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»In dieser Welt greift sie niemand an«, mischte sich Kelos ein. »Es gibt aber auch Stationen, die im permanenten Krieg mit den umliegenden Planeten leben.«

»Ich habe davon gehört …«

O ja, Mascha war bereits gut ins Leben der Liga integriert. Und in ihrer Stimme schwang echte Anteilnahme mit.

»Wenn ich es richtig verstanden habe, verfügst du über gewisse Kampferfahrungen, Kelos?«

»In Maßen«, antwortete Kelos im gleichen Ton, in dem er seinem Sohn erklärt hatte, was ein Sarkophag ist.

»Ist die Handelsliga in der Lage, der Erde zu helfen?«

»Pjotr und ich haben das schon durchgespielt. Nein. Die Liga verfolgt eine andere Politik. Und die Welten, die in der Lage zu einer Intervention wären, muss man viel zu lange suchen. Eurer Erde bleiben aber, wenn ich es richtig verstanden habe, nur zwei, drei Tage …«

Mascha blieb wie angewurzelt stehen. »Nur drei Tage?«

»Ich habe mit dem Cualcua gesprochen«, erklärte ich ihr.

»Ja, und?«

Ach ja. Von den anderen wusste ja niemand, wie das wahre Wesen dieser kleinen gehorsamen Rasse beschaffen war.

»Er steht in Verbindung … zu anderen Individuen seiner Rasse.«

»Und?«

»Die Starken Rassen haben von den Geometern erfahren. Das Geschwader der Alari ist zurückbeordert worden, um Rechenschaft abzulegen. Anscheinend ist das sofort geschehen, nachdem wir das Schiff verlassen hatten.«

»Drei Tage … uns bleiben nicht mehr als drei Tage? Aber Andrej Valentinowitsch hat gesagt, wir brauchen mindestens zwei Wochen …«

»Gehen wir, Mascha«, bat ich sie sanft. »Je eher wir alles mit meinem Großvater besprechen, desto besser.«

Das Leben bei der Handelsliga musste entweder sehr gemächlich sein oder Mascha kannte keinen schnelleren Weg. Bis zum Zentrum der Station brauchten wir fast eine Stunde. Wir gingen meist zu Fuß, zweimal mussten wir allerdings auch riesige, leere Fahrstühle nehmen. Es begegneten uns nun häufiger Bewohner der Station, die sich jedoch nach wie vor nicht sonderlich für uns interessierten. Ob gerade dieses demonstrative Desinteresse an den Angelegenheiten anderer Mascha anzog? Wir bekamen allerlei Seltsames und Interessantes zu sehen, zum Beispiel Menschen mit veränderten Körperproportionen, Gebäude, die aus den Mauern und der Decke herauswuchsen, oder eine Gruppe von Jugendlichen, die in der Mitte des Tunnels entlangflog, wobei sie sich nicht selbst bewegten, sondern von einem Feld gezogen wurden. Einmal tauchte in der Ferne ein riesiges, mindestens nilpferdgroßes Wesen auf. Da ich es mir jedoch nicht länger ansehen konnte, wusste ich nicht zu sagen, ob es ein Alien oder bloß ein Roboter von bizarrer Form war.

Wir gelangten direkt zum Zentrum der Station. Jetzt beschrieb der Tunnel spiralförmig angeordnete Kreise. Kelos nahm all das mit absoluter Gelassenheit, er hatte schon genug solcher Stationen gesehen.

Was ich Mascha eröffnet hatte, schien alle anderen Gesprächsthemen im Keim erstickt zu haben. Ich erzählte ihr in knappen Worten, was ich erlebt hatte, und hoffte, sie würde im Gegenzug ebenso offen sein. Aber Mascha hörte mir nur nickend zu, ohne von sich etwas preiszugeben. Anscheinend fielen ihre Abenteuer weitaus stärker ins Gewicht, zumindest ihrer eigenen Einschätzung nach.

»Was ist mit Danilow?«, stellte ich die Frage, deren Antwort mir im Grunde schon klar war.

»Keine Ahnung. Es gibt hier immerhin mehr als zweihunderttausend Planeten.«

»Wirklich? Sind es inzwischen so viele?«, fragte Kelos beiläufig. »Der Schatten wächst …«

Ich schwieg. Ungeheuerlich. Verglichen damit nahm sich das Konklave wie ein mickriges Dorf gegenüber Moskau, Nowosibirsk oder auch der Hauptstadt aus.

»Am Anfang hat mich das auch erschreckt«, gab Mascha zu. »Aber du musst eins bedenken, Pjotr: Nur selten hat ein Planet des Schattens mehr als eine Million Bewohner.«

Logisch. Warum eingepfercht in Städten leben, warum sich auf einem einzigen Planeten zusammenquetschen, wenn einem eine solche Auswahl zur Verfügung steht? Und je geringer die Zahl der Bevölkerung war, desto einfacher ließen sich alle Menschen zufriedenstellen.

