Es ist zu bezweifeln, dass die Inkas, die Crée, die Algonquin, die Mojave-Apachen, die Tschokta und viele andere nordamerikanischen Indianervölker je von der biblischen Flut gehört hatten. Und doch kennen sie alle Mythen über unerklärlich steigendes Wasser und einen Helden, der die Menschen auf die eine oder andere Weise rettet. Ein Teil dieser Mythen wurde erst im neunzehnten Jahrhundert gesammelt und könnte deshalb durch die Bibel beeinflusst worden sein. Aber die archetypischen Sagen der Indianer stammen eindeutig aus einer Zeit, in der noch kein Kontakt mit Europa bestand.
Auch der Flut-Mythos der Azteken folgt dem Muster aller anderen Sagen der Welt: Die Menschen wurden so schlecht, dass die Götter die ganze Welt mit Regen überschwemmten. Nur ein Paar wurde verschont. Der Mann mit Namen Nena wurde angewiesen, ein Boot zu bauen, und gehorchte. Anders als Noah, der ein Günstling Jahves war, reizte Nena die Götter der Azteken, und weil diese ohnehin weit strenger als der Gott der Juden waren, verwandelten sie Nena in einen Hund. Nach der Flut war die Erde dann eine Tabula rasa, auf der die Götter alles neu schufen.
Wie die Geschichte von Noah und so vielen anderen Gestalten bringt auch der Mythos der Inkas die Flut mit den göttlichen Mächten in Verbindung, wertet sie als deren Reaktion auf die Verderbtheit der Menschen in einer Zeit unzähliger Kriege und der Barbarei. Natürlich geben die Mythen im allgemeinen den Opfern die Schuld an Naturkatastrophen. Genauso berechtigt ist aber auch die Auslegung, dass das allen diesen Geschichten gemeinsame Grundmuster – ein Held, der die Bosheit der Welt von sich weist und das Tierreich und eine Hand voll Menschen rettet – eine Erinnerung an eine vergangene soziale Weltordnung darstellen könnte, die durch genau die Art von Katastrophe zerstört wurde, die wir in diesem Buch erörtern.
Eines der häufigsten Themen dieser Flutmythen dreht sich um eine der Flut vorangegangene lange Regenperiode. Nicht ein paar Tage oder Wochen, sondern Monate endlosen Regens. Mit anderen Worten: Überall auf der Welt scheinen sich die verschiedensten Völker an eine Flut zu erinnern, die mehr umfasste als das rätselhafte Ansteigen eines Sees oder Meeres – nämlich einen nie da gewesenen, übermächtigen Regensturm.
So, wie diese und so viele andere unserer ältesten Mythen offenbar parallele Geschichten erzählen, drängt sich der Schluss auf, dass die Vorstellungen der Griechen, der Azteken oder der Hindu von aufeinander folgenden Zeitaltern der Menschheit, an deren Ende die Welt von ihren vorherigen Bewohnern buchstäblich gesäubert ist, einen wahren Kern enthalten müssen.
Mit dem plötzlichen Absinken des Methananteils in der Luft, das vor ungefähr 8000 Jahren eintrat, ging eine neuerliche Abkühlung einher, und genau in dieser Phase könnte unserer Vermutung nach der Supersturm aufgetreten sein, um den sich dieses Buch dreht. Dieser Sturm löste keine Eiszeit aus; das wäre aber möglich gewesen, hätte er sich in einem Herbst oder Winter ereignet.
Aber warum sank das Methan ab? Könnte der Sturm selbst die Ursache gewesen sein? Nun, Methan gelangt aus verschiedenen Quellen in die Atmosphäre: Energieverbrauch durch den Menschen, Vulkantätigkeit, verfaulende Vegetation, tierische Verdauung, chemische Reaktionen wie diejenige im Mittelmeergebiet, die wir im letzten Kapitel behandelt haben.
Anders als Kohlendioxid löst sich Methan auf, wenn seine Quelle entfernt wird. Das nach den unterseeischen Erdrutschen im Mittelmeer frei gewordene Methan könnte tatsächlich einen Wärmestau verursacht haben, der ausreichte, um einen Treibhauseffekt zu bewirken. Damit ist freilich nicht erklärt, warum die Werte bis zu der von uns vermuteten Katastrophe konstant hoch blieben. Von einer extremen vulkanischen Tätigkeit, die die Methanwerte in die Höhe getrieben haben könnte, gibt es keine Spuren. Wenig wahrscheinlich ist auch, dass binnen kürzester Zeit Populationen von Methan erzeugenden Lebewesen – insbesondere Grasfresser – in einem Ausmaß anwuchsen, das eine deutliche Veränderung bewirkt hätte.
