Und alles wäre bis ans Ende unseres gemeinsamen Lebens gutgegangen, hätte er nicht mit dem Dampfer nach Honolulu fahren müssen. Es war eine Geschäftsreise. Er wollte zwei Wochen oder länger fortbleiben. Zuerst waren für die Glenns einige Dinge wegen der Ranch zu erledigen, danach wollte er für sich selbst noch mehr Land im oberen Nahala-Gebiet kaufen. Weißt du, er kaufte Parzellen des unerschlossenen Hügellands, das, abgesehen von dem Wasser und der Lage direkt an der Wasserscheide, wertlos war, für den lächerlichen Preis von fünfzehn Cent den Morgen. Und da meinte er, daß mir eine Abwechslung gut täte. Ich wollte mit ihm nach Honolulu fahren. Doch mit Rücksicht auf die Ausgaben beschloß er, daß ich nach Kilohana gehen sollte. Nicht nur, weil der Besuch in meinem alten Zuhause ihn nichts kostete, er sparte auch das Geld für das bißchen Essen, das ich auf Nahala verbraucht hätte, wäre ich allein dort zurückgeblieben. Dafür konnte er noch mehr Nahalagrund kaufen. Und in Kilohana willigte Onkel John ein und lieh mir das Pferd.
Ach, in diesen ersten paar Tagen meiner Heimkehr fühlte ich mich wie im Himmel. Es war anfangs schwer zu glauben, daß es soviel zu essen auf der Welt gab. Die ungeheure Verschwendung in der Küche erschreckte mich. So gut war ich von meinem Ehemann George erzogen worden, daß ich überall Verschwendung sah. Warum aßen draußen in den Gesindestuben die alten Verwandten und andere Kostgänger der Diener besser, als George und ich je gegessen hatten? Du erinnerst dich, wie es bei uns auf Kilohana war, ebenso wie bei den Parkers, wo zu jeder Mahlzeit ein Ochse geschlachtet wurde und Läufer aus den Teichen von Waipio und Kiholo frische Fische brachten, von allem immer nur das Beste und Seltenste.
Und Liebe, die Liebe, die in unserer Familie herrschte! Du weißt, wie Onkel John war. Und Bruder Walcott war da und Bruder Edward und alle jüngeren Schwestern außer dir und Sally - ihr wart auf der Schule. Und Tante Elizabeth und Tante Janet mit ihrem Mann und all den Kindern waren zu Besuch. Es gab nichts als Umarmungen und Zärtlichkeiten, und alles das hatte ich zwölf lange Monate entbehrt. Mich dürstete danach. Ich war wie eine Schiffbrüchige, die aus dem offenen Boot auf den Sand sinkt und gierig aus den frischen, sprudelnden Quellen am Fuß der Palmen schlürft.
Und da kam sie von Kawaihae, wo die königliche Jacht angelegt hatte, heraufgeritten, die ganze prächtige Kavalkade, immer zu zweien, blumenbekränzt, dreißig junge, glückliche und fröhliche Menschen auf Pferden der Parker-Ranch, dazu hundert Cowboys und noch ebensoviele eigene Gefolgsleute -ein königlicher Zug. Es war natürlich Prinzessin Lihue mit ihrem Gefolge, von der wir alle wußten, daß sie fieberglühend an der schrecklichen Schwindsucht dahinsiechte. Aber bei ihr waren ihre Neffen, Prinz Lilolilo, dem man bereits überall als dem künftigen König zujubelte, und seine Brüder, Prinz Kahekili und Prinz Kamalau. Und mit der Prinzessin kam Ella Higginsworth, die durch ihre Abstammung von den Häuptlingen Kauais begründetere Ansprüche auf den Thron hätte geltend machen können als die regierende Familie selbst, und Dora Niles und Emily Lowcroft und - ach, warum sie alle aufzählen! Ella Higginsworth und ich waren Zimmergenossinnen auf der Königlichen Schule gewesen. Und für eine Stunde machten sie Rast - es gab kein Luau, denn das Luau wartete auf sie bei den Parkers - aber Bier und stärkere Getränke für die Männer und Limonade, Orangen und erfrischende Wassermelonen für die Frauen.
Und sie umarmten mich, Ella Higginsworth und die Prinzessin, die sich noch an mich erinnerte, und all die anderen Mädchen und Frauen, und Ella sprach mit der Prinzessin, und die Prinzessin lud mich selbst ein, sie auf ihrer Reise zu begleiten. Ich sollte in Mana zu ihnen stoßen, von wo sie zwei Tage später aufbrechen wollten. Und ich war außer mir, wie von Sinnen - ich, die ich eine Gefangenschaft von zwölf Monaten im grauen Nahala hinter mir hatte. Und ich war erst neunzehn, sollte noch in dieser Woche zwanzig werden.
