„Sie hat den Namen nur einmal erwähnt! Bruxigan... Broxigan...“
„Broxigar?“ Die Hohepriesterin taumelte zurück. Sie ließ die Gleve fallen. Tränen traten ihr in die Augen. „Brox!“, rief Tyrande den anderen zu. „Das war ein Orc, der vor dieser Zeit gelebt hat! Ich habe mich mit ihm angefreundet, als ich noch eine Novizin und er der Gefangene meines Volkes war! Er kämpfte mit uns gegen die Brennende Legion und Azsharas Diener.“ Sie schluckte. „Und er starb im Kampf gegen den Schreckenslord Sargeras höchstpersönlich.“
Der Blick des Druiden schärfte sich. „Sie muss ihn meinen.“
„Doch er war Malfurions Freund!“, fuhr die verzweifelte Hohepriesterin fort. „Sie haben nie gegeneinander gekämpft. Und Malfurion ehrte ihn mit mir, als es vorbei war! Unser Volk errichtete ihm eine Statue, es ist der einzige Orc, der je diese Auszeichnung von uns erhielt!“
„Ich erinnere mich daran.“ Broll runzelte die Stirn. „Dann wurde sie ausgetrickst... und der Albtraum scheint dahinterzustecken...“
„Aber aus welchem Grund?“
„Ist das nicht offensichtlich, Herrin? Weil Malfurion eine Gefahr für die Macht ist, die sich dahinter verbirgt... Das gibt uns dann ein wenig Hoffnung, denn es bedeutet, dass Malfurion noch in der Lage sein muss, für sich selbst zu kämpfen...“
Tyrande zehrte von dieser Hoffnung. Sie trocknete die Augen und sagte: „Dann müssen wir zu ihm eilen! Lucan, als Ihr entkommen seid, habt Ihr darauf geachtet, in welche Richtung sie ging? Ich weiß, der Nebel ist überall, doch da ist diese... Burg...“ Die Hohepriesterin wies auf den fernen Umriss. „Kennt Ihr den Weg dahin?“
Er straffte sich und blickte ein wenig zuversichtlicher. „Ja, ja, Mylady! Es... es ist mein Beruf, Orte und Richtungen zu kennen!“ Der Kartograf wies zur Linken. „Hier lang...“
„Wir könnten fliegen“, bot Eranikus an. „Doch ich fürchte, dass Lucan uns von oben den Weg nicht mehr weisen könnte. Der Nebel ist zu dicht, um etwas zu erkennen...“
Tyrande hatte Lucan bereits am Arm gefasst. „Dann gehen wir jetzt. Führt uns!“, befahl sie dem Menschen.
Nickend trat Lucan einen Schritt vor. Tyrande hielt ihre Gleve bereit. Broll nahm die andere Seite des Mannes ein, und der Drache flog über den dreien.
„Dieser Orc beunruhigt mich“, sagte der Druide. „Ich verstehe nicht, wie er eine Gefahr für meinen Shan’do darstellen könnte.“
Der grüne Drache lächelte spöttisch auf ihn hinab. „Und damit hast du recht! Ein Orc ist kaum eine Gefahr an einem Ort wie diesem! Selbst wenn er vom Albtraum geleitet wird, ist doch Malfurion Sturmgrimm schließlich der oberste Druide! Sein Volk rühmt seine Taten! Keine weltliche Waffe wäre eine Gefahr für ihn...“
Lucan schluckte. „Sie hat eine Axt.“
Tyrande blickte ihn an, ihr Gesichtsausdruck war misstrauisch. „Die Orckriegerin hat eine Axt dabei?“ Sie drehte sich um und blickte Lucan an. „Beschreibt sie mir!“
„Es war eine Axt mit zwei Schneiden. Eine Kriegsaxt.“
„Und wie war sie gemacht? War der Kopf aus Eisen oder Stahl? Sagt es mir!“
Broll trat auf Tyrande zu, um die Hohepriesterin zu beruhigen. Doch sie wies ihn fort. Atemlos wartete sie auf Lucans Antwort.
