Diese Frage hätte ich mir wohl besser verkniffen. In Galis’ Blick blitzte Verwunderung auf.
»Sie haben sich selbst verändert. Jetzt kommen sie bestens mit der endemischen Umwelt zurecht.«
»Sag mal, Pjotr, hast du denn noch gar nichts über unsere Welt gehört?«, fragte Schnee.
»Nicht das Geringste.«
Der Hauptmann und Schnee wechselten fassungslose Blicke.
»Ein Fehler kann hier nicht vorliegen«, behauptete Galis kategorisch. »Und letzten Endes geht uns das auch gar nichts an, Schnee.«
Schnee nickte. »Wie heißt denn deine Welt?«, fragte er nach kurzem Schweigen.
»Erde.«
»Ist mir klar, dass es die Erde ist. Aber wie heißt sie nach außen hin?«
Jetzt musste ich mir was einfallen lassen. Und zwar schnell. Die Zivilisation des Schattens war anscheinend heterogen. Man hielt mich für einen Menschen von einem anderen Planeten, noch dazu für einen – warum auch immer – absolut loyalen. Aber wenn ich jetzt nicht überzeugend erklären konnte, woher ich kam, dann …
Die Binnenklassifikation des Konklaves fiel mir ein. Danach trug die Erde die Nummer 189. Wie sie ausgerechnet dazu gekommen war, wusste ich nicht, schließlich gab es weitaus weniger intelligente Rassen. Aber immerhin war das eine recht ehrliche und zugleich irreführende Antwort.
»189.«
»Wer nennt euch denn so?«, fragte Galis schnaubend.
»Die Bewohner der anderen Planeten.«
»Also mir sagt das gar nichts«, gestand Galis. »Von deinem Planeten habe ich noch nie etwas gehört. Ich selbst bin hier geboren. Auf meiner Erde.«
»Welche Sprache sprecht ihr?«, wollte Schnee wissen. »Sprichst du mit uns in deiner Sprache?«
»Nein. Ich habe eure Sprache gelernt, als ich hierhergekommen bin.«
»Das habe ich mir gleich gedacht. Du hast eine zu korrekte Aussprache. Kannst du mal was in deiner Sprache sagen?«
Tolle Bitte. Im Moment meinte ich, sogar in ihrer Sprache zu denken. Russisch, Englisch und die Sprache der Geometer – diese Sprachen waren einfach verschwunden, die hatte ich schlichtweg vergessen.
Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, Danilow stünde vor mir. Oder mein Großvater.
»Ich werde es versuchen«, sagte ich. »Bitte schön …«
Meine Worte kamen mir fremd vor. Dabei sprach ich Russisch.
Schnee stieß ein leises Brummen aus. Dabei handelte es sich allem Anschein nach um gesprochene Worte – und zwar in jener Sprache, die ich gerade eben selbst noch fließend gesprochen hatte.
Oh, verdammt …
Fürchterliche Kopfschmerzen explodierten in mir.
Galis Worte drangen wie durch Watte zu mir: »Diese Sprache habe ich auch noch nie gehört. Aber gut. Das spielt ja wohl keine Rolle, nicht wahr, Schnee! Dich hat schließlich damals auch niemand so in die Mangel genommen!«
Ich öffnete die Augen und sah die beiden an. Der Spuk war vorbei. Ich verstand ihre Sprache wieder. Nur in meinen Schläfen hämmerte noch der Schmerz.
»Mach dir keine Gedanken, Pjotr«, sagte Schnee. »Wir haben halt einfach noch nichts von deiner Welt gehört.«
Anscheinend fürchteten sie, mich beleidigt zu haben.
»Von seinem Planeten«, sagte Galis sanft, »hatte ich vorher auch kaum was gehört. Ich wusste, dass es die Regenbogen-Brücken gibt, das war aber auch alles. Deren Dialekt müsstest du mal hören …«
»Nun mal halblang, Hauptmann!« Schnee riss den Kopf hoch. »Da bin ich wirklich ganz anderer Ansicht!«
»Übrigens gibt es viele Welten, die sich durch nichts hervortun … Ich meine, die unserer Erde nichts zu bieten haben …«
Na bitte.
Allmählich löste sich das Rätsel. Der Schatten musste ein Konglomerat von Zivilisationen sein. Die Tore wurden ausschließlich für den interplanetaren Verkehr genutzt. Sie gaben einem die jeweilige Sprache mit, eine recht bequeme und naheliegende Lösung. Mich hielten die beiden für einen Freiwilligen, der ihnen helfen wollte … oder schlicht für einen Abenteuerlustigen.
Stimmte das?
