Muzzlecrank hatte seine Stimme gesenkt in der Hoffnung, dass er so seinen Worten mehr Autorität verleihen konnte. Aber er wusste, dass er keine Möglichkeit hatte, diese Leute aufzuhalten, wenn sie sich seinen Worten zum Trotz doch entschlossen, weiterzukämpfen. Falls er gezwungen wurde, das Netzgewehr abzufeuern, würde er bestenfalls einen der Landepfosten in Mitleidenschaft ziehen.
Zu seiner Erleichterung sagte einer der Menschen: »Wir wollen keinen Ärger. Wir ziehen ab.«
Augenscheinlich wollten auch die Orcs nicht die Souveränität der Gnome von Ratchet verletzen, wenn es schon die Menschen nicht taten. Deshalb rief einer der Orcs schnelclass="underline" »Wir auch!«
Als er Klatt und den blutenden Menschen zurückbrachte, versuchte Muzzlecrank, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, um nicht zu hyperventilieren. Er war für diese Art Aufregung nicht geschaffen, aber ihm fiel auch auf Anhieb kein anderer Job ein, in dem er seinen Mann gestanden hätte.
Wie auch immer, Büttel zu sein hatte definitiv an Attraktivität eingebüßt.
Major Davin war so wütend, dass er an seinem Bart riss. Er zwang sich aufzuhören. Das letzte Mal, als er so wütend gewesen war, hatte er ganze Büschel ausgerupft, was nicht nur schmerzvoll war, sondern auch gegen die Kleiderordnung verstieß.
Der Grund seiner Wut war Korporal Rychs Bericht, den dieser nach seiner hastigen Rückkehr aus Ratchet verfasst hatte. »Sie haben tatsächlich Captain Joq eingesperrt?«
»Nun, das geschah nur der Fairness halber, Sir«, sagte Rych, »sie haben den Orc ebenfalls eingesperrt. Kaum ging die Streiterei los, kam dieser Gnomenbüttel dazu.«
»Und Ihr habt ihn Joq einsperren lassen?«
Rych blinzelte. »Mir blieb keine Wahl, Sir. Gnome sind für Ratchet zuständig. Wir haben keinerlei...«
Davin schüttelte den Kopf. »Keine Befehlsgewalt, ich weiß, ich weiß.« Er stand von seinem Stuhl auf, und begann im Büro auf und ab zu gehen. »Es ist lächerlich. Wir sollten diesem Schwachsinn nicht ausgesetzt sein.«
»Sir, ich verstehe nicht, worauf...«
»Die Orcs haben wirklich Nerven, wenn sie versuchen, uns so zu hintergehen.« Er drehte sich um und trat zum Fenster.
Rych nickte schnell und sagte: »Das ist sicherlich richtig, Sir. Das Korn, das sie uns angeboten haben, war wirklich widerlich, Sir. Eine Beleidigung war das. Und dann hat dieser Orc den Captain angegriffen. Völlig grundlos.«
Der Major blieb stehen und öffnete das Fenster. Er sah hinaus auf die Große See. Kleine Wellen schwappten sanft gegen den sandigen Strand. Es war ein friedliches Bild. Ein Idyll, von dem Davin wusste, dass es trügerisch war. »Alles gerät außer Kontrolle. Wenn die Orcs so weitermachen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder mit ihnen im Krieg liegen.«
»Ich glaube nicht, dass das passieren wird, Sir.« Rych klang zweifelnd, aber Davin wusste es besser.
»Oh, es wird, Korporal, da könnt Ihr Euch absolut sicher sein. Und mit den Tauren und den Trollen auf ihrer Seite werden sie uns überrennen. – Es sei denn, wir sind vorbereitet.« Er wandte sich zur Tür. »Gefreiter!«
Der Gefreite Oreil kam herein. Wie immer, wenn er ihn sah, seufzte Davin. Ganz gleich, wie viele Male der junge Gefreite auch eingekleidet wurde, immer war ihm die Rüstung um einiges zu groß.
»Ja, Sir?«
»Nachricht nach Theramore, sofort. Wir brauchen Verstärkung, und zwar so schnell wie möglich!«
»Jawohl, Sir, wird erledigt, Sir.« Oreil salutierte und verließ das Wachbüro, um den magischen Stein zu holen, den Lady Proudmoore ihnen gegeben hatte, um die Kommunikation zwischen Northwatch und Theramore zu verbessern. Längere Unterhaltungen konnte man damit zwar nicht führen, aber für kurze Botschaften reichte es.
Rych rieb sich gedankenverloren die Wangen. »Oh, Sir, bei allem gebotenen Respekt, aber ist das wirklich eine so gute Idee, Sir?«
»Sogar eine sehr gute.« Davin setzte sich wieder an seinen Tisch und verspürte nicht länger den Drang, sich die Haare aus dem Bart zu rupfen. Endlich hatte er die Initiative ergriffen, und es wirkte befreiend auf ihn. »Ich lasse ganz bestimmt nicht zu, dass uns diese grünhäutigen Bastarde unvorbereitet treffen!«
12
Aegwynn wünschte sich sehnlichst, dass diese lästige junge Frau einfach verschwinden möge.
