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Das Tier stürzte auf den Holzboden des Gasthauses; Blut strömte aus seiner Flanke, seinem Auge und dem offenen Maul. Es hielt sich noch kurz auf den Knien, bis es schließlich zusammenbrach und sein Leben aushauchte. Die gescheckte Zunge hing aus seinem Maul, und das tote Tier gab ein jammervolles Bild ab.

Die Hexenkönigin kam torkelnd auf die Beine, die eine Hand auf die Schulter gepreßt, in der anderen das Hackmesser.

Ihr Blick wanderte im Raum umher und heftete sich auf Tristran und die Sternfrau, die beim Feuer kauerten. Langsam, qualvoll langsam, taumelte sie auf die beiden zu, das Messer in der Hand, ein Lächeln auf dem Gesicht.

»Das glühende goldene Herz eines zufriedenen Sterns ist viel besser als das zittrige Herz eines ängstlichen kleinen Sterns«, erklärte sie ihnen. Ihr Gesicht war blutbespritzt, dennoch klang ihre Stimme seltsam ruhig und abgeklärt. »Doch selbst das Herz eines Sterns, der sich furchtet, ist immer noch besser als gar kein Herz.«

Tristran nahm die Hand der Sternfrau in die seine. »Steh auf«, sagte er zu ihr.

»Ich kann nicht«, entgegnete sie schlicht.

»Steh auf, sonst müssen wir sterben«, sagte er, und jetzt nickte sie und versuchte, sich an ihm hochzuziehen.

»Steh auf, sonst müssen wir sterben?« wiederholte die Hexenkönigin. »Oh, ihr werdet sterben, Kinderchen, ganz gleich ob im Stehen oder im Sitzen. Mir ist das völlig einerlei.« Sie trat einen Schritt näher.

»Jetzt«, sagte Tristran, packte mit einer Hand den Arm der Sternfrau und hielt mit der anderen die provisorische Kerze, »jetzt, lauf!«

Und er streckte die linke Hand ins Feuer.

Es tat weh und brannte, daß er hätte schreien können, und die Hexenkönigin starrte ihn an, als wäre er der personifizierte Wahnsinn.

Dann fing der improvisierte Docht Feuer, und brannte mit einer stetigen blauen Flamme, so daß die Welt um sie her zu schimmern begann. »Bitte, lauf«, flehte er die Sternfrau an. »Laß mich nicht los.«

Sie machte einen ungeschickten Schritt.

So verließen sie das Gasthaus, und das Kreischen der Hexenkönigin gellte in ihren Ohren.

Im Nu befanden sie sich unter der Erde, und der Kerzenschein flackerte über die feuchten Höhlenwände; im nächsten Moment gelangten sie in eine Wüste voll weißem Sand, der im Mondlicht schimmerte; und dann wiederum waren sie hoch über der Erde und blickten hinab auf die Hügel und Bäume und Flüsse weit unter ihnen.

Schließlich rann der letzte Rest geschmolzenen Wachses über Tristrans Hand. Nun konnte er das Brennen nicht länger ertragen, und die Kerze erlosch für immer.

KAPITEL 8

Welches von Schlössern in der Luft

und anderen Dingen handelt

In den Bergen graute der Morgen. Die Stürme der letzten Tage waren weitergezogen, die Luft war frisch und kalt.

Lord Septimus von Stormhold, großgewachsen und krähenartig, wanderte den Bergpaß empor, wobei er sich suchend umblickte, als hätte er etwas verloren. Mit sich führte er ein zottiges kleines Bergpony. Als der Paß breiter wurde, blieb er stehen, als hätte er das Gesuchte gefunden: Ein kleiner, ziemlich mitgenommener Zweispänner, wenig größer als ein Ziegenkarren, der auf die Seite gekippt war. Ganz in der Nähe lagen zwei Leichen. Eins war ein Ziegenbock mit blutüberströmtem Kopf. Prüfend trat Septimus mit dem Fuß gegen die tote Ziege, um den Kopf besser sehen zu können; das Tier hatte eine tiefe tödliche Wunde an der Stirn, genau in der Mitte zwischen den Hörnern. Neben dem Ziegenbock lag ein junger Mann, das Gesicht im Tod ebenso dumpf wie es vermutlich auch im Leben gewesen war. An ihm war keine tödliche Wunde zu entdecken, nur ein graublauer Fleck an der Schläfe.

