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Tristran zog die Rinde fest, fädelte das Ende unter der letzten Lage durch und straffte das Band erneut. »Ich meine das wirklich nicht persönlich«, sagte er zu der jungen Frau und zu dem Wäldchen, in dem sie sich befanden. Unter den Sonnenstrahlen glitzerte sie kaum noch, außer an den Stellen, die ganz im Schatten lagen.

Das Sternmädchen fuhr mit einem bleichen Finger über die Silberkette, mit der sie an Tristran gefesselt war, strich auf und ab, um ihr Handgelenk herum, antwortete aber nichts.

»Ich habe das aus Liebe getan«, fuhr Tristran fort. »Und du bist meine einzige Hoffnung. Ihr Name – ich meine, der Name meiner Liebsten – ist Victoria Forester. Und sie ist das hübscheste, klügste und süßeste Mädchen auf der ganzen weiten Welt.«

Nun brach die junge Frau doch ihr Schweigen – mit einem verächtlichen Schnauben sagte sie: »Und dieses kluge, süße Wesen hat dich hierhergeschickt, um mich zu quälen?«

»Nun, so kann man es nicht sagen. Weißt du, sie hat mir alles versprochen, was ich mir wünsche – sei es, daß ich sie heiraten könne oder sie küssen dürfe –, wenn ich ihr den Stern bringe, der in der besagten Nacht vom Himmel gefallen ist. Ich dachte«, gestand er, »eine Sternschnuppe würde wahrscheinlich aussehen wie ein Diamant oder ein Stein. Eine junge Frau wie dich habe ich ganz und gar nicht erwartet.«

»Nachdem du nun also eine junge Frau gefunden hast, hättest du ihr da nicht helfen oder sie einfach in Ruhe lassen können? Warum mußt du sie in diese ganze alberne Geschichte mit hineinziehen?«

»Aus Liebe«, erklärte er.

Sie sah ihn an mit ihren Augen, die so blau waren wie der Himmel. »Ich hoffe, du erstickst daran«, sagte sie mit unbewegter Stimme.

»Das werde ich bestimmt nicht«, entgegnete Tristran überzeugter und fröhlicher, als ihm zumute war. »Hier. Versuch das mal.« Damit reichte er ihr die Krücke, bückte sich und wollte ihr beim Aufstehen behilflich sein. In seinen Händen kribbelte es durchaus nicht unangenehm, als seine Haut die ihre berührte. Aber sie saß auf dem Boden wie ein Holzklotz und machte keine Anstalten, sich zu erheben.

»Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich alles tun werde, um deine Pläne zu durchkreuzen«, meinte sie. Dann blickte sie sich um. »Wie langweilig die Welt am Tag aussieht. So glanzlos.«

»Stütz dich einfach auf mich und die Krücke«, sagte Tristran. »Du kannst hier doch nicht einfach liegen bleiben.« Er zog an der Kette, und widerwillig begann die Sternfrau aufzustehen, wobei sie sich anfangs an Tristran lehnte und dann auf die Krücke, als wäre ihr seine Nähe unangenehm.

Aber dann sog sie scharf die Luft ein und taumelte zurück ins Gras, wo sie mit verzerrtem Gesicht liegen blieb und leise Schmerzenslaute von sich gab. Tristran kniete sich neben sie. »Was ist?« fragte er.

Ihr blauen Augen blitzten auf, aber sie waren voller Tränen. »Mein Bein. Ich kann nicht darauf stehen. Offenbar ist es wirklich gebrochen.« Ihre Haut war so weiß geworden wie eine Wolke, und sie zitterte.

»Das tut mir leid«, meinte Tristran, was natürlich rein gar nichts brachte. »Ich kann dir eine Schiene basteln. Das hab’ ich schon oft für die Schafe gemacht. Dann geht’s bestimmt.« Er drückte aufmunternd ihre Hand. Er ging hinunter zum Bach, tunkte sein Taschentuch hinein und gab es der Sternfrau, damit sie sich die Stirn abtupfen konnte.

Mit dem Messer machte er sich an einem anderen herabgefallenen Holzstück zu schaffen. Kurz entschlossen zog er erst sein Wams, dann sein Hemd aus und riß letzteres in Streifen. Damit band er die zurechtgeschnittenen Stöcke so fest wie möglich um ihr verletztes Bein. Während er am Werk war, gab die Sternschnuppe keinen Laut von sich, aber als er den letzten Knoten zuzog, glaubte er, ein leises Wimmern zu hören.

