»Halt!«, schrie Mascha. »Bleiben Sie stehen!«
»He«, rief Danilow.
Wir verstanden, was jetzt passierte, alle im selben Moment. Aber wir konnten nichts mehr dagegen tun. Die Frau verlangsamte den Schritt, als zögere sie. Machten sie unser Geschrei und unsere Gesten denn überhaupt nicht neugierig?
Die Frau ging einfach weiter.
»Sieh mal!« Danilow packte mich am Arm. »Sieh doch!«
Die Luft flirrte, erzitterte vor Kälte. Die Silhouette der Frau wogte leicht, beinahe wie ein Spiegelbild im Wasser. Über die Steinfläche, die sie nun erreicht hatte und die sie anscheinend weitaus klarer sah als wir, ergoss sich eine Welle fahlen Lichts. Eine behände, sanfte Welle, die ihre Figur fortspülte, ihre Farben und Formen auflöste.
Als das Licht erlosch, stand niemand mehr vor uns.
»Das ist ein Tor«, krächzte Mascha heiser. »Das … ist ein Tor.«
»Eine Schleuse«, korrigierte Danilow sie. Er sah mich an. »Jetzt weiß ich auch, woran mich dieser Planet erinnert, Petja.«
Ich nickte. Ich hatte es ebenfalls begriffen. »Eine Quarantänestation.«
Möglicherweise war das ein falscher Vergleich. Bisher war ich nur einmal auf einer Quarantänestation gewesen, während der Einführungskurse im Studium. Nach der Landung mit dem Reptiloiden hätte man mich durchaus dorthin abschieben können, aber … das war nicht geschehen. Jetzt fielen mir jedoch prompt wieder das flackernde, irritierende Licht der Deckenlampen mit den integrierten UV-Luftentkeimungslampen, der synthetische Beigeschmack der sterilen, ozonisierten Luft und die schwere, undurchdringliche Stille ein.
»Das ist ihr Vorposten«, flüsterte Danilow. »Ein Planet, auf dem einfach jeder landen darf! Und dann geht’s mit ihrem Transportsystem weiter …«
»Aber wohin?«, hakte Mascha nach.
»Woher soll ich das wissen? Auf einen anderen Planeten. In unterirdische Städte. Ins Jenseits.«
»Wer war diese Frau, Karel?« Ich sah den Reptiloiden an.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie eine Pilotin der Geometer, eine von denjenigen, die von hier nicht zur Heimat zurückgekehrt sind. Vielleicht ist sie aber auch von hier.«
»Aber du wunderst dich nicht darüber, dass diese Zivilisation ebenfalls humanoid ist?«
Der Reptiloid betrachtete mich mit mitleidiger Verwunderung. »Nicht im Geringsten. Wenn die Geometer dich für einen Agenten des Schattens gehalten haben, heißt das, dass es in dieser Zivilisation auch Wesen mit dem Äußeren von Menschen geben muss.«
»Und was ist mit der Frau passiert?«
»Wahrscheinlich hat Danilow recht. Dieser Planet gehört zu ihrem Transportsystem. Hier gibt es Tore.«
»Und was sollen wir jetzt tun?«
»Zurückkehren. Oder der Frau folgen. Ich würde vorschlagen, diese runde Steinfläche zu betreten.«
»Und ich würde vorschlagen umzukehren«, mischte sich Danilow ein. »Aber das wäre nur dann sinnvoll, wenn du auch damit einverstanden bist, Pjotr.«
Ich blickte zu der Stelle hinüber, an der die Frau verschwunden war. Etwas in mir protestierte lautstark: ›Geh da nicht hin!‹ Nein, ich glaubte nicht, dass wir gerade eben Zeugen eines extravaganten Selbstmords geworden waren. Das hier war wohl in der Tat eine Art Transportterminal, vergleichbar mit den Kabinen der Geometer.
Und mit einem einzigen Schritt nach vorn würden wir die Spielregeln akzeptieren, nach denen die Zivilisation des Schattens funktionierte. Wer auch immer sie sein mochten – Menschen wie wir oder Wesen, die zu Metamorphosen fähig waren wie die Cualcua.
Sie hielten es nicht für nötig, diesen Planeten zu bewachen, bei dem es sich einfach um einen Landeplatz handelte. Ja, es war sogar gut möglich, dass die Besucher hier obendrein tatsächlich desinfiziert wurden …
Anschließend stand den Gästen dann ein über den ganzen Kontinent gespanntes Netz von Toren zur Verfügung. Gerade eben war uns demonstriert worden, wie sie funktionierten. Sollte das ein Zufall gewesen sein? Das würde ich nie im Leben glauben! Damit stand ich vor der Wahl, durchs Tor zu gehen – oder mich davonzuscheren.
»Das sieht wirklich nach einer Hyper-Zivilisation aus, Andrej Valentinowitsch«, sagte Mascha. Als ihr klar wurde, dass sie sich an einen Menschen wandte, den sie für tot erklärt hatte, erschauderte sie.
