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»Aber du hast doch selbst von einer dritten Kraft gesprochen!«, rief ich.

»Der Schatten ist nicht die dritte Kraft, Pjotr. Sondern bereits die vierte. Die Schwachen Rassen, die Starken Rassen, die Geometer, der Schatten. Die Gesetze der Existenz einer Gesellschaft unterscheiden sich von den Gesetzen der Physik. Während in der Astronomie die Wechselwirkung von drei Körpern zu einem Problem wird, führt in der Politik der vierte Faktor zur Unbestimmtheit. Wenn wir unsere gegenwärtigen Probleme auch noch um den Schatten erweitern – worum auch immer es sich bei ihm handeln mag –, kann niemand das Ergebnis vorhersagen.«

»Aber was, wenn uns das mutmaßliche Ergebnis nicht schmeckt?«, fragte ich. »Großpapa, wenn beide Varianten in eine Sackgasse führen, müssen wir dann nicht einen neuen Weg suchen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Schließlich bin ich nicht bei den Geometern gewesen, Petja.«

»Aber ich!«

Darauf sagte niemand ein Wort. Ich tigerte durchs Zimmer. »Kann ich hier raus?«, wollte ich nach einer Weile wissen. »Ihr habt doch keine Fragen mehr, oder?«

Als Antwort erhielt ich ein betretenes Schweigen.

»Hab noch etwas Geduld, Petja«, bat mein Großvater schließlich. »Es hat einen bestimmten Grund … bleib vorerst noch da.«

Daraufhin schwiegen sie entweder erneut oder sie hatten die Verbindung abgeschaltet. Wahrscheinlich Letzteres.

Was sollte das? Hielten sie mich etwa für einen Doppelagenten? Wollten sie mich überprüfen und durchleuchten, wie die Geometer es getan hatten? Wut kochte in mir hoch. Immerhin saß in meinem Körper ja auch noch ein Cualcua! Sollten sie den doch ausquetschen!

Wir antworten niemals auf Fragen, Pjotr.

Warum nicht?, fragte ich in Gedanken zurück. Dass der Cualcua das Wort ergriff, noch dazu ohne ersichtlichen Grund, überraschte mich.

Wir könnten auf zu viel antworten.

Das verstehe ich nicht!

Aber die Alari verstehen es. Der Cualcua zögerte, bevor er fortfuhr: Es liegt nicht an dir, Pjotr. Du bist bereits allen denkbaren Tests unterzogen worden. Nur wurden diese Tests, im Unterschied zu denen bei den Ceometern, nicht offiziell angekündigt.

Hier geschah etwas Seltsames. Etwas sehr Seltsames. Der Cualcua stellte sich auf meine Seite. Im Unterschied zu meinen Freunden!

Warum könntet ihr auf zu viel antworten?

Der Cualcua schwieg.

Cualcua, wie viele Individuen zählt eure Rasse?

Das hast du bereits verstanden.

Täuschte ich mich – oder freute er sich wirklich darüber, dass ich hinter dieses Rätsel gestiegen war?

Ihr seid … nur eins?

Der Cualcua schwieg. Sicher, er gab mir keine direkte Antwort – aber manchmal ließ er sich eben zu einem mitleidsvollen Schweigen herab. So waren sie, die kleinen amöbenhaften Cualcua, das Spielgeld in den kosmischen Spielen, diese trägen Wesen ohne jeden Ehrgeiz. Nein, nicht diese Wesen. Das eine Wesen! Das eine Wesen, das ein einziges Ganzes bildet. Für immer. Es fürchtete den Tod nicht – weil der Tod für dieses Wesen nicht existierte!

Gütiger Gott, was bedeuten für ein solches Wesen schon die Macht der Starken Rassen, ihre Gewalt und ihre Arroganz, die diplomatischen Spielchen und die galaktischen Intrigen! Der Cualcua ließ zu, dass man ihn benutzte, weil ihm der Verlust der Zellen keine Angst einjagte. Denn er war ein einziges Ganzes, das, aufgesplittert im Universum, in fremden Körpern und Mechanismen lebte, sich im Licht Tausender von Sonnen wärmte und mit Milliarden von Augen auf die Welt blickte! Welche Kraft, welche Gesetze des Seins erlaubten es den einzelnen Gallertklumpen, die Hunderte von Parsec voneinander trennten, gemeinsam zu denken? Welche Welt konnte die Cualcua hervorgebracht haben?