Doch das würde natürlich nicht passieren. Aegwynn war zu sehr Realistin, um etwas anderes zu erwarten. Aber das hielt sie nicht davon ab, es sich von ganzem Herzen zu wünschen. Sie war seit zwei Jahrzehnten allein und hatte es schätzen gelernt, sich selbst genug zu sein. In diesen zwanzig Jahren war sie glücklicher gewesen, als in den Hunderten davor.
Sie hatte gehofft, dass dieses Hochland mit seinen unpassierbaren Bergen abgelegen genug war und niemand in der Lage sein würde, sie zu finden. Aber diese Hoffnung hatte sich als trügerisch erwiesen.
»Ich kann nicht glauben, dass Ihr immer noch lebt.«
Diese Proudmoore-Frau klang wie eine Halbwüchsige. Aegwynn wusste jedoch, dass das eigentlich nicht ihre Natur war, sondern sie sich erst in diese Rolle hineingesteigert hatte, als sie erfuhr, wer Aegwynn in Wahrheit war.
»Ihr wart immer einer meiner Helden. Als ich noch Schülerin war, habe ich die Aufzeichnungen Eurer Taten studiert. Ihr wart der bedeutendste Wächter«, fuhr Proudmoore fort.
Aegwynn schauderte bei dem Gedanken, was diese schlotternden alten Dummköpfe in der Violetten Zitadelle über sie verbreitet und niedergeschrieben haben mochten, und sagte: »Wohl kaum.«
Sie konnte dieses Geschwätz nicht länger ertragen, hob den Wassereimer an und ging zurück zur Hütte. Wenn sie Glück hatte, würde diese Proudmoore sie nicht weiter belästigen.
Aber Aegwynn hatte heute nicht sonderlich viel Glück.
Proudmoore folgte ihr. »Wegen Euch konnte ich überhaupt erst Magierin werden.«
»Grund genug für mich zu bereuen, dass ich eine wurde.«
»Ich verstehe nicht. Warum seid Ihr hier? Warum habt Ihr nicht allen erzählt, dass Ihr noch lebt? Ehrlich gesagt hätten wir Eure Hilfe im Kampf gegen die Brennende...«
Aegwynn schleuderte den Eimer zu Boden und wirbelte zu Proudmoore herum. »Warum ich hier bin, geht nur mich etwas an. Jetzt lasst mich in Frieden.«
Unglücklicherweise führte diese Aktion nur dazu, dass Proudmoore ihr bisheriges Gehabe aufgab und wieder zu jener starken Persönlichkeit wurde, die sie eigentlich war. »Es tut mir Leid, aber das kann ich nicht, Magna. Ihr seid zu wichtig für...«
»Ich bin für niemanden wichtig. Versteht Ihr das nicht? Ihr kleines dummes Kind! Ich bin nicht auf menschliche Gesellschaft vorbereitet – oder orcische, oder die von Trollen, Zwergen... wen immer Ihr wollt.«
Dieser Ausbruch brachte erneut das junge Ding in Proudmoore zum Vorschein. Aegwynn konnte die Magie in ihr sehen und erkannte – mochte sie auch im Vergleich zu ihr ein Kind sein –, dass sie sehr mächtig war. Sie war durch die Barrieren gelangt, ohne dass Aegwynn etwas davon mitbekommen hatte. Das zeugte von einem gewissen Können. »Ich bin kein kleines Mädchen. Ich bin eine Magierin aus Kirin Tor.«
»Und ich bin tausend Jahre alt, und so weit es mich betrifft, habt Ihr noch ein paar Jahrhunderte vor Euch, bevor ich eventuell in Erwägung ziehen könnte, Euch nicht mehr als kleines Mädchen zu bezeichnen, kleines Mädchen... Jetzt geht. Ich möchte allein sein.«
»Warum?« Proudmoore klang ehrlich verwirrt, was Aegwynn zu der Erkenntnis brachte, dass die junge Zauberin ihren Werdegang nicht richtig studiert hatte. Oder ihr Lebenslauf war gründlich verändert – verfälscht worden, bis Proudmoore ihn in die Finger bekommen hatte. Das Mädchen fuhr fort: »Ihr wart diejenige, die Frauen den Weg geebnet hat, überhaupt Zauberinnen werden zu können. Ihr seid einer der besungenen Helden von Azeroth. Wie konntet Ihr Euch nur abwenden...«
»Wie? Hm, ganz einfach – so.« Aegwynn drehte sich um und ging ins Haus. Ihren Eimer ließ sie stehen. Sie würde ihn später holen.