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Der Kapitän sah erneut Jacob an. »Was sagen Sie dazu? Haben Sie den Steuermann und seine Begleiter angegriffen?«

Jacob spürte die abwartenden Blicke aller Menschen in der Kapitänskajüte, die geradezu an seinen Lippen hingen. Aber was sollte er schon tun, außer die Wahrheit zu erzählen?

»Das habe ich getan«, sagte er darum. »Aber nur deshalb, weil der Steuermann und die beiden anderen der Frau die Kleider vom Leib rissen und zudringlich werden wollten.«

»Das stimmt«, sagte Irene Sommer, jetzt lauter als zuvor.

»Sie können sich äußern, wenn Sie gefragt werden«, sagte Haskin mit einem strafenden Blick auf die Frau. »So lange haben Sie zu schweigen!«

»Ich bestreite nicht, daß das Kleid der Angeklagten Sommer zerrissen ist«, sagte Maxwell. »Auch sie setzte sich gegen uns zur Wehr und wollte weglaufen. Als wir sie festhielten, riß das Kleid.«

»Das wäre also geklärt«, meinte der Kapitän zufrieden.

»Formulieren Sie jetzt die Anklage, Mr. Maxwell.«

»Die Angeklagte Sommer verstößt gegen das Gesetz ihres Landes, indem sie als unverheiratete Weibsperson auf einem Auswandererschiff mitfährt. Ihr nächtlicher Widerstand gegen mich als Ersten Steuermann erfüllt außerdem den Tatbestand der Meuterei. Der Angeklagte Adler hat gegen das Seegesetz verstoßen, weil er sich als blinder Passagier an Bord der ALBANY geschlichen hat. Auch er hat sich der Meuterei schuldig gemacht, als er die Matrosen Cullen, Braden und mich angriff. Der Angeklagte Bauer hat gegen das Seerecht verstoßen, als er dem Angeklagten Adler half, sich vor den Augen der Schiffsbesatzung zu verbergen.«

»Danke, Mr. Maxwell«, sagte der Kapitän und wandte sich jetzt den Matrosen zu, gegen die Jacob in der Nacht gekämpft hatte. Sie sprachen miteinander Englisch, weil die beiden Männer wohl die deutsche Sprache nicht beherrschten.

»Die Matrosen Cullen und Braden haben den von Mr. Maxwell geschilderten Sachverhalt in allen Punkten bestätigt«, sagte Haskin dann, jetzt wieder auf deutsch. »Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen, Angeklagter Adler?«

»Was die angebliche Meuterei angeht, so kann ich nur bei meiner Schilderung der Tatsachen bleiben, weil sie der Wahrheit entspricht. Was meine Passage betrifft, ist zu sagen, daß ich eine gebucht habe, und zwar beim Agenten August Bult in Hamburg. Mein Freund Martin war dabei. Auch er hat seine Passage bei Bult gebucht.«

Die Überraschung auf den Gesichtern der drei Richter war unverkennbar.

Haskin hatte seinen zumindest äußerlichen Gleichmut als erster wiedergefunden und sah Martin an. »Stimmt das?«

Martin nickte. »Jawohl, so war es, Kapitän. Jacob und ich, wir haben unsere Passage zusammen gebucht und zusammen bezahlt. Bult hat von jedem von uns das Geld eingestrichen. Und wir haben Verträge für die Überfahrt. Jacobs Vertrag muß sich zwischen seinen Papieren befinden.«

Haskin gab auf englisch ein kurzes Kommando, und der untersetzte Matrose, der in der Nacht auf Maxwells Seite gestanden hatte, verließ eilig die Kajüte, wohl um Jacobs Sachen zu holen.

»Wenn das wahr ist«, sagte der Kapitän nachdenklich, »weshalb haben Sie sich dann unter dem Boot versteckt wie ein blinder Passagier, Adler?«

»Ich hatte dafür meine Gründe. Sie haben nichts mit diesem Schiff und seiner Besatzung zu tun.«

»Alles, was sich auf der ALBANY ereignet, geht mich als Kapitän etwas an«, sagte der Mann mit dem Totengesicht scharf. »Also beantworten Sie meine Frage!«

»Ich hatte zu Hause einigen Ärger und wollte deshalb nicht, daß meine Abreise bekannt wird«, sagte Jacob ausweichend.

»Was für Ärger?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen.«

»Was für Ärger?« wiederholte der Kapitän seine Frage.

Der Untersetzte, der nach kurzem Anklopfen wieder die Kajüte betrat, enthob Jacob der Antwort. Er legte Jacobs große Ledertasche und eine dünne Kladde vor seinem Kapitän auf den Tisch.

