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Der Schatten löste sich von der Wand. Die riesige Gestalt trat vor, ein Dämon. Er trug eine Rüstung aus Leder und Metall, schwarz wie Ebenholz. Sylvanas Tonfall ließ auf ein gewaltiges Misstrauen zwischen ihnen beiden schließen. Der Dämon trat zu ihr und bewegte sich dabei auf zwei hufbewehrten Beinen. Seine Haut war von blutig violetter Farbe, die zu den beiden großen Flügeln passte, die aus seinen Schultern entsprangen. Sein Kopf war lang und keilförmig, mit einer dunklen Haarmähne, die von seinem ansonsten kahlen Schädel herabfloss. Zwei tückische schwarze Hörner prangten auf den Schläfen. Grüne Edelsteine schmückten die Rüstung an den Unterarmen und der Hüfte. Ihre Farbe und das Leuchten passten zu seinen unmenschlichen Augen. Damit blickte er nun in die flammend roten Augen der Banshee.

„Ich habe Zauber um Zauber gewirkt, habe mich tief in jeden dieser Narren hineinbegeben... und stets mit demselben Resultat, Eure Majestät...“, antwortete er kühl. Der Dämon neigte den Kopf zur Seite, und mit analytischem Interesse beobachtete er den gequälten Gesichtsausdruck seiner Herrin.

„Wir träumen nicht!“, entgegnete Sylvanas, ihre Stimme war jetzt so schrill, dass der Dämon seine langen spitzen Ohren bedecken muss-te. Selbst dann spürte er noch den kurzen, aber scharfen Schmerz. Der Schrei einer Banshee war eine schreckliche Waffe, und Sylvanas war die tödlichste und einzigartigste aller Banshees.

„Das alles dürfte uns nicht betreffen“, fügte die Königin der Untaten ruhiger hinzu. „Sie träumen nicht, Varimathras...“

„Nicht einmal... Sharlindra?“

Sylvanas musste zu der bewegungslosen Gestalt blicken. Anders als der Rest war sie sorgfältig auf die Steinempore gelegt worden. Der Körper schien eher ein Trugbild als real zu sein, eine schwindende Illusion. Er strahlte eine weiße Aura mit blauen Untertönen aus. Im Leben war dies eine liebreizende Elfenfrau gewesen, und ihre Anmut war auch im Tod erhalten geblieben. Sie war Sylvanas eine weise und, anders als der Dämon, vertrauenswürdige Beraterin gewesen.

Doch Sharlindra war als Erste gefallen. Sylvanas beunruhigte allerdings noch mehr, dass sie etwas murmelte, als sie sich über sie gebeugt hatte.

Das tat sie immer noch. Sie alle taten es. Das alles wies daraufhin, dass der Dämon recht hatte. Sie träumten.

„Das ist ein Trick!“ Doch Sylvanas wusste aus eigener bitterer Erfahrung, dass so etwas nicht möglich war. „Das ist ein Trick, genauso wie dieser grünliche Nebel, der über Unterstadt liegt...“ Sie wandte sich von Sharlindra ab und blickte Varimathras an. Ihre Augen blitzten, als sie überlegte, wer wohl hinter dieser Sache stecken konnte.

Ihr fiel nur ein Name ein, und als sie ihn nannte – selbst nur geflüstert -, überkam sie eine Wut, die sogar Stein zum Beben brachte. ,Arthas... das ist das Werk des Lichkönigs... Doch das ist gar nicht mehr möglich...“

Keuchend öffnete Sharlindra plötzlich die Augen. Sie blickte auf und sah etwas, das Sylvanas nicht erkennen konnte.

Die tote Banshee lächelte. Sie streckte ihre schlanke, feinstoffliche Hand aus. „Leben... ich werde wieder leben...“

Sie schloss die Augen und senkte die Hand. Wieder murmelte sie etwas, obwohl Sylvanas die Worte nicht verstehen konnte.

Sylvanas’ Augen brannten vor Wut. Sie beugte sich über die stumme Gestalt. „Was für eine verderbte Narretei ist das? Sie hat unmögliche Träume von noch unmöglicheren Dingen. Sie träumt von den Lebenden. Wahnsinn!“

„Das ist gar nicht so verrückt“, bemerkte Varimathras hinter ihr. „Ein einfacher Zauber, in der Tat.“

Die Banshee wirbelte angesichts der skeptischen Bemerkung des Dämons mit offenem Mund herum. Varimathras hütete sich, sie zu verspotten. Er hatte schnell gelernt, dass seine Artgenossen nicht die einzigen Meister der Folter waren. „Du bewegst dich auf einem gefährlichen Pfad...“

Doch der Geflügelte zuckte nur mit den Achseln. „Ich sage lediglich die Wahrheit. Wiederbelebung ist für einen Schreckenslord eine recht einfache Sache.“

„Du meintest doch, dass es unmöglich ist! Ich habe dich gewarnt...“ Sylvanas’ Wut kochte über. Sie konzentrierte sich auf Varimathras.

