»Ja!«, rief mein Großvater. Schon im nächsten Moment veränderte sich die Stimme, und der Zähler bestätigte: »Dafür.«
»Sascha?«
»Also jetzt …« Der Oberst schnaubte. »Wir sind ja auf jeden Fall in der Minderheit. Also ja, wenn du auf die förmliche Bestätigung Wert legst.«
»Mascha?«
»Dagegen«, antwortete sie trocken.
»Warum?«
»Damit die Entscheidung nicht einstimmig getroffen wird.«
Die »Entführung« hatte ihr sichtlich gut getan. Aus ihrem Mund Ironie – das überraschte mich nun wirklich. Ich nickte und erklärte ernst: »Ich bin natürlich für die Landung.«
»Dann wollen wir mal landen, oder, Todeskandidaten?«, alberte Danilow. »Meiner Ansicht nach beträgt der Abstand zwischen den einzelnen Objekten fünfzig, maximal hundert Kilometer …«
Ich vertraute dem Augenmaß des Obersten. Wäre unsere Beziehung auch nur ansatzweise die alte gewesen, hätte ich, ehrlich gesagt, nichts dagegen gehabt, ihm das Kommando zu überlassen. Das spürte Danilow.
»Petja, du bist natürlich derjenige, der hier die Befehle erteilt, aber ich würde dir raten, zehn, zwanzig Kilometer von einer dieser Anomalien entfernt zu landen. Möglichst in einem Bereich mit angenehmem Klima. Wahrscheinlich sollten wir am besten zu Fuß gehen.«
»Gut.«
Wir landen, Bordpartner. Der Landepunkt sollte …
Sieben
Wenn Danilow bereits die von den alarischen Ingenieuren umgerüstete Wolchak für einen undenkbaren, nie zu erreichenden technischen Durchbruch hielt – was wollte er dann erst zum Schiff der Geometer sagen?
Bis auf die Plasmawoge jenseits der Schiffshülle war bei der Landung nichts so, wie wir es kannten. Keine Beschleunigung, kein Geschüttel, nicht einmal Geräusche, die ins Cockpit der Fähre gedrungen wären.
Das Problem mit der Schubreserve existierte ebenfalls nicht, denn wir stiegen auf einer derart energieintensiven Bahn ab, dass jeden Ballistiker der Schlag getroffen hätte.
»Selbst die Starken Rassen verzichten lieber auf solche Experimente«, stieß Danilow aus, als das Schiff die Geschwindigkeit drosselte. »Das ist nicht nur einfach energieintensiv, das ist auch gefährlich. Es belastet die Konstruktion …«
Die technische Vollkommenheit der Geometer machte ihm nach wie vor zu schaffen. Früher wurde der Fortschritt einer Gesellschaft an ihren wissenschaftlichen Errungenschaften gemessen, an ihrer Produktionskapazität oder den sportlichen Leistungen einzelner Menschen. Danilow war anscheinend noch immer in solchen Schemata verfangen.
Im Unterschied zu mir.
Ich wusste nämlich nicht mehr, warum eine Zivilisation einer anderen eigentlich überlegen sein sollte. Weil sie größere Strecken zurücklegen konnte? Härtere Legierungen herstellte? Über einen unerschöpflichen Energievorrat verfügte? In dem Falle wären die Geometer wirklich allen anderen überlegen. Aber auch wenn man jenes zarte Ding nahm, das sich gewöhnlich menschliches Glück nannte, war die Situation nicht ganz klar.
Denn sie waren ja glücklich …
Mochten ihrer Gesellschaft auch aus meiner Sicht unentbehrliche Attribute der Freiheit fehlen, mochte der unbestreitbare Fortschritt auch von militärischer Askese überdeckt werden. Aber selbst wenn man das Gute und das Böse gegeneinander abwog, das Glück und das Unglück, war die Erde den Geometern hoffnungslos unterlegen. Denn selbst Tausende solcher »Sanatorien« wie der Frische Wind, in das ich die Ehre hatte, eingewiesen zu werden, wiegen nicht so viel wie eine durchschnittliche Strafkolonie auf der Erde. Und sollten sich »nur« neunzig Prozent der Bevölkerung auf Der Heimat für glücklich halten, hätten wir ihnen absolut nichts entgegenzusetzen. Mit Sicherheit nicht jene »goldenen zwanzig Prozent«, nicht jene Bevölkerungsschicht der entwickeltsten Länder der Erde, die Wohlstand und Zufriedenheit in einer in Armut erstickenden Welt genießt.