„Weder aus Eisen noch Stahl“, antwortete er schließlich. Sein Gesicht verzog sich vor Konzentration. „Ich glaube... sie sah aus, als wäre sie aus Holz gearbeitet...“ Der Mensch nickte. „Ja, Holz! Ich habe nie zuvor eine aus Holz gefertigte Axt gesehen! Klingt nicht sehr praktisch, es sei denn, sie ist wirklich scharf, und selbst dann könnte sie leicht brechen...“
„Aus Holz gefertigt“, keuchte die Nachtelfe bestürzt. Sie blickte die anderen an. „Ihr wisst es nicht! Ihr wart nicht dabei, als Cenarius die Axt höchstpersönlich für Brox angefertigt hat!“
„Ich habe irgendwann schon mal davon gehört“, antwortete Broll. Er sah jetzt genauso besorgt aus wie sie. „Aus Holz gemacht, von einem Halbgott gesegnet... und so mächtig, dass sie sogar Sargeras verletzen konnte...“
„Und die Orcfrau jagt Malfurion damit“, fügte Tyrande hinzu. Die Hohepriesterin blickte in den Nebel, besonders auf das kaum sichtbare Gebäude... das einzige Gebäude. „Lucan, seid Ihr ihr wirklich entkommen?“
„Nein... sie sagte, dass sie mich nicht mehr brauchen würde. Sie war ihrem Ziel nahe.“
„Nahe...“ Tyrandes Augen weiteten sich, sie griff die Gleve... und plötzlich stürmte sie in den Nebel.
14
Der Albtraum im Innern
Nein!, dachte Malfurion. Nein...
Er hatte geahnt, dass seine geheimen Hoffnungen gefährdet sein würden, sobald sein Plan endlich Früchte trug. Der Albtraumlord hatte ihn verspottet, ihn mit Bildern von Tyrande gefoltert, die verloren im Nebel herumirrte und starb.
Und schlimmer noch, er drohte ein Teil dessen zu werden, das sich nahe dem Zentrum des Albtraums sammelte und sogar über den Nebel hinausreichte, der ihn umgab.
Ich muss mich... mehr anstrengen...
Er konnte seinen Entführer nicht in der Nähe spüren, was aber nicht bedeutete, dass er unbeobachtet war. Deshalb musste Malfurion auf subtilere Art vorgehen.
Mit Mühe bewegte er die Äste, die einst seine Arme gewesen waren. Der Nachtelf hatte das schon mehr als einmal getan, wenn er versuchte, seine Schmerzen zu lindern. Der Schmerz blieb, doch der kleine abgeschirmte Teil in ihm hatte etwas anderes vor. Er wollte eine mögliche Ablenkung schaffen.
Doch das Wesentliche geschah unter der Oberfläche. Unten, wo die Wurzeln ihn im Boden verankerten. Eigentlich dienten sie dem Albtraumlord, hielten ihn fest und nährten ihn mit den Schrecken, die noch darunter lauerten. Doch sein Entführer war zu selbstsicher, und deshalb entging ihm, dass eine einzelne kleine Wurzel höchst wichtig für Malfurion geworden war.
Durch Konzentration und Willenskraft hatte der Erzdruide sie unter seine Kontrolle gebracht. Weil das alles so wenig war, wurde es vom Albtraumlord ignoriert. Deshalb nutzte Malfurion jeden Moment aus, um seine Macht zu stärken, damit die Wurzel schließlich tat, was er wollte.
Und jetzt wollte er, dass sie sich tiefer in den Boden bohrte, tiefer als alle anderen Wurzeln. Malfurion erinnerte sich aller Dinge, die er über die Bindung der Druiden an die Natur wusste. Er überredete die Wurzel zu wachsen, führte sie immer tiefer am Ungeziefer vorbei, das im Dreck wühlte. Jenes Ungeziefer, das im wahrsten Sinne des Wortes alles untergrub, was einst der Smaragdgrüne Traum gewesen war.
Dann, als er tief genug war, musste er der Wurzel eine neue Richtung geben. Vorsichtig, damit der Albtraumlord nichts merkte, konzentrierte der Erzdruide seinen Willen darauf, die Wurzel aus dessen Reichweite heraus und tief in den Nebel hinein zu bewegen.
Er kam seinem Ziel immer näher. Er hatte keine andere Wahl, als immer weiterzumachen, selbst wenn das den Schattenbaum schließlich doch noch alarmierte. Zeit war ein nebulöser Begriff an diesem Ort, doch für Malfurion lief sie ab. Entweder erreichte er die Freiheit... oder die Verdammnis würde ihn holen, und er würde willentlich dem Schrecken dienen.
Zentimeter für Zentimeter arbeitete sich der Elf vor. Die Wurzel war nun fast am Ziel.
Malfurion spürte, wie der Schattenbaum sich auf ihn zubewegte.
Die skelettartigen Äste durchstöberten die Erde vor ihm. Der Albtraumlord redete nicht, was nichts Gutes erahnen ließ. Die Schatten breiteten sich genau in die Richtung aus, in die Malfurion die Wurzel geschickt hatte.
Tiefes böses Gelächter berührte seine Gedanken. Doch Malfurion unterdrückte die Angst vor der Entdeckung.
Diese Narren geben einfach nicht auf..., spottete der Albtraumlord. Selbst wenn ihre Zahl schwindet... und ihre Verluste zum Albtraum kommen...