»Es gibt auch große Welten, meist die Zentren eines Imperiums oder einer Union. Aber über tausend Planeten sind nur von einem einzigen Menschen besiedelt!«

»Jedem Psychopathen seine eigene Welt … Ihr wisst ja schon recht gut über die Verhältnisse Bescheid.«

»Andrej Valentinowitsch sagt, dass die Handelsliga über die meisten Informationen verfügt. Zumindest über die Informationen, die ein Mensch verarbeiten kann. Es gibt nämlich auch Planeten, auf denen die Bewohner sich zu etwas weiterentwickelt haben, das ‚wir uns nicht einmal mehr vorstellen können.«

»Das weiß ich auch schon.«

»So, gleich sind wir da …«

Endlich sahen wir das Ende vom Tunnel vor uns. An dieser Stelle hatte er einen Durchmesser von rund zehn Metern, an den Wänden hingen keine Hütten mehr. Noch im Tunnel selbst, ganz kurz vorm Ausgang, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Mascha schielte immer wieder zu mir herüber, Kelos lächelte.

Was sollte das? Worüber sollte ich mich ihrer Ansicht nach denn wundern? Über den blauen Himmel, den ich in der Tunnelöffnung ausmachte? Über die frische Luft? Das Vogelgezwitscher?

Innerlich grinsend folgte ich Mascha und Kelos mit gelangweiltem Gesichtsausdruck. Der Tunnel mündete in einen flachen Trichter, durch den wir auf den Planeten gelangten. Kurz wurde mir schwindlig, anscheinend aufgrund des abrupten Wechsels des Gravitationsvektors.

Doch schon gleich darauf war wieder alles bestens.

Was für ein Wunder!

Unter uns Gras, über uns ein klarer blauer Himmel mit Schäfchenwolken. Ein breiter Fluss floss träge dahin, auf ihm bewegten sich die dreieckigen Silhouetten von Segeln, Jachten vielleicht oder Windsurfbretter. Ein grüner Wald. In der Ferne kleine Häuser, schmale, aparte Türme mit Fahnen …

»Wie hübsch«, sagte ich.

Sowohl Mascha als auch Kelos sahen mich völlig verzweifelt an. Ich drehte mich um und schaute in den Trichter. »Tief« unten zog sich ein grell beleuchteter Gang entlang. Jemand kletterte nachdenklich zu uns herauf.

»Aber ich bin doch begeistert«, stellte ich klar. »Wirklich! Kelos, ich habe mal einen alten Kinderfilm darüber gesehen, in dem eine Gruppe von Jugendlichen mit einem Photonenraumschiff zu einem anderen Stern fliegt. Das … war eine fiktive Geschichte, so etwas hat es nie gegeben. Jedenfalls war in diesem Film auf dem Schiff auch ein Illusionsraum eingerichtet worden. Es gaukelte dir absolut überzeugend vor, dich im freien Raum zu befinden …«

Sie lächelten beide. Sie wechselten sogar verständnisvolle Blicke. Bei Kelos ließ ich das durchgehen. Aber wie kam Mascha dazu loszukichern?

»Sieh dich einmal genauer um, Pjotr«, bat mich Kelos.

Ich ließ meinen Blick erneut durch die illusorische Welt schweifen. Und …

Es war wie ein Stromschlag: Ich spürte Tore. Ein Tor, dann noch eins, ein drittes … Nicht weit von uns entfernt, am Fluss, hinterm Wald …

»Das ist keine Illusion.«

Ein Zittern ergriff mich, kalte Gänsehaut rieselte mir über den Rücken. Ich drehte mich abermals um und blickte in den Trichter des Tunnels – und fuhr jäh zurück.

Denn ich erblickte einen Ort, weit, weit weg von hier …

Eine andere Welt …

»Dies hier ist der Planet der Handelsliga«, erklärte Mascha feierlich. »Jede Station hat einen direkten Zugang zu ihm.«

»Eine der Alternativen zu den Toren«, ergänzte Kelos. »Früher oder später wird die Liga die Welten auch untereinander mit ihren Tunneln verbinden. Was für Folgen das haben wird, vermag ich nicht zu sagen. Aber wie du dir denken kannst, wünsche ich ihnen Erfolg. Denn für mich hängt einiges davon ab.«

»Guter Gott …«, flüsterte ich bloß. Das Tor verbarg ja gnädigerweise den Moment des Übergangs. Und sie wirkten dann doch nicht ganz so profan, nicht wie ein Loch im Raum, wie ein Kaninchenbau für eine neugierige Alice …