Haskin schob die Kladde zu Piet Hansen hinüber, der sich bis dahin völlig ruhig verhalten hatte. »Prüfen Sie nach, ob der Angeklagte Adler in der Passagierliste verzeichnet ist, Mr. Hansen.«

Während der bärtige Steuermann die Kladde aufschlug, begann Haskin mit der Durchsuchung von Jacobs Tasche und legte jegliche Papiere daraus vor sich auf die Tischplatte. Plötzlich zog er seine dünnen Brauen nach oben und hielt ein Blatt Papier hoch, das er zuvor auseinandergefaltet und studiert hatte.

»Hier habe ich einen von August Bult ausgestellten Passagiervertrag für die ALBANY.« Er machte eine

Kunstpause, um das Folgende besonders hervorzuheben. »Aber ausgestellt ist er nicht auf einen Jacob Adler, sondern auf den Namen Gottlob Karst! Wie erklären Sie sich und uns das, Angeklagter?«

»Das ist ganz einfach. Wegen meiner Schwierigkeiten zu Hause habe ich Bult einen falschen Namen genannt. Wie ich schon sagte, ich wollte nicht, daß meine Abreise bekannt wird.«

So war es tatsächlich gewesen. Jacob hatte eine fast diebische Freude dabei empfunden, als er Bult den Namen des Gendarmen aus seiner Heimatstadt nannte. Er konnte damals nicht ahnen, daß man ihm aus dieser Vorsichtsmaßnahme einen Strick drehen würde.

»Eine etwas fadenscheinige Ausrede«, befand der Kapitän und blickte nach links. »Haben Sie den Angeklagten Adler auf der Passagierliste gefunden, Mr. Hansen?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Nein, Kapitän.«

»Und wie steht es mit dem Namen Gottlob Karst?«

»Steht auch nicht auf der Liste.«

»Dann haben Sie auch keine gültige Passage gebucht, Angeklagter Adler«, befand Haskin. »All das läßt nur den Schluß zu, daß Sie sich nicht nur als blinder Passagier an Bord gestohlen haben, sondern daß Sie auch einen Reisevertrag des Agenten Bult gefälscht haben, um sich damit die Überfahrt zu erschleichen.«

Die Worte des Kapitäns rauschten an Jacob vorbei wie ein Wasserfall. Krampfhaft überlegte er, wieso er auch unter dem Namen Karst nicht auf der Passagierliste stand.

Er dachte zurück an jene Nacht in Hamburg, als Bult ihn an die Polizei verraten hatte. Und da kannte er den Grund. Bult wollte doppelt, nein dreifach verdienen. Erst hatte er von Jacob das Geld für die Schiffspassage kassiert, ihn dann zwecks Erlangung des Kopfgeldes an die Polizei verraten und dann seine Passage einfach noch einmal an einen anderen

Auswanderer verkauft. Da Bult damit rechnete, daß die Polizei Jacob festnahm, meldete er ihn nicht als Reisenden auf dem Schiff an.

Ja, das mußte der Grund sein. Aber wie sollte Jacob das dem Kapitän klarmachen, ohne gleichzeitig zu verraten, daß er von der preußischen Polizei per Steckbrief gesucht wurde? Er befand sich in einer Zwickmühle.

Martin versuchte ihn daraus zu befreien, indem er sagte: »Aber ich kann bezeugen, daß es so ist, wie Jacob es geschildert hat. Ich war schließlich dabei, als er den Vertrag mit dem Namen Karst unterschrieb.«

»Sie lügen, um Ihren Freund zu decken!« erwiderte Haskin so erregt, daß seine letzten Worte halb in einem heftigen Hustenanfall untergingen. Als der Kapitän seine Lunge wieder unter Kontrolle hatte, sagte er: »Ich habe jetzt genug von Ihrer Lügerei, Angeklagte Adler und Bauer! Wenden wir uns der Angeklagten Sommer zu.« Sein furchteinflößender Blick traf die junge Frau. »Was sagen Sie zu Ihrer Verteidigung?«

»Es. stimmt, ich erwarte ein Kind. Aber es ist so, wie Herr Adler sagte. Die drei Seeleute griffen mich an und. wollten mir ein Leid antun. Herr Adler kam hinzu, um mir beizustehen.«

»Das haben wir bereits abgehandelt und als Lügengeflecht enttarnt, Angeklagte Sommer. Sie sollten sich nicht von den beiden anderen Angeklagten zum Lügen verleiten lassen. Sagen Sie mir lieber, ob es stimmt, daß Sie ohne den Kindsvater reisen!«

Die Frau konnte dem inquisitorischen Blick des Kapitäns nicht länger standhalten und schlug die Augen nieder, in die ihr Tränen traten. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Worte gingen in einem heftigen Schluchzen unter, das ihren ganzen Körper schüttelte.