Alle traten bei seinen Worten verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Zumindest alle außer Lorena, die ihr Schwert zog und die Spitze direkt auf Jalods Kehle setzte. Der alte Mann schien überrascht zu sein, und mehr als das. Seine blauen Augen weiteten sich vor Angst, was man selbst unter den Falten sehen konnte, die sein Gesicht durchzogen.
Lorena sagte leise und gerade deshalb so bedrohlich: »Sprecht niemals wieder in meiner Gegenwart schlecht von Lady Proudmoore, Sergeant. Mich interessiert es nicht, mit wem Ihr zusammen gedient oder wie viele Trolle und Dämonen Ihr getötet habt. Wenn Ihr jemals so etwas auch nur wieder denkt, werde ich Euer Innerstes nach außen kehren und die Einzelteile an die Hunde verfüttern. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Strov trat vor. »Ich bin mir sicher, der Sergeant wollte Lady Proudmoore nicht beleidigen, Ma'am.«
»Natürlich nicht.« Jalods Stimme klang jetzt brüchig. »Ich zolle ihr höchsten Respekt, Ma'am, Ihr wisst das. Es ist nur...«
»Was?«
Jalod schluckte, sein Adamsapfel stieß gegen Lorenas Schwertspitze. »Diesen Orcs kann man nicht trauen. Das ist alles, was ich sage.«
Das war nicht alles gewesen, aber Lorena senkte ihr Schwert dennoch. Jalods jahrzehntelanger Dienst verschaffte ihm das Recht auf ein paar Zweifel, und seine Worte waren letztlich nur allzu verständlich für einen Mann, der wacker unter Lady Proudmoore gedient hatte. Dessen Dienst zurückreichte bis in die Zeit, bevor Arthas dem Bösen verfallen war. Wäre es irgendjemand anderes gewesen, hätte sie es nicht bei einer Verwarnung belassen, sondern ihn tatsächlich an Ort und Stelle ausgeweidet.
Lorena steckte ihr Schwert zurück. »Lasst uns zu den Docks zurückkehren. Es ist eine lange Reise bis nach Hause.«
Als sie zu der Stelle marschierten, wo ihr Schiff vertäut lag, fragte sich Lorena, was eigentlich los war. Sie war ihr ganzes Erwachsenenleben lang Soldat gewesen. Als jüngstes von zehn Kindern, das einzige Mädchen, hatte sie Soldat werden wollen, genau wie ihre Brüder und ihr Vater. Sie hatte sich dafür sogar selbst davon überzeugt, ein Junge zu sein – bis ihr Körper sie in ihrem dreizehnten Sommer mit der Realität konfrontierte, dass sie genau das eben nicht war. Sie war so geschickt mit Schwert und Schild, dass ihr Vater seinen Widerstand schließlich aufgab und ihren Wunsch unterstützte, der Stadtwache von Kul Tiras beizutreten. Über die Jahre arbeitete sie sich in den Rängen nach oben, um schließlich im Krieg gegen die Brennende Legion Oberst unter Lady Proudmoore zu werden.
Im Laufe der Zeit hatte sie ihren Instinkt geschärft. Den Instinkt eines Soldaten, der einer Familie von Soldaten entstammte. Und dieser Instinkt sagte ihr jetzt, dass hinter der Sache mit dem Patrouillenboot, das weder das Handelsschiff noch die angreifenden Piraten im Nebel gesehen hatte, mehr steckte. Der Verdacht war schon von dem Moment an in ihrem Hinterkopf herumgegeistert, da sie in Northwatch angekommen war. Aber Jalods Worte hatten ihn noch bestätigt.
Sie war sich nicht sicher, was genau nicht stimmte. Aber sie hatte vor, genau das herauszufinden.
Als sie zum Rand der Lichtung marschierten, war Strov darauf bedacht, Sergeant Jalod die ganze Zeit im Auge zu behalten. Er wusste nicht, was in den alten Bussard gefahren war, aber Strov gefiel es nicht, kein bisschen.
Es war eine Sache, sich über die Orcs zu beschweren. Das war angesichts der Ereignisse vielleicht zu erwarten und verständlich. Wenngleich Strov selbst die Orcs eher für Opfer des dämonischen Einflusses hielt. Es war genauso sinnvoll, sie zu hassen wie Medivh, und der wurde als Held verehrt, trotz allem, was die Dämonen ihm angetan hatten.
Dennoch konnte Strov verstehen, warum einige Menschen die Orcs nicht ausstehen konnten.
Aber Lady Proudmoore? Die Einzigen, die berechtigten Grund hatten, schlecht von ihr zu denken, waren die Brennende Legion und deren Sympathisanten.