»Wir sollten uns nach einem richtigen Arzt für dich umsehen«, meinte er. »Ich bin kein Chirurg oder dergleichen.«

»Nein?« fragte sie trocken. »So eine Überraschung.«

Sie ruhte sich eine Weile in der Sonne aus. Dann meinte er: »Laß es uns noch mal versuchen«, und zog sie auf die Füße.

Hinkend verließ sie mit ihm das Wäldchen; die Sternfrau lehnte schwer auf ihrer Krücke und auf Tristrans Arm und verzog bei jedem Schritt das Gesicht. Jedesmal wenn sie zusammenzuckte oder eine Grimasse schnitt, bekam Tristran ein schlechtes Gewissen und kam sich wieder vor wie ein Tölpel, aber er beruhigte sich, indem er an Victoria Foresters graue Augen dachte. So folgten sie einem Wildwechsel durch die Haselsträucher, wobei Tristran – der beschlossen hatte, es sei vielleicht besser, sich mit der Sternfrau zu unterhalten – sie fragte, wie lange die junge Frau denn schon ein Stern sei, ob es Spaß mache, ein solcher zu sein, und ob alle Sterne Frauen seien. Er erzählte ihr, daß er immer gedacht hätte, Sterne seien Bälle aus brennendem Gas, viele Meilen im Durchmesser, wie die Sonne, nur weiter weg. Das hätte Mrs. Cherry ihren Schülern beigebracht.

Sie antwortete auf keine seiner Fragen und reagierte auch nicht im geringsten auf seine Erklärungen.

»Warum bist du heruntergefallen?« fragte er schließlich. »Bist du über irgendwas gestolpert?«

Abrupt blieb sie stehen, drehte sich zu ihm und starrte ihn an, als betrachte sie aus großer Entfernung etwas äußerst Abstoßendes.

»Ich bin nicht gestolpert«, sagte sie endlich. »Etwas hat mich getroffen. Das hier.« Damit griff sie in ihr Kleid und zog einen großen gelblichen Stein heraus, der an einer doppelten Silberkette hing. »Ich hab’ einen blauen Fleck an der Seite, wo er mich erwischt und vom Himmel geschubst hat. Jetzt muß ich diesen Stein mit mir rumtragen.«

»Warum?«

Zuerst hatte es den Anschein, als wollte sie antworten, aber dann schüttelte sie den Kopf, machte den Mund wieder zu und schwieg. Rechts neben ihnen plätscherte und hüpfte ein Bach, als wollte er mit ihnen Schritt halten. Über ihren Köpfen schien die Mittagssonne, und Tristran wurde immer hungriger. Er holte den trockenen Kanten Brot aus seiner Tasche, befeuchtete ihn im Bach und teilte ihn in zwei Teile.

Die Sternfrau inspizierte das Brot angeekelt, machte aber keine Anstalten, es in den Mund zu stecken.

»Du wirst verhungern«, warnte Tristran.

Sie antwortete nicht und reckte trotzig das Kinn vor.

Sie gingen weiter durch den Wald, kamen aber nur sehr langsam voran. Mühsam stiegen sie einen schmalen Pfad am Hang eines Hügels empor, mußten über umgestürzte Bäume klettern, und schließlich wurde der Weg so steil, daß die stolpernde Sternfrau und ihr Begleiter abzurutschen drohten. »Gibt es denn keinen einfacheren Weg?« fragte die junge Frau. »Irgendeine Straße oder eine gerodete Fläche?«

Sobald die Frage gestellt war, wußte Tristran die Antwort. »Eine halbe Meile in diese Richtung gibt es eine Straße und da drüben, hinter dem Dickicht, liegt eine Lichtung«, erklärte er und deutete in die entsprechenden Richtungen.

»Das wußtest du?«

»Ja. Nein. Na ja, ich wußte es, als du mich danach gefragt hast.«

»Dann laß uns zu der Lichtung gehen«, sagte sie, und die beiden schlugen sich so gut es ging durchs dichte Unterholz. Dennoch brauchten sie beinahe eine Stunde, bis sie die Lichtung erreichten, aber dort war der Untergrund wenigstens eben und flach wie ein Sportfeld. Allem Anschein nach war der Wald hier aus einem bestimmten Grund gerodet worden, auch wenn Tristran sich einen solchen nicht vorstellen konnte.

Mitten auf der Lichtung, ein Stück von ihnen entfernt, lag auf dem Gras eine kunstvoll gearbeitete goldene Krone, die in der Nachmittagssonne glitzerte. Sie war mit roten und blauen Steinen verziert: Rubine und Saphire, dachte Tristran. Gerade wollte er sich ihm nähern, da legte das Sternmädchen ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Warte. Hörst du die Trommeln?«