Keine Ahnung, ob der Zähler von sich aus auf den Gedanken gekommen war, meinem Großvater das Wort zu überlassen, oder ob dieser es gefordert hatte. »Das wäre aber eine kümmerliche Zivilisation, Mädchen. Mit einer horizontalen Entwicklung. Wie in den alten amerikanischen Romanen, wo es auf jedem Asteroiden eine Bar gibt, eine kleine Kirche und einen Sheriff mit Stern.«
Mein Großvater stieß ein Hüsteln aus, das schon sehr überzeugend klang. Mittlerweile kam er ziemlich gut mit den Sprechwerkzeugen des Reptiloiden zurecht.
»Ein Planet, der als Weltraumbahnhof und zugleich als Diele fungiert, das ist doch absurd«, fuhr er fort. Ein alter Science-Fiction-Schriftsteller hat einmal gesagt: ›Die Galaxis ist zu klein für mich. In ihr gibt es ja nur hundert Millionen Sterne. Das ist nicht meine Kragenweite, deshalb schreibe ich über Metagalaxien.‹ Er hätte sich lieber einen einzelnen Stern genau vornehmen sollen …«
Danilow kicherte leise.
»Aber das Ganze muss doch irgendeinen Sinn haben, oder?«, bohrte Mascha mürrisch weiter. »Ja wohl wenigstens ansatzweise … Nur um Größe zu demonstrieren … nein, das ist zu wenig. Also … wozu das Ganze, Andrej Valentinowitsch?«
Mein Großvater schwieg lange. »Mascha, wenn ich recht habe«, sagte er schließlich verlegen und widerwillig, »dann würde dir die Antwort nicht sonderlich gefallen. Mich selbst begeistert sie auch nicht gerade.«
Ging das schon wieder los? Gut, ich verstehe das, zeit seines Leben war es für meinen Großvater nicht darauf angekommen, was er wusste, sondern was er verheimlichen konnte. Anspielungen, vage Drohungen, Sand, den er einem in die Augen streute, nebulöse Prophezeiungen – all das hatte es ihm erlaubt, der Rolle des Schreibtischgelehrten zu entschlüpfen und in den dreckigen Sumpf politischer Intrigen hineinzuwaten.
Aber wenigstens jetzt könnte er sich doch mal anders verhalten!
»Großpapa, soll ich da durch?«
»Ich glaube, es wäre für uns alle sinnvoll, durch dieses Tor zu gehen.«
»Ohne dich könnten wir sowieso nicht von hier wegfliegen«, erinnerte mich Danilow. »Ich glaube zwar nicht, dass das eine kluge Entscheidung ist, aber wenn du da durchgehst … dann müssen wir alle mit.«
Wahrscheinlich musste ich mich damit abfinden.
Und sei es nur deshalb, weil mir diese Welt mehr als deutlich ihre Macht vorgeführt hatte. Eine Zivilisation von einem derartigen Potenzial ist kein optimaler Verbündeter. Überhaupt eignete sie sich für uns als Partner etwa genauso gut wie das britische Empire in seiner Blütezeit für irgendeine gottverlassene afrikanische Kolonie.
»Dann lasst uns gehen«, sagte ich. »Vielleicht ist es besser, wenn wir uns bei den Händen fassen. Und dich … Karel … tragen wir.«
»Ich habe nichts dagegen«, willigte mein Großvater ein.
Ich nahm den Reptiloiden auf den Arm und schaute Danilow an. Schweigend packte er meinen Ellbogen, Mascha trat dicht neben ihn.
»Du hast nicht noch ein paar von deinen Spielzeugen übrig?«, wollte ich von ihr wissen.
»Nein«, antwortete sie. Es hörte sich ehrlich an.
Aber was sollte uns eine Laserpistole hier schon nutzen? Oder sogar der viel gerühmte alarische Ggorschsch?
»Es tut mir leid, dass ich euch in diese Situation gebracht habe«, sagte ich, während wir ungeschickt, mit der Grazie verirrter Kleinkinder den Hang hinunterkraxelten. »Wenn ich …«
»Spar dir das!«, knurrte Danilow, allerdings ohne wirklich böse zu klingen. »Dafür ist es jetzt zu spät.«
Worin die unregulierte Struktur dieses Orts und erst recht die Absorption von Energie bestand, das wusste nur das Schiff. Ich selbst bemerkte nichts Auffälliges. Selbst als wir über kleine, unter den Füßen knirschende Kieselsteine stapften, selbst als wir jene Stelle erreichten, wo die unbekannte, an ein Gespenst erinnernde Frau verschwunden war, passierte nichts. Danilow hielt meinen Arm fest gepackt, so dass wir nebeneinandergingen, wie drei Idioten, die sich zu einem Sirtaki-Schnellkurs entschieden hatten. Der Reptiloid – mir war nicht klar, wer gerade den Körper kontrollierte – schaute sich aufmerksam um.