Jalod hatte solche Ansichten in der Vergangenheit nie geäußert. Was Strov auf den Gedanken brachte, dass der Sergeant vielleicht allmählich verrückt wurde.
Das war nichts Ungewöhnliches. So etwas passierte den besten Leuten. Aber es konnte alle anderen in Gefahr bringen. Was man in der Ausbildung beigebracht bekam, war, dass man sich auf die Leute in seiner Einheit verlassen können musste. Strov war sich nicht sicher, ob er sich auf Jalod noch verlassen konnte.
Strov war so damit beschäftigt, den Sergeanten im Blick zu halten, dass ihm nur langsam etwas auffiel, das er eigentlich schon früher hätten bemerken müssen. Die Bäume und Felsen bildeten zusammen mit ein paar Lagerhütten eine fast kreisförmige Grenze. Als sie sich dem Rand des Kreises näherten, sah Strov vier Gestalten in Kutten, die sich hinter den Lagerhütten, den Bäumen und Steinen versteckt hielten. Sie waren gut verborgen, aber Strov hatte schärfere Augen als die meisten.
»Hinterhalt!«
Auf Strovs Ruf hin gingen alle sieben Soldaten in Kampfposition und zogen ihre Schwerter. Gleichzeitig sprangen sieben Gestalten – Strov waren also drei entgangen – aus der Deckung.
Die Gestalten waren massig, ihre Kutten konnten kaum verbergen, dass es sich um Orcs handelte. Aber der Stoff verhinderte, dass man erkennen konnte, um wen es sich genau handelte.
Strov fiel noch etwas auf, während er den Knüppel abwehrte, der gegen seinen Kopf schwang: Die Kutten hatten ein Emblem auf der Brust, ein brennendes Schwert. Strov kam es bekannt vor, aber er hatte keine Zeit, den Gedanken zu Ende zu führen, weil der vermummte Orc sein Bestes gab, um Strovs Leben auszulöschen.
Der Orc schlug weitere drei Mal mit seinem Knüppel zu, und alle drei Hiebe parierte Strov. Nach dem dritten griff er selbst an und trat den Orc in den Bauch. Mit einer solchen Attacke hatte sein Gegner nicht gerechnet. Er strauchelte, und Strov stieß mit dem Schwert nach. Doch selbst im Stolpern konnte der Orc den Vorstoß mit seinem Knüppel abblocken.
Zum Unglück des Orcs gewann Strov durch diese Aktion aber immer mehr Oberwasser. Er attackierte nun ohne Unterlass mit verschiedenen Stößen und Schlägen und hoffte darauf, den Orc unvorbereitet zu treffen. Aber sein Gegner war gewieft. Er hatte erstaunliche Reflexe und war nun auf weitere Tritte und Schläge von Strov vorbereitet.
Strov wusste, dass sich viele Menschen voll auf ihre Waffe verließen. Aber er selbst zog es vor, seinen ganzen Körper einzusetzen.
Er stieß nach unten und hoffte, dass der Orc tief genug kontern würde. Dadurch würde sich seine Abwehr öffnen, und Strov könnte einen hohen Schlag auf den Schädel anbringen. Doch der Orc sah das voraus und hielt den Knüppel nur mit einer Hand, die andere hatte er erhoben, um sein Gesicht zu schützen.
Deshalb trat Strov dem Orc gegen das Bein. Der Tritt war nicht fest genug, um den Knochen zu brechen, aber der Orc stolperte und fuchtelte mit beiden Armen, um die Balance zu halten. Das gab Strov die Lücke, die er suchte, um dem Orc in die Brust zu stechen.
Zumindest dachte er das. Das Schwert durchdrang die Kutte mit Leichtigkeit, bis die Klinge halb eingedrungen war. Aber es fühlte sich nicht an, als ob sie in Fleisch schneiden würde. Und als er sie herauszerrte, was ihm mehr Mühe bereitete als erwartet, war auch tatsächlich kein Blut darauf zu sehen.
Strov biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich, damit ihn die Überraschung darüber, kein Blut vergossen zu haben, nicht von seinem Gegner ablenkte, der jetzt wieder sicher auf den Beinen stand.
Strov atmete tief ein, griff erneut an und verbot sich jede Schwäche. Er schlug auf den Hals des Orcs ein, wurde abgewehrt, hieb dann sofort auf den Bauch, dann wieder gegen den Hals und noch einmal auf die Beine. Seine Arme schienen aufgrund ihrer Geschwindigkeit zu verschwimmen, als er den Orc weiter und weiter bedrängte und keinen Zoll Boden wieder preisgab. Er ließ seinem Gegner kaum Zeit zu parieren und hoffte, dass die Gegenwehr früher oder später erlahmen würde.