Folglich ist die Höhe der Methanwerte auf eine unidentifizierte Quelle zurückzuführen. Diese muss konstant und sehr groß gewesen sein, sonst hätte sie den einige Jahrtausende vorher entstandenen überdurchschnittlichen Methananteil in der Atmosphäre nicht zusätzlich speisen können.
Die Wissenschaft hat dieses Rätsel bis heute nicht lösen können. Fest steht jedoch, dass das Methan hoch konzentriert war – bis es vor 8000 Jahren auf die davor üblichen Werte abfiel, und zwar sehr schnell.
Die frühesten landwirtschaftlichen Nutzflächen tauchten ungefähr in dieser Zeit auf. Die Ursprünge des Ackerbaus sind in einer Reihe von Hochlandgebieten lokalisiert worden: in der Umgebung des Titicaca-Sees in den Anden; in der zentralen Hochebene von Thailand, wo man anfing, wild wachsenden Reis zu kultivieren; in Äthiopien, wo man Hirse nutzbar machte; und in verschiedenen Gebieten im nördlichen Mitteleuropa, in denen sich offenbar Flüchtlinge aus der Senke niederließen, die bis heute vom Schwarzen Meer bedeckt ist. Es ist möglich, dass die Erfindung der Landwirtschaft oder ihre Verlagerung aus den überschwemmten in höher gelegene Gebiete das Aussterben der Menschheit verhinderten.
Die frühen Geschichten schildern nicht nur eine Flut, sondern auch eine Art von Katastrophe, die sogar die Sonne mit einbezog. In vielen Erzählungen der nordamerikanischen Indianer wird die Sonne als Ball beschrieben, der sich »über den Himmel wälzte« oder »über den Himmel sprang«. Tage um Tage völliger Dunkelheit mit nicht enden wollenden Regengüssen und steigendem Wasser folgten. Hinzu kam eine klirrende Kälte, die ihren Tribut forderte.
Seitdem genießen wir relative Wärme und Jahrtausende des Gedeihens und der Vermehrung und haben ein noch nie da gewesenes Maß an Wohlstand erreicht.
Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass wir an einem Wendepunkt angekommen sind und in eine Krise wie diejenige stürzen könnten, die die letzte Periode mit extremem Wetter auslöste. Wir könnten tatsächlich in dieselbe Lage geraten wie damals unsere Vorfahren.
20.
In Paris gehen die Lichter aus
Seit der Ardennenoffensive der Deutschen im Jahr 1940 hatte man in Frankreich keine Flüchtlinge mehr auf den Straßen gesehen. Am Anfang waren Deutsche, Polen und Tschechen gekommen, danach Dänen, Belgier und ein versprengtes Häuflein Norweger und Schweden. Keine Finnen. Keine Letten, Esten oder Russen.
Sie kamen in Scharen, dicht gedrängt auf Lastern, in Limousinen und Kleinwagen, in Zügen und Flugzeugen. Frankreich war in keiner Weise auf Ströme von einer halben, bald einer Million und noch mehr Flüchtlingen pro Tag eingestellt, die die zugeschneiten Autobahnen verstopften, die Nebenstraßen überschwemmten, um am Ende zu Fuß über Felder und vereiste Flüsse zu laufen und allerorts zu kaufen, betteln und plündern.
Die französische Regierung war hoffnungslos überfordert. In ihrer Verzweiflung brach sie die europäische Verfassung und versuchte, die Grenzen dichtzumachen.
Doch die Soldaten waren nicht für Grenzüberwachung ausgebildet. Abgesehen davon scherte sich der Blizzard ohnehin nicht um Gesetze, sodass der nördliche Teil des Landes schnell lahm gelegt wurde.
In einer Hinsicht bedeutete das eine Erleichterung für die Regierung, denn die Flüchtlingsströme versiegten allmählich. Das Einzige, was jetzt noch von ihnen zu sehen war, waren lange Wellen im Schnee – unter denen die unzähligen Fahrzeuge in den verstopften Straßen liegen geblieben waren. Die Zahl der Toten dort draußen kannte niemand. Aber es waren viele. Sehr viele.