Ich könnte nicht sagen, warum wir besser als die Geometer sein sollen. Ich wüsste nicht einmal, was die einfachen Menschen auf der Erde wählen würden, die stolze und arme Freiheit oder die fürsorgliche Betreuung durch Ausbilder. Die Meinungen von Danilow und Mascha sprachen nicht gerade für mich.
Aber eins wusste ich ganz genau.
Wenn in dieser in Dunkelheit versunkenen Welt, die jetzt unter uns lag – unter uns, absolut unvollkommenen Menschen, die einander nicht über den Weg trauten und völlig unterschiedlichen Träumen nachhingen – wenn es in dieser Welt auch nur die geringste Chance gab, die Geometer aufzuhalten, sie vom Konklave – das ich so sehr hasse – fernzuhalten, dann würde ich diese Chance ergreifen.
Ich würde sie ergreifen – oder für immer in der Dunkelheit bleiben.
»Hätten wir bei den Geometern auch so problemlos landen können, Petja?«, fragte mein Großvater.
Ich schüttelte den Kopf. Nein, unter gar keinen Umständen. Sobald ein Planet das Niveau aufweist, das die Erde am Ende des letzten Jahrhunderts erreicht hat, ist eine derart problemlose Landung unmöglich. Schließlich hütet jeder seinen größten Schatz: den Himmel.
Danilow hüstelte. »Und die Geometer haben verstanden, dass eine solche Sorglosigkeit die größte Heimtücke ist …«, sagte er mit trauriger, monotoner Stimme. »Daraufhin sind sie panisch ans andere Ende der Galaxis geflohen, ohne auch nur zu versuchen, hinter die Sache zu steigen … Pjotr, wenn bei uns was schiefgehen sollte, ob ich mich dann bei ihnen als Chronist durchschlagen könnte? Was meinst du?«
»Ich denke schon, dass das klappen könnte«, antwortete ich. Danilow musste am Boden zerstört sein, wenn sein typisches Herumgealbere schon zu solch verzweifelten Witzeleien verkam.
Die Geschwindigkeit des Scouts war bereits auf verschwindende vier-, fünfhundert Stundenkilometer gesunken. Er flog über eine flache, grau-braune Steinfläche. Komischerweise war es an der Oberfläche dieses sonnenlosen Planeten relativ hell, fast wie auf der Erde bei Vollmond. Der Himmel, dieser in Sternen versinkende Himmel, brannte über der Welt des Schattens.
Ich stand auf – die Bewegungen spürte ich kaum – und presste mich gegen die Kuppel. Zugegeben, das war dumm, schließlich war das ein Bildschirm, kein Glas. Die Darstellung blieb allerdings ideal.
Hundert Meter unter uns erstreckten sich sanfte Hügel. An der Oberfläche schimmerte etwas, vermutlich nichts Künstliches, sondern Erzgänge. Ob es hier Leben gab?
»Setz dich, Pjotr«, bat Danilow. All seine Instinkte protestierten gegen den Wahnsinn, in einem Schiff zu stehen, das gerade dynamische Manöver durchführte.
Ich tat, was er verlangte. Etwas Neues hatte ich sowieso nicht gesehen, denn das Schiff kontrollierte den Raum selbst.
Fast im selben Moment ging der Scout scharf nach unten. In meinem Innern gefror alles, nicht wegen des Falls – den gab es gar nicht –, sondern weil sich die Welt nun um uns drehte. Das Schiff steuerte die Oberfläche in einem Bogen an, verharrte einen Moment in der Luft und sank dann. Das gleichmäßige, kaum wahrnehmbare Geräusch verschwand, die Atmung der Mechanismen stockte.
»Wir sind da.« Ich berührte das Terminal.
Die Landung ist erfolgt.
Irgendwelche Veränderungen? Lebende Organismen? Künstliche Objekte?
Nein. Der nächste Bereich mit Energieabsorption liegt zwanzigtausend Schritt entfernt. Ich markiere die Richtung.
An der Kuppel leuchtete ein Licht auf, ein blauer Faden zog sich durch die Hügel. Als ich bemerkte, wie meinen Gefährten die Gesichtszüge entglitten, beeilte ich mich zu erklären: »Das ist die Richtung, in der das nächste anormale Objekt liegt …«
Der Faden erlosch.