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Zu seiner Rechten saß Bob Maxwell, in dessen Narbengesicht es kaum merkbar zuckte, als der Gefangene hereingebracht wurde. Die dunklen Augen glühten genauso haßerfüllt wie vor einigen Stunden, als Jacob ihn und seine Gefährten, die jetzt wie sanfte Lämmer an einer Kabinenwand standen, daran gehindert hatte, der jungen Frau Gewalt anzutun. Als ein Ausdruck der Befriedigung über das Narbengesicht huschte, wußte Jacob, daß der Erste Steuermann die Stunde seiner Rache für gekommen hielt.

Links vom Kapitän saß Piet Hansen, die klobige Pfeife zwischen den Lippen. Allerdings brannte sie nicht, schien sich nur an ihrem Stammplatz zu befinden, damit ihr Besitzer gemütlich auf dem Stiel herumkauen konnte. Der deutsche Seemann tat, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Aber wer genau in seine alten, von tausend Fältchen umgebenen Augen sah, bemerkte, daß in ihnen Interesse und Wachsamkeit lag.

Auf dem ansonsten leeren Tisch ruhten zwei Bücher vor dem Kapitän, ein ganz dickes und ein etwas dünneres. Das dicke Werk war unverkennbar die Bibel. Den englischen Titel des anderen Buches konnte Jacob nicht lesen, aber er hielt es für wahrscheinlich, daß es sich um eine englische Ausgabe des Seerechts handelte.

An der Wand gegenüber Maxwells nächtlichen Spießgesellen saß Irene Sommer auf einem Stuhl und blickte ängstlich in die Gesichter der Männer. Als Jacob eintrat und sie ihn ansah, trat in ihre Augen zusätzlich Dankbarkeit und gleichzeitig das Flehen um Entschuldigung dafür, daß sie ihn in diese mißliche Lage gebracht hatte.

Sie war, was er in der Nacht schon bemerkt hatte, eine außergewöhnlich schöne Frau. Selbst ihr verängstigter Zustand konnte daran nichts ändern. Jacob hielt sie für kaum älter als

Zwanzig, eher jünger. Sie trug ein anderes Kleid als jenes, das von den zudringlichen Seeleuten zerrissen worden war. Es war einfach in Schnitt und Muster und konnte die Wölbung ihres Leibes nicht ganz verbergen, unter der das werdende Leben steckte.

Der Seemann, der Jacobs Wunde ausgebrannt hatte, sagte etwas zu dem Kapitän. Dieser antwortete auf englisch, und die drei Bewacher verließen den Raum.

Josiah Haskins Totenaugen hefteten sich auf Jacob und die junge Frau. »Wir wollen jetzt Deutsch sprechen«, sagte er mit zwar starkem Akzent, aber gut verständlich, »damit die Angeklagten der Verhandlung folgen können.«

Jacob war nicht verwundert, daß Haskin die deutsche Sprache so gut beherrschte. Als Kapitän und Eigner eines Schiffes, das zwischen New York und Hamburg verkehrte, mußte er viel mit deutschen Geschäftspartnern zu tun haben. Da blieb wohl einiges haften. So wie Hansen des Englischen mächtig war. Und auch Maxwell sprach schließlich Deutsch, wie Jacob in der Nacht mitbekommen hatte.

Kapitän Haskins Augen wanderten weiter und blickten Martin an, der dicht neben seinem Freund stand. »Was suchen Sie noch hier?«

»Ich bin der Freund dieses Mannes«, erwiderte Martin, dem durchdringenden Blick des Kapitäns standhaltend.

»Na und?«

»Vielleicht kann ich helfen, die Sache aufzuklären.«

Maxwell beugte sich zu Haskin und wisperte etwas in dessen Ohr. Der Kapitän nickte und sah dann die beiden Freunde wieder an.

»Jemand muß den blinden Passagier mit Trinkwasser und Lebensmitteln versorgt haben. Waren Sie das?«

Bevor Jacob es verhindern konnte, nickte Martin auch schon. »Das bin ich gewesen, Kapitän. Es war meine Pflicht als Freund.«

Ein Schatten zog über Hansens Gesicht, während Maxwell seine Zufriedenheit über diese Aussage nicht verbergen konnte. Haskins Leichengesicht zeigte weiterhin keine Regung.

