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Schließlich standen sie vor Tristrans altem Heim, wo seine Schwester auf ihn wartete und ein dampfendes Frühstück auf dem Herd vorbereitet war, das bald auf dem Tisch stand; ein Frühstück, voller Liebe zubereitet von der Frau, die er stets für seine Mutter gehalten hatte.

* * *

Madame Semele arrangierte die letzten Kristallblumen an ihrem Stand und beäugte kritisch den Markt. Es war kurz nach Mittag, und die Kunden begannen sich gerade erst umzusehen. Bis jetzt war noch niemand an ihrer Bude gewesen.

»Es werden immer weniger, alle neun Jahre«, stellte sie fest. »Hör auf meine Worte, bald wird der Markt nur noch eine Erinnerung sein. Es gibt andere Märkte und andere Marktplätze. Ich glaube, dieser Markt hier hat ausgedient. Vielleicht noch vierzig, fünfzig, sechzig Jahre, dann gibt es ihn nicht mehr.«

»Vielleicht«, erwiderte ihre violettäugige Dienerin, »aber mir ist das gleich. Auf jeden Fall bin ich das letzte Mal dabei.«

Madame Semele funkelte sie wütend an. »Ich dachte, ich hätte deine Unverschämtheit schon vor langer Zeit aus dir rausgeprügelt.«

»Das ist durchaus keine Unverschämtheit«, antwortete ihre Sklavin. »Sieh hier.« Sie hielt ihre Silberkette empor, ihre Fessel. Sie glänzte im Sonnenlicht, aber sie war dünner und durchsichtiger geworden; an manchen Stellen schien sie nicht mehr aus Silber zu bestehen, sondern war transparent wie Rauch.

»Was hast du angestellt?« Vor Zorn bildeten sich Spuckefäden in den Mundwinkeln der Alten.

»Ich habe nichts getan, jedenfalls nichts, was ich nicht schon seit achtzehn Jahren tue. Ich war an dich gefesselt als deine Sklavin bis zu dem Tag, an dem der Mond seine Tochter verliert, wenn dies in einer Woche geschieht, in der zwei Montage zusammenkommen. Und meine Zeit bei dir neigt sich nun dem Ende entgegen.«

* * *

Es war nach drei Uhr am Nachmittag. Die Sternfrau hatte sich neben Mr. Bromios’ Erfrischungsstand ins Gras gesetzt und starrte durch den Mauerdurchgang zum Dorf hinüber. Gelegentlich bot ihr ein Stammkunde der Bude ein Glas Wein oder Bier oder eine fettige Wurst an, und jedesmal lehnte sie dankend ab.

»Wartest du auf jemanden?« fragte eine junge Frau mit einem netten Gesicht, irgendwann am Nachmittag.

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Yvaine. »Vielleicht.«

»Bestimmt wartest du auf einen jungen Mann – sonst müßte ich mich gewaltig irren, so hübsch, wie du bist.«

Die Sternfrau nickte. »In gewisser Weise schon«, antwortete sie.

»Ich bin Victoria«, stellte die junge Frau sich vor. »Victoria Forester.«

»Ich heiße Yvaine«, erwiderte die Sternfrau, während sie Victoria Forester von Kopf bis Fuß musterte. »Aha, du bist also Victoria Forester. Dein Ruhm eilt dir voraus.«

»Die Hochzeit, meinst du?« sagte Victoria, und ihre Augen strahlten vor Stolz und Freude.

»Deine Hochzeit?« fragte Yvaine. Ihre Hand glitt zu ihrer Taille und spürte den Topas an seiner Silberkette. Dann starrte sie wieder zur Mauer hinüber und biß sich auf die Lippe.

»Ach, du Arme! Der Kerl muß ja ein richtiges Biest sein, wenn er dich so lange warten läßt!« meinte Victoria Forester. »Warum gehst du nicht runter ins Dorf, durch die Mauer, und suchst ihn?«

»Weil…« sagte Yvaine, unterbrach sich aber. »Nun gut«, fuhr sie fort, »vielleicht sollte ich das tun.« Graue und weiße Wolkenbänder überspannten den Himmel, dazwischen schimmerten blaue Zwischenräume. »Ich wollte, meine Mutter wäre hier«, fügte sie hinzu. »Ihr würde ich gern als erster Lebewohl sagen.« Unbeholfen stand sie auf.

Aber Victoria wollte ihre neue Freundin nicht so einfach gehen lassen, deshalb plapperte sie weiter über Sperren und Heiratslizenzen, über Ausnahmegenehmigungen, die nur der Erzbischof ausstellen durfte, und was für ein Glück es doch war, daß Robert persönlich mit ihm bekannt war. Anscheinend sollte die Hochzeit in sechs Tagen um Mittag stattfinden.