Ach, ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Ich war so mit den Frauen beschäftigt, daß ich Lilolilo nur von fern sah, da er, hochgewachsen, alle anderen Männer überragte. Doch ich hatte noch nie an einer königlichen Rundreise teilgenommen. Zwar hatte ich sie früher schon einmal gesehen, als sie zu Gast auf Kilohana und Mana waren, aber damals war ich noch zu jung gewesen, um zum Mitkommen eingeladen zu werden. Und danach ging ich zur Schule und heiratete dann. Ich wußte, daß es zwei paradiesische Wochen werden würden
- wenig genug für weitere zwölf Monate in Nahala.
Und ich bat Onkel John, mir ein Pferd zu leihen, was natürlich drei bedeutete - eines für den Cowboy, der mich begleitete, und ein Packpferd. Damals gab es keine Straßen. Auch keine Automobile. Und das Pferd, das Onkel John mir gab! Es war Hilo. Du wirst dich nicht an ihn erinnern. Du warst damals auf der Schule, und bevor du ein Jahr später nach Hause kamst, hatte er sich oben am Mauna Kea beim Einfangen von wilden Rindern das Rückgrat und seinem Reiter das Genick gebrochen. Du hast sicher davon gehört - von diesem jungen amerikanischen Marineoffizier.«
»Leutnant Bowsfield«, nickte Martha.
»Aber Hilo! Ich war die erste Frau, die je auf seinem Rücken gesessen hatte. Er war ein dreijähriger, fast vierjähriger Hengst und gerade erst zugeritten. So schwarz und glänzend war sein Fell, daß er im Licht wie in schimmerndes Silber gehüllt schien. Er war das größte Reitpferd auf der Ranch, ein Nachkomme von Sparklingdew, der dem König gehörte, mit einer erstklassigen Stute als Mutter, und man hatte ihn erst vor ein paar Wochen eingefangen. Nie habe ich ein so schönes Pferd gesehen. Er hatte den gewölbten Brustkorb und den runden, wohlproportionierten Körper des idealen Bergponys, Kopf und Hals waren die eines Rassepferdes, schlank und doch voll, mit wunderschönen, aufmerksam gespitzten Ohren, weder zu klein, um tückisch, noch zu groß, um wie die eines störrischen Maulesels zu wirken. Und auch seine Beine und Füße waren wunderschön, tadellos, sicher und fest, mit elastischen Fesseln, die ihn unter dem Sattel zu einem Wunder an Leichtigkeit machten.«
»Ich entsinne mich, wie Prinz Lilolilo zu Onkel John sagte, daß du die beste Reiterin auf ganz Hawaii seist«, unterbrach Martha sie. »Das war zwei Jahre später, als ich von der Schule zurück war und du noch in Nahala lebtest.«
»Lilolilo hat das gesagt!« rief Bella. Ihre länglichen braunen Augen leuchteten auf, und es schien fast, als erröte sie, als sie an ihren Geliebten zurückdachte, der nun schon fast ein halbes Jahrhundert tot und zu Staub zerfallen war. Mit der angeborenen edlen Bescheidenheit der Hawaiianerin überspielte sie die unfreiwillige Offenbarung mit weiteren Lobeshymnen auf Hilo.
»Ach, wenn er mit mir die mit hohem Gras bewachsenen Hänge hinauf- und hinabjagte, nahm er die Hindernisse wie im Traum, denn er sprang mit jedem Satz wie ein Reh, wie ein Hase oder ein Foxterrier über das Gras hinweg - du kennst das. Und er machte Kapriolen, tänzelte und schäumte über vor Lebenslust! Er war ein Pferd für einen General, einen Napoleon, einen Kitchener. Und seine Augen blickten nie bösartig, nur schalkhaft und, ach, so intelligent, als würde er sich über einen Witz freuen und lachen oder als wolle er selbst einen machen. Und ich bat Onkel John, mir Hilo zu geben. Und Onkel John sah mich an, und ich sah ihn an - und obwohl er es nicht aussprach, spürte ich, daß er im stillen >liebe Bella< sagte, und ich wußte, daß er irgendwo in mir sein Traumbild der Prinzessin Naomi wiederentdeckte. Und Onkel John sagte ja. Und so nahm alles seinen Lauf.
Aber er bestand darauf, daß ich erst einen Versuch mit Hilo machte - und zwar allein, ohne Zuschauer. Er war schwer zu bändigen, herrlich schwer. Aber er war nicht bösartig, nicht heimtückisch. Immer wieder ging er mir durch, aber ich ließ es ihn nicht merken. Ich hatte keine Angst, und dadurch hatte ich immer ein Gespür für ihn, so daß er nicht auf die Idee kam, er sei mir auch nur einen Sprung voraus.