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Malfurion, der Nachtelf, war nicht mehr. An seine Stelle war ein makaberer skelettartiger Baum getreten, eine Esche. Die Blätter mit den scharfen Dornen sprossen aus ihm hervor, wo einst Arme und Finger gewesen waren. Sie waren nun in Äste verwandelt. Der Stamm bog sich in merkwürdigen Winkeln, wo einmal der Torso gewesen war. Die Füße waren zu gekrümmten Wurzeln geworden.

Um seinen Geist besser gegen den Schmerz wappnen zu können, stellte sich Malfurion Tyrandes Gesicht vor und erinnerte sich an den Moment, da sie beide in aller Stille ihre Liebe entdeckt hatten. Als sie ihn seinem ehrgeizigen Bruder Illidan vorzog.

Eigentlich hatte Malfurion erwartet, dass sie seinen Zwillingsbruder erwählen würde. Nicht zuletzt dank seiner Rücksichtslosigkeit gelangen Illidan beim Studium der Magie rasch große Fortschritte. Und seine Erfolge im Kampf gegen die Brennende Legion hatten ihn in den Augen vieler Nachtelfen – und manchmal auch in Malfurions – zu einem Hoffnungsträger werden lassen.

Doch Tyrande, damals eine Schülerin der Elune, hatte offensichtlich auch in dem Grünschnabel Malfurion eine große Qualität gespürt, etwas Besonderes.

Was das sein sollte, wusste er bis heute nicht.

Malfurion merkte, dass er Kräfte aus dieser Erinnerung zog, doch auch ein hohes Maß an Schuld begleitete die Gedanken an Tyrande. Es war seine Entscheidung gewesen, sie alleinzulassen. Sie musste jahrhundertelang Azeroth bewachen, während er und die Druiden durch den Smaragdgrünen Traum zogen. Was zählte es schon, dass sich seine Wahl für das Wohl der Welt als richtig herausgestellt hatte. Er hatte sie dennoch verlassen.

Dem Erzdruiden war plötzlich nach Weinen zumute. Die Gedanken und Gefühle waren seine eigenen, dennoch stellte er sich die Frage, ob sie von seinem Entführer beeinflusst wurden. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Die heimtückische Präsenz hatte seinen Geist bereits viele Male infiltriert, hatte die Erinnerungen und Gedanken des Nachtelfen verdorben.

Im Gegensatz zu den schrecklichen Transformationen war dies der subtilere Teil seiner Folter.

Es hätte kein Schmerz vorhanden sein sollen. Immerhin war dies der Smaragdgrüne Traum, und er war in seiner Traumgestalt eingetreten, nicht mit der physischen. Qualen wie diese hätten unter den gegebenen Umständen unmöglich sein müssen.

Als wollte er diese Tatsache widerlegen, wurde sein Körper weiter misshandelt. Wieder konnte er sein Leiden nicht hinausschreien.

Malfurion?

Die Stimme schnitt durch den Schmerz, der sich anfühlte, als würde es ein Leben lang andauern. Der Ruf kam von fern... war kaum ein Flüstern... Dennoch klang es wie... klang es so sehr wie...

Malfurion? Hier... Tyrande... Ihr seid...

Tyrande! Wenn sein Gedanke hörbar gewesen wäre, hätte man ihn bei seiner Intensität meilenweit hören können. Tyrande!

Malfurion? Die Stimme wurde stärker. Malfurion spürte, wie seine Hoffnung stieg. Seit zehntausend Jahren und mehr hatte er sie geliebt. Sie hätte ihn für die lange Abwesenheit, in der er für die Druiden unterwegs gewesen war, hassen müssen. Doch stets war sie am Ende für ihn da gewesen. Und jetzt... Wieder hatte Tyrande bewiesen, dass nichts zwischen ihnen stehen würde.

Malfurion? Ihr Ruf war deutlicher, unmittelbarer. Fast, als wäre sie schon ganz nah -

Ein schemenhafter Körper erschien vor ihm. Jeder Schmerz wich nun aus seiner Traumgestalt. Der Erzdruide war außer sich vor Freude, als er die sich nähernde Silhouette sah.

Das Leuchten, das Tyrande umgab, unterschied sie von allen anderen – sie war von einem zarten und doch strahlenden Silberschein erfüllt. Die Macht von Elune hatte der Hohepriesterin eine einzigartige Traumgestalt verliehen. Malfurion hätte gelächelt, wenn er einen Mund besessen hätte.

