So zum Beispiel die Schattengestalt, von der er glaubte, sie wäre Valstann. Der Erzdruide stand mit einem frommen Lächeln im Gesicht vor seinen Brüdern, als hätte er sie hierher gerufen. Doch die Verantwortung lag bei zwei unglaublichen Wesen – eigentlich dreien, erkannte Malfurion plötzlich -, die nun in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rückten.
Fandral warf einen Blick hinter sich. Hamuul Runentotem und Shandris Mondfeder waren keine Gefangenen mehr.
Malfurions Angriff hatte gleich mehreren Zwecken gedient. So hatte er den Erzdruiden bekämpft und die Ablenkung durch den Kampf gleichzeitig dazu benutzt, um die düsteren Ranken zu lösen, die die beiden gefesselt hatten.
Malfurion versuchte, Naralex wiederzubeleben, doch der Nachtelf blieb besinnungslos. Bei Hamuul und Shandris hatte er mehr Erfolg gehabt. Er hatte Naralex in Hamuuls Obhut gelassen und sie beide zu dem Portal geschickt. Dabei hatte er gehofft, dass Fandrals Wahnsinn die anderen Nachtelfen davon abhalten würde, mitzubekommen, was gerade geschah.
Malfurion hatte Erfolg gehabt. Doch es war immer noch die Frage, ob die beiden mit Unterstützung zurückgekommen waren – oder mit weiterer Hilfe für Fandral. Das dritte Mitglied der Gruppe schien die letztere Möglichkeit zu bestätigen, denn er knurrte die Druiden an. Malfurion wollte unbedingt wissen, wie Broll Bärenfell hierher gekommen war. Die Antwort auf diese Frage musste aber noch warten.
„Sehr gut!“, verkündete Fandral den Neuankömmlingen. „Die Verräter sind versammelt! Exzellente Arbeit!“
„Sie behaupten aber, dass Ihr der Verräter seid, Meister Fandral“, sagte ein Druide vorsichtig.
Broll ging auf den Sprecher zu. „Und genau das ist er auch! Obwohl es ein Weilchen gedauert hat, bis ich endlich erkannt habe, dass er Euch alle nur dazu benutzt hat, die Befleckung Teldrassils zu fördern, statt den Weltenbaum zu heilen!“ An Malfurion gewandt sagte er: „Als ich die anderen warnen wollte, nahmen mich einige Druiden gefangen! Glücklicherweise erschienen Hamuul und Shandris gerade noch rechtzeitig, um ihnen zumindest ein wenig Vernunft beizubringen...“
„Wir taten, was wir für richtig hielten“, konterte der Druide, der bereits gesprochen hatte. Einige der Druiden schienen zum Kampf mit Broll bereit zu sein. Hamuul Runentotem trat neben den Nachtelfen. Shandris ging auf sie zu, doch dann blickte sie zu Malfurion.
Er nickte ihr zu und sagte zu den versammelten Druiden: „Ihr kennt mich. Die meisten von Euch habe ich selbst ausgebildet. Blickt in Euch selbst und seht, ob ihr meinem Wort immer noch vertraut.“
„Der Albtraum hat ihn verführt!“, unterbrach ihn Fandral. „Ihr wisst, wie lange er verschwunden war. So groß unser Shan’do auch einst gewesen sein mag, so ist er jetzt doch ein Sendbote der Finsternis! Glaubt seinen Worten nicht!“
„Und warum sollten sie E u c h glauben, Fandral?“, erwiderte Broll. „Ihr habt versprochen, dass Teldrassil unser Volk wiederherstellen würde. Doch nun müssen sie nur ihre Sinne einsetzen, um zu erkennen, was daraus geworden ist!“
Malfurion blickte Broll anerkennend an. „Ihr unterschätzt Euch immer noch. Ihr wisst, was in dem Weltenbaum lauert, oder nicht, Broll?“ Er wandte sich an den Tauren. „Und Ihr auch, Hamuul...“
„Ich habe es gespürt, aber ich konnte es nicht glauben, Malfurion Sturmgrimm. Naralex spürte es auch, und gemeinsam trafen wir auf die Generalin, die auch auf der Suche nach der Wahrheit war...“
„Naralex?“ Malfurion schaute sich um. Doch er konnte den Nachtelfen nicht entdecken.
„Er ist immer noch ohnmächtig“, stellte der Tauren grimmig klar. „Er wurde am schwersten verletzt. Ich habe für ihn getan, was ich konnte... aber er braucht noch weitere Hilfe...“
Unter den versammelten Druiden rumorte es. Sie waren bestürzt. Naralex war ein mächtiger Druide, den die meisten mochten. Nun sahen sie Fandral in einem neuen Licht.