Ein paar Meter von diesen Toten entfernt, halb versteckt hinter einem Felsen, stieß Septimus auf die Leiche eines Mannes mittleren Alters, mit dem Gesicht nach unten, schwarz gekleidet. Er war sehr blaß, und sein Blut hatte auf dem Felsboden unter ihm eine große Lache gebildet. Septimus ging neben ihm in die Hocke und hob den Kopf mit spitzen Fingern an den Haaren hoch. Die Kehle des Mannes war aufgeschlitzt, offensichtlich von geübter Hand, von einem Ohr zum anderen. Verwundert starrte Septimus die Leiche an. Er kannte diesen Mann, und doch…

Und dann lachte er, hart und bellend. »Dein Bart«, sagte er zu dem Toten. »Du hast deinen Bart abrasiert. Als würde ich dich ohne Bart nicht erkennen!«

Primus, der nun grau und geisterhaft neben seinen anderen Brüdern stand, sagte: »Natürlich hättest du mich erkannt, Septimus. Aber es hätte mir vielleicht ein paar Sekunden Vorsprung verschafft, in denen ich dich schon gesehen, du aber noch überlegt hättest.« Aber die Stimme des Toten war nur wie die Morgenbrise, die durch den Dornbusch fuhr.

Septimus erhob sich. Unterdessen ging die Sonne über dem östlichsten Gipfel des Mount Belly auf und strahlte auf ihn herab. »Also werde ich der zweiundachtzigste Lord von Stormhold sein«, sagte er zu der Leiche am Boden und zu sich selbst, »und außerdem noch Herrscher über die High Crags, Seneschall der Felsgipfelstädte, Hüter der Zitadelle, Lord Wächter von Mount Huon und so weiter und so fort.«

»Nicht ohne die Macht von Stormhold um deinen Hals, Bruder«, gab Quintus in scharfem Ton zu bedenken.

»Und da ist auch noch die Sache mit der Rache«, ergänzte Secundus mit der Stimme des Winds, der durch den Paß heulte. »An allererster Stelle mußt du dich am Mörder deines Bruders rächen, das ist Blutgesetz.«

Als hätte er ihn gehört, schüttelte Septimus den Kopf. »Warum hättest du nicht noch ein paar Tage warten können, Bruder Primus?« fragte er den Toten zu seinen Füßen. »Dann hätte ich dich selbst getötet. Ich hatte so einen schönen Plan, wie du sterben solltest. Als ich bemerkte, daß du nicht mehr auf der Traumherz warst, habe ich nicht viel Zeit verschwendet, sondern schnell das Beiboot gestohlen und deine Fährte aufgenommen. Aber jetzt muß ich deine traurigen Überreste rächen, und das alles um der Ehre und unserer Blutsverwandtschaft willen, und für Stormhold.«

»Dann wird jetzt also Septimus der zweiundachtzigste Lord von Stormhold«, sagte Tertius.

»Es gibt ein Sprichwort, in dem eine deutliche Warnung dagegen ausgesprochen wird, den numerischen Wert noch nicht ausgeschlüpfter Küken zu kalkulieren«, entgegnete Quintus.

Septimus entfernte sich ein Stück von der Leiche seines Bruders, um gegen einen grauen Felsen zu pissen. Dann ging er zu ihr zurück. »Wenn ich dich umgebracht hätte, könnte ich dich jetzt einfach hier liegen und verfaulen lassen«, sagte er. »Aber weil dieses Vergnügen einem anderen zuteil wurde, muß ich dich jetzt ein Stück mitnehmen und dich auf die hohen Klippen betten, als Fraß für die Adler.« Damit hob er den blutverklebten Körper, vor Anstrengung grunzend, hoch und legte ihn dem Pony über den Rücken. Dann fummelte er noch am Gürtel des Toten herum und holte das Säckchen mit den Runen hervor. »Danke sehr, Bruder«, sagte er und klopfte dem Toten auf die Schulter.

»Mögest du an ihnen ersticken, wenn du mich nicht an dem Miststück rächst, das mir die Gurgel durchgeschnitten hat«, sagte Primus mit der Stimme der Bergvögel, die erwachten und den neuen Tag begrüßten.

* * *

Sie saßen nebeneinander auf einer dicken, weißen Haufenwolke von der Größe einer Kleinstadt. Es wurde kälter, je weiter man in die Wolke hineinsank. Und Tristran steckte seine verbrannte Hand so tief er konnte in die seltsame Masse, die ihm einen leichten Widerstand entgegensetzte, seine Hand aber annahm. Das Innere der Wolke fühlte sich schwammig und kühl an, real und substanzlos zugleich. So stillte sie den Schmerz wenigstens ein bißchen, und Tristran konnte etwas klarer denken.