»Ihre Pflichten als Freund stehen hier nicht zur Rede«, rügte Haskin. »In dieser Verhandlung geht es einzig und allein um die Pflichten, die jeden treffen, der die Planken dieses Schiffes betritt.« Er legte seine Hand auf das dünnere der beiden Bücher. »Die Pflichten, die sich aus dem geschriebenen Seerecht und aus den ungeschriebenen, aber gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen ergeben. Durch Ihre Verhaltensweise kommen Sie als Mittäter in Betracht. Ich ersuche Sie darum, uns Ihren Namen zu nennen.«

»Martin Bauer.«

»Und Ihr Beruf?«

»Bauer.«

Zum erstenmal zeigte der Kapitän so etwas wie Erstaunen, als sein Kopf nach vorn ruckte, als könnte er so in das Innerste des anderen sehen. »Wie?«

Wie zur Entschuldigung breitete Martin die Arme aus. »Ich heiße Bauer, und ich bin Bauer.«

Haskin hatte sich wieder in der Gewalt und wandte seine Aufmerksamkeit dem anderen Deutschen zu. »Ihr Name ist Jacob Adler, und Sie sind Zimmermann von Beruf?«

»Das stimmt«, bestätigte der Gefragte.

Jacob wußte jetzt, daß sich der Kapitän seine Papiere angesehen hatte. Aber er wußte nicht, ob Haskin Kenntnis von dem Kopfgeld besaß.

Jetzt war die Frau an der Reihe, von Haskin eindringlich gemustert zu werden. »Ihr Name und Ihr Beruf?«

»Irene Sommer, Dienstmädchen.«

Sie sprach mit leiser, aber klarer Stimme. Jacob ertappte sich bei der Vorstellung, einem Lied aus ihrer Kehle zu lauschen. Plötzlich überwältigte ihn das unbändige Gefühl, sich vor die junge Frau zu stellen und sie vor allem Bösen zu beschützen,

das von dem Schiffsgericht ausgehen mochte. Dann dachte er an die Bewaffneten in seinem Rücken und kam sich unsagbar hilflos vor.

Der Kapitän sah seinen Ersten Steuermann an. »Tragen Sie nun die Anklage vor, Mr. Maxwell.«

Als der Mann mit dem Narbengesicht zu sprechen beginnen wollte, trat Jacob einen Schritt vor und sagte laut: »Ich erhebe Einspruch, Kapitän!«

»Wogegen?« fragte Haskin. In seiner Stimme mischten sich Verwunderung und Empörung über die Störung der Verhandlung. Letzteres überwog.

»Gegen die Teilnahme dieses Mannes am Gerichtsverfahren.« Jacob zeigte auf Maxwell. »Jedenfalls, solange er am Richtertisch sitzt. Er gehört allenfalls hierher, wo ich stehe, auf die Seite der Angeklagten.«

»Halt dein dreckiges Schandmaul, du -!« rief der Erste Steuermann, wurde aber von Jacob unterbrochen, der jetzt noch lauter sprach.

»Sie und Ihre beiden Kumpane da an der Wand haben sich in der letzten Nacht wohl des schlimmsten Vergehens schuldig gemacht, als Sie wie wilde Tiere über die Frau hier hergefallen sind. Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, daß Sie den derzeitigen Zustand der Frau für Ihre schmutzigen Absichten ausnutzen wollten!«

Maxwell sprang auf und war drauf und dran, um den Tisch herumzulaufen und sich auf Jacob zu stürzen, doch der Kapitän hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Bleiben Sie auf Ihrem Platz, Mr. Maxwell! Und jetzt zu Ihnen, Angeklagter Adler. Es ist allein Sache des Gerichts, Anklagen zu erheben und Beschuldigungen auszusprechen. Sie dürfen sich gegen die Vorwürfe, die gegen Sie erhoben werden, verteidigen, sonst nichts. Das Verhalten von Mr. Maxwell sowie der beiden Zeugen Cullen und Braden ist nicht Gegenstand dieser Verhandlung.«

Spätestens jetzt wurde Jacob klar, daß er kein gerechtes Verfahren zu erwarten hatte. Das Schiffsgericht erschien ihm plötzlich als reines Schauspiel, als inhaltsleere Hülse, nur dazu da, um den Vorschriften zu genügen. Mutlosigkeit befiel ihn, und seine eben noch straffen Schultern wurden schlaff.

»Bitte, Mr. Maxwell«, fuhr Haskin fort und sah seinen Ersten Steuermann erwartungsvoll an.

Der hatte sich wieder unter Kontrolle, wenn auch das Zucken in seinem Gesicht stärker geworden war. Er rückte seinen Stuhl zurecht und sagte dann: »In der letzten Nacht machte ich in Begleitung der Matrosen Slim Cullen und Larry Braden die Entdeckung, daß die Frau dort, Irene Sommer mit Namen, ein Kind erwartet. Da mir bekannt war, daß sie ohne Mann reist, wollte ich sie über die näheren Einzelheiten befragen. Da kam der Angeklagte Adler, der sich bis dahin unter einem Ruderboot versteckt gehalten hatte, hinzu und griff uns tätlich an. Wir haben uns natürlich verteidigt.«