Dann rief Victoria einen respektablen Gentleman zu sich herüber, der eine schwarze Zigarre schmauchte und grinste, als hätte er Zahnschmerzen. »Das ist Robert«, verkündete sie. »Robert, das ist Yvaine. Sie wartet hier auf ihren Freund. Yvaine, das ist Robert Monday. Und am nächsten Freitag um die Mittagszeit werde ich Victoria Monday. Vielleicht solltest du das in deine Rede beim Hochzeitsfrühstück einflechten, Schatz – daß am Freitag zwei Montage zusammenkommen!«

Und Mr. Monday paffte seine Zigarre und versprach seiner Zukünftigen, daß er dies ganz gewiß in Erwägung ziehen werde.

»Dann«, fragte Yvaine und wählte ihre Worte mit Bedacht, »dann heiratest du also nicht Tristran Thorn?«

»Nein«, antwortete Victoria.

»Oh«, sagte die Sternfrau. »Gut.« Und setzte sich wieder ins Gras.

* * *

Dort saß sie noch immer, als Tristran einige Stunden später durch die Mauerlücke kam. Er wirkte aufgewühlt, aber seine Miene hellte sich auf, als er Yvaine entdeckte. »Hallo, du«, sagte er und half ihr beim Aufstehen. »Hast du dich gut amüsiert, während du auf mich gewartet hast?«

»Nicht besonders«, antwortete sie.

»Tut mir leid«, sagte Tristran. »Wahrscheinlich hätte ich dich doch ins Dorf mitnehmen sollen.«

»Nein«, entgegnete Yvaine. »Ganz bestimmt nicht. Ich lebe, solange ich im Feenland bleibe. Sollte ich je in deine Welt reisen, wäre ich nichts weiter als ein kalter Metallstein, der vom Himmel gefallen ist, voller Pusteln und Löcher.«

»Aber ich hätte dich beinahe mitgenommen!« rief Tristran entsetzt. »Ich hab es versucht, gestern abend.«

»Ja«, sagte sie. »Was einmal mehr beweist, daß du ein Trottel bist, ein Idiot und ein… ein Blödian.«

»Ein Schwachkopf«, fügte Tristran bereitwillig hinzu. »So hast du mich immer besonders gern genannt. Und einen Hornochsen.«

»Naja, das bist du alles, und noch mehr«, bestätigte sie. »Warum hast du mich so lange warten lassen? Ich dachte, dir ist etwas Schreckliches zugestoßen.«

»Es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich werde dich nie wieder verlassen.«

»Nein«, erwiderte sie ernst und fest, »du wirst mich nie wieder verlassen.«

Seine Hand fand die ihre, und so wanderten sie Hand in Hand über den Markt. Ein Wind kam auf und brachte die Leinwand von Zelten und Fahnen zum Flattern; kurz darauf setzte ein kalter Regen ein. Sie suchten Zuflucht unter der Markise eines Bücherstands, gemeinsam mit einer ganzen Anzahl anderer Menschen und Kreaturen. Der Inhaber des Stands zog seine Bücherkisten weiter unter das Vordach, damit nichts naß wurde.

»Wenn Schäfchenwolken am Himmel treiben, wird’s nie lang naß und auch nicht trocken bleiben«, sagte ein Mann mit einem schwarzen Seidenzylinder zu Tristran und Yvaine. Er war dabei, ein kleines, in rotes Leder gebundenes Buch zu erwerben.

Tristran lächelte und nickte, und als der Regen weniger wurde, gingen er und Yvaine weiter.

»Vermutlich werden sie es mir nie ausführlicher danken«, meinte der Mann mit dem Zylinder zu dem Buchhändler, der nicht die leiseste Ahnung hatte, was damit gemeint war. Aber es war ihm vollkommen gleichgültig.

»Ich habe meiner Familie Lebewohl gesagt«, erklärte Tristran Yvaine, während sie weitergingen. »Meinem Vater, meiner Mutter – der Frau meines Vaters, sollte ich vielleicht lieber sagen – und meiner Schwester Louisa. Ich glaube nicht, daß ich noch einmal zurückkehre. Jetzt müssen wir nur noch das Problem lösen, wie wir dich wieder an den Himmel kriegen. Vielleicht komme ich mit dir.«

»Dir würde es nicht gefallen am Himmel«, versicherte der Stern. »Also… gehe ich recht in der Annahme, daß du Victoria Forester nicht heiraten wirst?«

Tristran nickte. »Da hast du völlig recht«, bestätigte er.

»Ich bin ihr begegnet«, sagte der Stern. »Hast du gewußt, daß sie schwanger ist?«