Die Zähler, die Alari, die Hyxoiden, sogar die Stäubler und die Jentsh – sie alle waren ja fast Menschen! Jedenfalls verglichen mit den Cualcua.

Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, erinnerte mich, wie geschickt der Cualcua meinen Körper verändert hatte. Ich hatte es, ohne groß darüber nachzudenken, als Notwendigkeit akzeptiert – obwohl ich mir eigentlich den Kopf hätte darüber zerbrechen müssen, wie er das Massenerhaltungsgesetz umschiffen konnte, als er mich in Fed und wieder zurück verwandelt hatte.

Keine Angst, Pjotr. Wir streben nicht nach Macht.

Ich brach in Gelächter aus. In meinem Körper lebte kein Symbiont – sondern eher ein Teil von einem Gott. Von einem echten Gott, der weder Donner noch Blitze oder die Zehn Gebote brauchte … Aber nein, wahrscheinlich hinkte der Vergleich. Die Gottesrolle passte nicht zu dem Cualcua, und er beanspruchte sie ja auch gar nicht für sich. Man kam der Wahrheit wohl näher, wenn man ihn als Teil der Natur betrachtete. Als etwas Altes und Unauslöschliches, wie der Wind, das Licht oder das Rauschen der Hintergrundstrahlung. Der Wind kann auf jede Macht verzichten – und selbst wenn man ihn in einem Segel einfängt, sollte man sich nie für seinen Gebieter halten. Dann hat er lediglich eine Weile denselben Weg gehabt …

Warum sprichst du dann von wir?, stellte ich in Gedanken eine Frage. Wenn du eigentlich nur einer bist!

Was bedeuten schon Wörter, Pjotr?

Was bedeuten Wörter? Nichts, vermutlich. Du bist allein, ich bin allein. Wir alle sind für alle Zeiten einsam, wie viele selbstverliebte Lebewesen eine Rasse auch zählen mag. Jeder von uns stellt eine eigene Zivilisation dar. Mit ihren Gesetzen und ihrer Einsamkeit. Trotzdem zog sogar der Cualcua es vor, von »wir« zu sprechen …

Ich trat an die Tür heran, einen Teil der Wand, der sich kaum vom Rest unterschied. Eine niedrige Tür, bequem für die Alari. Ich legte die Hand darauf, glaubte aber im Grunde nicht daran, dass der mir unbekannte Mechanismus die Güte haben würde, sich zu öffnen.

Die Tür glitt in die Wand hinein.

In dem weitläufigen Saal hielten sich zwei Alari auf. Sie lagen auf niedrigen Sesseln, die vor einer Art Pult standen. Auf mich wirkte dieses Pult wie eine riesige Kristalldruse, gekrönt von einem matten, ausgeschalteten Bildschirm. Vielleicht war der Bildschirm auch eingeschaltet, und mein Blick konnte nur kein Bild erkennen. Das graue Fell der Alari sträubte sich, als sie mich erblickten. Bei beiden baumelte am Hals ein Cualcua. Hervorragend.

»Ich muss Stoffwechselprodukte aus meinem Organismus ausscheiden«, teilte ich ihnen mit. »Wo kann ich das erledigen?«

Die Geschichte wiederholt sich als Farce …

Einer der Alari erhob sich und trippelte zu einem endlosen Tunnel. »Folgen Sie ihm bitte«, bat mich der andere.

Jetzt war ich kein Gefangener mehr, der eingesperrt gehörte und nicht aus dem Zimmer gelassen werden durfte – es sei denn für eine kleine Theatervorstellung – jetzt war ich Träger wichtiger Informationen, Repräsentant einer verbündeten Rasse.

»Das ist ein sehr intimer Prozess, über den niemand in Kenntnis gesetzt zu werden braucht«, bemerkte ich.

Indem ich den einen unglückseligen Techniker mit einem kleineren ethischen Problem konfrontiert zurückließ, folgte ich dem anderen. Als sich der Tunnel nach zwanzig Metern gabelte, sagte ich: »Bring mich zu den Vertretern meiner Rasse! Sofort.«

Der Alari zögerte. Er dürfte kaum ein durchschnittlicher Vertreter seiner Rasse sein und insofern wissen, dass ich da etwas Außerordentliches verlangte. Zwei triftige Gründe hinderten ihn jedoch, mir die Bitte einfach abzuschlagen: zum einen mein recht ehrenvoller Status, zum anderen die Erinnerung an die blutige Flucht Nik Rimers.