwischen uns, demonstrativ unbeteiligt und gleichgültig. Trotzdem stellte er eine Barriere dar.
»Was hast du jetzt vor?«, ergriff Danilow erneut das Wort.
»Das habe ich schon gesagt«, antwortete ich müde.
»Was gedenkst du, mit uns zu tun?«
»Da habe ich keine Wahl.«
»Verstehe.« Auf Danilows Gesicht spiegelte sich Verachtung wider.
»Ihr müsst bei uns bleiben. Bis zum Schluss.«
»Ist dir überhaupt klar, wohin du fliegst?«
»Nein«, gab ich unbekümmert zu. »Aber eben darum geht es, so absurd das auch klingt.«
Schweigen hing in der Luft. Kein einziger Laut war in dem engen Cockpit zu vernehmen, nichts deutete darauf hin, dass wir flogen. Vier kleine Krümel Leere – in der großen Leere.
»Du machst einen Fehler«, bemerkte Danilow.
Das hatte ich schon gehört. Deshalb antwortete ich gar nicht erst.
»Pjotr.« Mascha drehte sich unbeholfen um und rückte von Danilow ab. »Du blutest …«
»Ich weiß.«
»Komm … ich verbinde das richtig.«
Und wie dämlich das erst war! Beinahe hätte ich ihr ins Gesicht gelacht. Aber Mascha wartete mit jener unerschütterlichen Gelassenheit auf, die mir an ihr von Anfang an nicht gefallen hatte.
Dabei hatte sie vermutlich gar keine sinistren Pläne ausgeheckt.
Und dass sie noch vor einer Viertelstunde den Finger auf dem Knopf an der Fernbedienung hatte, um meinen Kopf wegzusprengen, spielte wahrscheinlich auch keine Rolle. Jetzt war sie von ganzem Herzen bereit, mir Erste Hilfe zu leisten.
»Gut«, willigte ich ein.
Der Zähler sperrte das Maul auf, setzte an, etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber; vielleicht fand er auch einfach keine Gegenargumente.
Mascha holte aus der Tasche ihres Overalls ein Verbandspäckchen. Sie stieg über den Sitz und band mir wortlos das blutgetränkte Taschentuch vom Hals los.
»Sieht ziemlich schlimm aus …«, knurrte sie. »Eigentlich müsste sich das mal ein Arzt ansehen.«
»Aber wegen einer solchen Kleinigkeit werden wir ja wohl nicht umkehren, oder?«, parierte ich.
Mascha schnaubte und riss das Päckchen auf. Sie legte einen feuchten Tupfer auf die Wunde und machte sich daran, sie zu verbinden.
»Die Blutung ist gestillt. Wie hast du das eigentlich angestellt?«
»Das war der Cualcua«, gab ich nach kurzem Zögern zu.
»Also doch.« Mascha nickte. »Die Alari haben behauptet, diese Kreatur würde nach deiner Rückkehr nicht mehr in Erscheinung treten. Wieso hat er sich auf diese Geschichte eingelassen?«
Das Wesen in mir gab etwas von sich – und falls man ein mentales Signal mit einem Geräusch vergleichen kann, dann war das ein Kichern.
»Sie sind neugierig, Mascha. Nur deswegen haben die Cualcua an dieser Verschwörung teilgenommen und mir geholfen … Autsch!«
»Entschuldige, ich werde besser aufpassen.« Mascha zog den Verband mit der Klammer so fest zu, als wolle sie mich am Ende doch noch erwürgen. Mit leichter Verblüffung registrierte ich, dass von ihrem Haar ein Duft nach Parfüm ausging. Ein schwerer, überhaupt nicht zu ihr passender Blumenduft, da täuschte ich mich nicht.
»Sie wollten die Welt der Geometer kennenlernen.«
»Vielleicht sehen die Cualcua sie sich ja immer noch an?«, fragte Danilow in scharfem Ton.
»Schon möglich«, räumte ich ein. »Ehrlich gesagt, kann ich daran nichts Schlimmes finden.«
»Und jetzt möchte sich der Cualcua auch die Welt des Schattens ansehen?«, fragte Mascha.
»Wahrscheinlich. Ich wüsste keine anderen Gründe, warum er mir sonst helfen sollte.«
Abermals vernahm ich in den tiefsten Tiefen meines Bewusstseins ein Lachen.
»Kannst du eigentlich dafür bürgen, dass du diese Entscheidung triffst, Petja?« Danilow sah mich an. »Wir, zwei Menschen mit klarem Kopf, lehnen diesen Plan ab. Wir, deine Freunde. Meinst du nicht, du solltest uns glauben? Weil wir mehr davon verstehen als du? Kannst du wirklich noch die Verantwortung für deine Gedanken und Überzeugungen übernehmen? Jetzt, wo ein Alien in dir lebt?«
»Ihr selbst habt darauf bestanden.«
»Stimmt, denn damals blieb uns gar nichts anderes übrig. Aber jetzt sieht die Sache anders aus.«
»Mein Großvater meint ebenfalls …«
Danilow sah den Reptiloiden an. »Dein … Großvater?«
»Ich bin hier, Sascha. Ich bin in der Tat hier«, brachte mein Großvater langsam heraus. »In diesem Echsenkörper …«
»Würde ich gern glauben«, sagte Danilow.
»Sascha, ich weiß nicht …« Die Worte kamen mir nicht leicht über die Lippen. Mir fehlte tatsächlich jede Gewissheit, sogar die Selbstgewissheit. Und mir war das Recht auf jeden Glauben abhandengekommen. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist ein Schuss mit dem Paralysator und ein Halsband mit einer Bombe ein Freundschaftsbeweis. Aber inzwischen kenne ich diese Art von … Freundschaft. Von den Geometern. Vermutlich sind wir selbst nicht mehr allzu weit davon entfernt. Überhaupt nicht mehr weit.«
»Sind wir schon ein wenig über diese Art von Freundschaft hinaus? Oder noch nicht ganz da?«, fragte mein Großvater.
»Das spielt überhaupt keine Rolle … Eins kann ich dir jedenfalls versichern, Sascha: Wäre an meiner Stelle ein Geometer, würde er dir zustimmen. Sofort und ohne jede Vorbehalte. Gerade deshalb darf ich mich nicht so verhalten.«
»Du bist dir dessen sicher«, sagte Mascha leise.
»Ja.«
Sie nickte und setzte sich in den Sitz neben Danilow.
»Du hast uns in eine Sackgasse manövriert«, stellte Danilow fest. »Also … Petja, glaubst du uns wenigstens, dass wir uns dir nicht weiter in den Weg stellen?«
Ich erwiderte kein Wort.
»Wir werden es sowieso nicht schaffen, uns das Schiff gefügig zu machen. Wenn du und Karel uns die Hilfe verweigern. Uns bleibt nichts anderes übrig, als dir zu helfen.«
»Gut, ich werde versuchen, euch das zu glauben.«
»Waffenstillstand?« Danilow streckte mir die Hand entgegen.
Nach kurzem Zögern ergriff ich sie. Natürlich war das ebenso wenig ein Waffenstillstandsangebot, wie die Atomwaffen der USA und der UdSSR Ende des letzten Jahrhunderts ein Friedensgarant waren. Und trotzdem …