Fandral blickte jeden finster an, der sich nun gegen ihn gestellt hatte. „Naralex ist auch ein Verräter. Er ließ mir keine Wahl! Sie alle sind Verräter!“
Seine arroganten Worte nahmen die Menge nur weiter gegen ihn ein. Mehrere der übrig gebliebenen Druiden gingen zu Broll und den anderen, die sich bereits auf Malfurions Seite geschlagen hatten. Malfurion trat vor, entschlossen, die Verantwortung für jede von Fandrals Taten zu übernehmen.
„Wie viele mehr müssen noch leiden und sterben?“, fragte Malfurion. „Ganz Azeroth stirbt, Fandral!“ An die versammelten Druiden gerichtet, erklärte er: „Während er Euch hier festgehalten hat und behauptete, den Weltenbaum zu heilen, wurde der Rest der Welt angegriffen. Blickt in Euch und spürt Azeroths Schmerz...“
Sie taten, was er erbat, und praktisch augenblicklich keuchten mehrere Druiden vor Entsetzen auf.
„Die Mondlichtung!“, stieß einer hervor. „Selbst die Mondlichtung! Doch wo ist Remulos? Er hat sie doch sicherlich nicht verlassen?“
Das war eine gute Frage, deren Beantwortung Malfurion übernahm. Er wusste, dass Fandral weder mächtig noch schlau genug war, um den Hüter der Lichtung zu überwältigen. Doch diese böse Kraft hinter dem wahnsinnigen Nachtelfen war es vielleicht schon. „Nun, Fandral? Wo ist Remulos?“
„Er ist auch ein Verräter! Er bleibt so lange gefangen, bis er die Wahrheit erkennt!“ Der verrückte Erzdruide zeigte auf die versammelten Druiden. „Ihr alle werdet verändert, damit Ihr die Wahrheit erkennt!“
Fandral ließ alle Täuschung fallen und vollführte einige Gesten. Viele der Druiden fassten sich plötzlich an die Brust.
Aus einem entsprang eine lange Ranke, die sich wie eine Schlange vor und zurück wand. Trotz der schrecklichen Wunde packte der Druide sie – nur um zu erkennen, dass ihm weitere grässliche Ranken aus Händen, Armen und dem ganzen Körper wuchsen.
„Ich habe mich auf Euren Verrat vorbereitet“, erklärte Fandral. Seine Augen blinzelten nicht. „Auf die eine oder andere Weise... werdet Ihr alle Teldrassil und seinen Zielen dienen!“
Dem ersten Opfer folgten weitere. Malfurion reagierte augenblicklich und versuchte, das Wachstum von Fandrals böser Saat zu stoppen. Wahrscheinlich hatten die Druiden sie eingeatmet, wie die Sporen, die ihn angegriffen hatten. Fandral war bereit, jeden anderen Druiden für seine Ziele zu opfern.
Aber nicht alle waren von seinem Zauber betroffen. So blieben alle Druiden, die sich Fandral angeschlossen hatten, verschont. Dass sogar einige seiner Brüder bereits verderbt worden waren, machte Malfurion traurig.
Aber er hatte keine Zeit sich zu fragen, warum jemand einen solchen Weg einschlug. Er musste die Betroffenen retten.
Doch weder Fandral noch der Albtraumlord gaben ihm diese Zeit. Die Befleckung in Teldrassil schritt weiter voran. Darnassus wurde erneut angegriffen, als weitere Schattenkreaturen aus den schwarzen Blättern des Weltenbaums wuchsen.
Malfurion musste sich um Fandral und seinen Herrn kümmern. Das bedeutete jedoch, seine Brüder zu opfern. Der erste Druide war bereits verloren. Was von seinem Körper übrig war, wurde von dem explosionsartigen Wachstum der parasitären Ranken verzehrt.
Aber es gab eine Hoffnung, eine die stark genug war – wenn er denn daran glaubte. „Broll! Seht mich an! Begreift, was getan werden muss!“
„Es bedeutet nichts!“, rief Broll verbittert zurück und wies auf sein großes Geweih. „Ich bin nicht wie Ihr, Shan’do!“
„Doch, seid Ihr!“, widersprach Malfurion, die Anstrengung in seiner Stimme wurde hörbarer. „Spürt Eure Verbindung zu Azeroth! Ihr könnt das Böse aufhalten! Oder wollt Ihr zusehen, wie alle einen schrecklichen Tod erleiden?“
Es war eine brutale Frage, und Malfurion hasste sich dafür, sie stellen zu müssen. Doch er konnte nicht länger warten. Der Rest des Nachtelfenvolkes – der Rest von Azeroth – hatte kaum noch mehr Zeit als die Druiden.