Immer noch unbeirrt gestikulierte er: „Lass es mich dir zeigen.“

Eine Kraft so groß, als würde ganz Unterstadt über ihr einstürzen, warf die Banshee zu Boden. Instinktiv wollte sie von der festen Gestalt in den feinstofflichen Körper wechseln, doch das schien nicht zu funktionieren, denn sie spürte trotzdem den heftigen Aufprall. Sylvanas war kurzzeitig benommen, doch der kühle, feuchte Stein an ihrer Wange brachte sie wieder zu vollem Bewusstsein.

Und dann wurde ihr klar, dass sie solche Gefühle eigentlich gar nicht hätte spüren dürfen... eigentlich hätte sie überhaupt nichts spüren dürfen.

Der unaufhörliche Gestank nach Verwesung erfüllte ihre Nase. Er war stärker als jemals zuvor seit Gründung der Stadt. Er war so intensiv, dass sie hustete, und sie musste erst tief einatmen, um sich zu beruhigen.

Nur... atmete sie eigentlich gar nicht. Sie war schließlich tot.

Oder doch nicht?

Sylvanas beobachtete ihre Hand. Die bleiche Haut war einem blassen Rosa gewichen.

„Nein...“ Sie keuchte beim Klang ihrer eigenen Stimme... Ihre Stimme war, wie sie vor ihrer Verwandlung zur Banshee geklungen hatte.

Varimathras ragte über ihr auf. Der Dämon hielt ihr einen großen Spiegel mit goldenem Rand entgegen. „Siehst du? Ich habe nicht gelogen... zumindest nicht dieses Mal.“

Sylvanas starrte sich selbst an, ihr früheres lebendiges, atmendes Ich. Sie berührte ihre Wangen, ihr Kinn, ihre Nase.

„Ich lebe...“

„Ja, das stimmt.“ Varimathras schnippte mit seinen krallenbewehrten Händen.

Die vier grausigen Hochelfen kamen herbei und packten Sylvanas. Sie stanken fürchterlich. Kleine schwarze Kreaturen krabbelten über die Stellen, wo ihr Fleisch offen vom Knochen hing. Sylvanas wollte sich übergeben, und diese Tatsache allein erschreckte sie noch mehr.

Sie musste sich zusammenreißen. Sie war Kommandeurin der Hochelfen gewesen, und jetzt war sie die Königin der Verlassenen. Sylvanas blickte die Hochelfen an und befahclass="underline" „Lasst mich los!“

Aber sie packten nur fester zu. Sylvanas blickte in die eingefallenen Augen des einen – und erkannte darin einen derart starken Hass auf sie, dass sie einfach sprachlos war.

„Vielleicht sind sie ein wenig eifersüchtig“, bemerkte Varimathras, der wieder im Schatten versank. „Doch das sollten sie nicht. Du bleibst ja nicht lange so!“

Die Hochelfe schwankte zwischen Angst und Bedauern. „Es hält nicht lange an?“

„Es würde andauern, wenn wir es dir erlauben würden.“

Das sagte nicht der Dämon, sondern jemand anderes, der ohne Sylvanas’ Wissen eingetreten war. Sie konnte den Neuankömmling von ihrer Position aus nicht sehen. Doch Sylvanas kannte die Stimme gut... und erschauderte.

Varimathras befahl den Wachen, Sylvanas umzudrehen.

Sie erblickte eine in eine schwarze, eisige Rüstung gehüllte Gestalt.

Es war der Lichkönig.

Sie kämpfte darum, sich zu befreien, aber die Wachen hielten sie mit ihrem sprichwörtlichen Todesgriff fest. Schlimmer noch, sie schleiften sie auf den Lichkönig zu.

Arthas packte sie am Kinn. Seine menschlichen Gesichtszüge waren kaum durch die Öffnungen im Helm erkennbar. Frostiger Atem schlug ihr entgegen, als er sprach.

„Du siehst gut aus als Hochelfe... und als Banshee wirkst du noch besser...“

Sie wurde auf die steinerne Plattform gestellt und angekettet. Varimathras trat zum Lichkönig, der erneut seiner Gefangenen über das Kinn strich.

„Diesmal...verwandle ich dich richtig“, versprach Arthas. Sein kalter Atem fuhr über Sylvanas’ Gesicht, doch es war nicht der Atem, der sie frösteln ließ.