Wahrscheinlich. Trotzdem irritierte mich noch etwas, gab es noch einige Ungereimtheiten.
»Sieh mal, Pjotr!«
Der Dschungel endete. Jetzt lagen gepflegte Felder vor uns, die mit Korn bestellt waren. In der Ferne, hinter diesem grünen Teppich, machte ich Gebäude aus.
»Das ist unser Stützpunkt.«
Im Grunde hätte er mir das nicht sagen müssen. Garnisonsstädte gleichen sich alle, in jeder Welt und bei jeder Rasse. Selbst die Kasernen der Soldaten von Hyxi in einem Kosmodrom waren auf Anhieb als militärische Anlage zu erkennen.
»Dahinter liegt die Stadt, am Fuß der Berge«, teilte mir Schnee mit. Er grinste. »Ein lustiges Städtchen. Es wird dir gefallen.«
»Im nächsten Monat kannst du dir sämtliche Amüsements abschminken«, drohte der Hauptmann.
Ich achtete nicht weiter auf ihr Geplänkel, das eher an den Streit von zwei Händlern auf dem Markt als an eine Auseinandersetzung zwischen einem Befehlshaber und seinem Untergebenen erinnerte. Ich spähte zum Stützpunkt hinüber.
Vor langer, langer Zeit, noch während der Studiums, hatte ich davon geträumt, Militärpilot zu werden. Nicht Kosmonaut, nicht Pilot von Passagierflugzeugen, sondern Militärflieger. In einer kleinen Garnison am Arsch der Welt, irgendwo an der chinesischen Grenze, denn damals hatten alle befürchtet, China würde weiter expandieren. Von mir aus auch irgendwo im Westen … Oder wenigstens in einer alten MiG, in der ich die wendigen kleinen Flugzeuge der ukrainischen Drogenbarone jagen würde. Kurz und gut, die übliche blutdürstige Teenager-Romantik, die von meinem Großvater noch geschürt wurde.
Später gab sich das natürlich. Außerdem hatte anscheinend niemand mehr die Absicht, gegen Russland Krieg zu führen, die Zeiten waren damals schon passe. Dennoch meldete sich hin und wieder dieses idiotische Gefühl, meinen Kindheitstraum verraten zu haben. Und selbst wenn ich mir hundert Mal in Erinnerung rief, dass ich meinem Land – und der ganzen Menschheit – im Kosmos weit mehr nützte, es der hypothetischen lichten Zukunft viel näher brachte, blieb ein schaler Nachgeschmack zurück.
Nun sah ich vor mir eine komisch anmutende Parodie auf all meine Teenagerträume. Eine Reihe langer Hangars, kurze Startbahnen, flachere Bauten, in denen vermutlich die Wohnungen und Diensträume untergebracht waren, kleine Radartürme und ein Maschendrahtzaun. Alles war aus demselben papierähnlichen Material angefertigt wie auch unser Schiff. Dieses Zeug täuschte also seine Zerbrechlichkeit nur vor, war aber eigentlich verdammt solide. Und obendrein mit Technik vollgestopft.
So gehen Wünsche in Erfüllung. Ich hatte in einer Grenzgarnison dienen wollen? Bitte sehr! Gut, die Garnison lag auf einem anderen Planeten. Dafür boten sich hier Gelegenheiten in Hülle und Fülle, irgendwelchen wahnsinnigen Ökos im gemeinsamen Kampf mit nicht minder wahnsinnigen Piloten Paroli zu bieten.
»Was amüsiert dich denn?«, wollte Schnee wissen. Wir schössen direkt auf den Zaun zu. Entweder würde das Schiff also das zwei Meter hohe Hindernis überwinden oder vor uns würde sich ein Durchgang öffnen.
»Das erinnert mich an einen … Ort, den ich kenne.«
Mit der Antwort zufrieden, nickte Schnee.
Vor dem Schiff öffnete sich ein Durchgang. Die Elemente des Zauns schienen zu schrumpfen und sich ineinanderzuschieben. Vermutlich konnte sich das Schiff nicht weit über die Erde erheben. Sobald es die Mitte des Stützpunktes erreicht hatte, hielt es an und senkte sich langsam zu Boden. Weit und breit war niemand zu sehen.
»Schnee, kümmere dich um den Jungen.« Galis trat als Erster auf die Steinplatten hinaus, mit denen diese Fläche, eine Art Platz, ausgelegt war.
»Das brauchst du mir nicht extra zu sagen, das ist mir sowieso klar.«
Der Hauptmann reagierte mit keinem Wort auf die Antwort. »Pjotr, wenn du mit mir reden willst, komm einfach vorbei«, lud er mich ein. »Ich würde mich freuen.«