Tyrande sprach, doch die Worte brauchten einen Moment, um seinen Geist zu erreichen. Malfurion? Seid... seid Ihr das?

Er wollte antworten, doch Tyrandes nächste Reaktion verblüffte ihn.

Sie wich angeekelt zurück.

Wie... abstoßend!, hörte der Erzdruide.

Tyrande zog sich weiter zurück und schüttelte den Kopf.

Tyrande... Tyrande... Doch seine Rufe an sie blieben ohne Resultat, so als könnte sie ihn nicht mehr hören. Stattdessen streckte die Hohepriesterin abwehrend die Hand aus.

Nein..., stieß sie schließlich hervor. Ich habe Besseres von Euch erwartet...

Der Erzdruide war verwirrt. Doch bevor er erneut versuchen konnte, mit ihr zu sprechen, materialisierte eine zweite Gestalt hinter ihr.

Ich habe Euch gewarnt, meine Liebe, sagte das zweite, größere Wesen. Ich habe Euch gewarnt, dass er nicht das ist, was Ihr Euch erhofft habt...

Malfurion war sprachlos. Er kannte diese Stimme. Fürchtete sie. Sie erinnerte ihn an einen weiteren großen Fehler, vielleicht seinen größten.

Illidan kam in Sicht, doch es war nicht der Illidan, wie er als Malfurions Zwillingsbruder ausgesehen hatte, sondern die Monstrosität, zu der er geworden war.

Illidan Sturmgrimm war ein Dämon. Aus seinem Kopf wuchsen große gebogene Hörner wie die eines riesigen Widders. Schwere ledrige Flügel ragten aus seinen Schulterblättern hervor. Illidans Antlitz war zu einer verzerrten Parodie seines früheren Selbst geworden. Das Gebiss war markanter, und der Mund steckte voller scharfer Zähne. Die Wangenknochen standen höher. Eine Flut von wildem, dunklem Haar bedeckte sein Gesicht.

Ein Band verbarg, was einst Illidans sterbliche Augen gewesen waren. Augen, die von Sargeras, dem Dämonenlord, während des Kriegs der Ahnen ausgebrannt worden waren, als Zeichen von Illidans Loyalität gegenüber seinem neuen Meister in der Brennenden Legion. An ihrer Stelle sorgte ein sengendes grünes Leuchten, das Dämonenfeuer, dafür, dass Malfurions Bruder nicht nur die Welt um sich herum sehen konnte, sondern auch alle mystischen Energien, die ihr innewohnten.

Illidan, murmelte Tyrande voller Zuneigung. Ihr Blick war immer noch auf Malfurion gerichtet. Der Erzdruide konnte keinerlei Empörung darin erkennen. Dann sagte sie: Illidan, seht ihn nur an...

Der Dämon stapfte auf seinen schweren Hufen vorwärts. Er war jetzt viel größer als zu seinen Zeiten als Nachtelf. Seine Brust war breit, breiter, als sie hätte sein sollen. Illidans Oberkörper war nackt, abgesehen von arkanen Tätowierungen, die ebenfalls vor grüner Energie glühten. Seine einzige Kleidung bestand aus Hose und Schuhen, Überbleibsel seiner sterblichen Vergangenheit.

Beruhigt Euch, mein Schatz, antwortete Illidan. Seine Lippen bewegten sich asynchron. Zu Malfurions Schrecken legte sein Zwilling den muskulösen Arm um Tyrandes Schulter, bedeckte sie mit einer Hand, die in gewundenen Krallen auslief.

Und zum noch größeren Entsetzen des Erzdruiden fand Tyrande Trost in dieser grotesken Umarmung.

Ich ertrage seinen Anblick nicht! Er ist nicht im Geringsten das, was ich einst glaubte!

Illidan grinste über ihren Kopf hinweg zu seinem veränderten Bruder. Es ist nicht Euer Fehler, Tyrande! Er ist schuld daran...er hat Euch verlassen...Er verlangte, dass alle anderen seinen Geboten folgen sollten, selbst wenn es für sie eine Tragödie bedeutete... Es ist seine gerechte Strafe...

Das ist eine Lüge!, begehrte Malfurion auf, doch keiner der beiden achtete auf ihn. Stattdessen wandte Tyrande Malfurion den Rücken zu und erwiderte Illidans Umarmung leidenschaftlich.

Ich habe so viele Jahrhunderte an ihn verschwendet!, sagte die Hohepriesterin verbittert. Er hat mich immer warten lassen... weil seine eigenen Wünsche stets wichtiger waren als ich...