Mit seiner brüchigen Stimme sagte Scavelclass="underline" »Das war ich, junger Manfred. Und du und Falric wärt gut beraten, nicht noch einmal unaufgefordert zu sprechen.«
Falric und Manfred neigten ihre Köpfe. »Ja, Meister.«
Der Elf fuhr fort. »Was ich euch jetzt sagen muss, euch allen, ist, dass ein Krieg tobt. Er ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, nur der Gemeinschaft der Magier, von der ihr alle eines Tages ein Teil sein werdet. Dämonen sind in unsere Welt eingedrungen, und sie werden mit jedem Jahr aggressiver, egal, was wir auch dagegen unternehmen.«
»In der Tat«, warf der Gnom ein, was ihm einen tadelnden Blick des Elfen einhandelte. »Eigentlich werden sie wegen unserer Erfolge immer aggressiver.«
»Dämonen?« Natale klang entsetzt. Er hatte sich immer schon vor Dämonen gefürchtet.
»Ja«, sagte einer der Menschen. »Bei jedem Umlauf versuchen sie, uns zu vernichten. Nur Zauberer können gegen sie ankämpfen.«
»Den Tirisfalen wurde aufgetragen«, ergänzte der Elf mit einem Blick auf den Menschen, der verriet, dass er die Unterbrechung nicht schätzte, »diese Welt zu beschützen, und wir haben einen Wächter dafür berufen. Die besten jungen Magier im Land werden vom aktuellen Wächter zusammengebracht, eurem Meister Scavell in diesem Fall, der sie ausbildet. Dann bestimmen wir, welcher der Begabteste ist und der neue Wächter werden soll.«
»Die Wahl war nicht einfach«, sagte der Gnom.
Jonas murmelte: »Es ist eine dumme Wahl.«
»Was hast du gesagt, junger Mann?«, fragte ein anderer Elf.
»Ich sagte, die Wahl ist dumm. Aegwynn ist ein Mädchen. Sie taugt als weise Frau, die Kräutertränke an die Dörfler verteilt, aber das ist schon alles. Wir anderen werden Magier sein.«
Aegwynn sah Jonas empört an. Sie war ihm sehr nahe gekommen. Die beiden hatten ein paar Mal miteinander geschlafen, ihre Verbindung aber vor den anderen Schülern geheim gehalten, obwohl Scavell davon wusste. Es gab nichts, was dem alten Magier entging. Das Letzte, was sie erwartet hätte, waren diese Worte aus seinem Mund. Von Falric vielleicht, er war oft unausstehlich, aber doch nicht Jonas. Aegwynn schwor sich, dass er sie niemals wieder in sein Bett bekommen würde...
»Es ist wahr«, sagte ein alter Mensch mit einem Seufzen, »dass Frauen emotional reagieren und zu unkontrollierten Ausbrüchen neigen, die einem Magier nicht zustehen. Aber es ist auch wahr, dass Aegwynn das größte Potenzial von allen hat, und wir können es uns nicht leisten, dass nicht der Beste Wächter wird. Selbst wenn das bedeutet, die Position einer Frau zu geben.«
Daraufhin entgegnete Aegwynn zornig: »Bei allem Respekt, gute Meister. Ich werde ein genauso guter Magier sein wie diese heranwachsenden Männer da. Ich glaube sogar, dass ich besser sein werde. Weil ich viel mehr Hindernisse zu überwinden hatte, um hierher zu kommen.«
Der Elf lachte. »Sie trägt ein gutes Argument vor.«
»Wartet mal«, sagte Natale, »ihr meint, dass sie dieses Wächter-Dings wird und wir anderen gar nichts kriegen?«
»Nicht doch«, sagte der Elf. »Ihr werdet alle wichtige Rollen bekleiden. Alle Zauberer in unserem Orden kämpfen in dieser Schlacht. Es ist nur so, dass die Rolle des Wächters noch wichtiger ist.«
Aegwynn sah ihren Mentor an und fragte: »Scavell, was wird mit Euch? Warum müsst Ihr das Amt des Wächters aufgeben?«
Scavell lächelte. »Ich bin alt, mein Mädchen, und sehr müde. Horden von Dämonen zu bekämpfen ist etwas für Junge. Ich wünsche die mir verbleibenden Jahre damit zu verbringen, die nächste Generation vorzubereiten.« Er betrachtete seine Schützlinge. »Seid beruhigt, ich werde euer Mentor bleiben.«
»Na großartig«, murmelte Falric. Alle vier Knaben schmollten.
»Die Tatsache« sagte der Gnom gereizt, »dass ihr euch so unreif benehmt, ist exakt der Grund, warum wir Aegwynn vorziehen.«
»Außerdem«, ergänzte der ältere Mensch, »ist der Wächter das Werkzeug des Rats. Ich vermute, dass ein Mädchen weniger willensstark ist und die Befehlskette besser achtet.«
»Das ist keine militärische Operation«, sagte einer der anderen Menschen.
Aegwynn konnte nicht anders als anzumerken: »Ihr habt es selbst als einen Krieg beschrieben.«
»Ganz richtig«, sagte der Elf mit einem verhaltenen Lachen. Dann schaute er Aegwynn aus Augen an, die sich direkt in ihre Seele zu brennen schienen. »Du hast noch Vorbereitungen zu treffen, Mädchen, bevor du dich der Übertragung der Kraft unterziehen musst. Die Magie aller Tirisfalen wird dir gewährt. Begreife Folgendes, Aegwynn: Du übernimmst die größte Verantwortung, die ein Magier nur tragen kann.«
»Ich verstehe«, sagte Aegwynn, obwohl sie sich nicht sicher war, ob das stimmte. Aber sie wollte mehr als alles andere ein Magier sein, und sie wusste, die oberste Pflicht eines Zauberers war, die Welt zu schützen. Im Idealfall wurde Magie von Zauberern nur dafür eingesetzt, um Ordnung in die chaotische Welt zu bringen, und Aegwynn ahnte schon jetzt, dass eine Menge Arbeit auf sie zukam.
Sie hatte nur nicht geahnt, wie viel Arbeit es wirklich werden würde. Oder was Scavells wahre Gründe waren, als er ihr Meitres Schriftrollen gezeigt hatte...
Falric trat vor. »Verdammt, ich bin so gut wie jedes Mädchen. Besser noch. Ich kann auch einen von Meitres Sprüchen wirken. Seht!« Falric schloss seine Augen, öffnete sie dann wieder und starrte auf einen Felsen, der aus dem Boden ragte, genau neben der Stelle, wo der Elf stand. Er murmelte eine Beschwörung, dann wiederholte er sie. Meitres Sprüche bedurften immer der doppelten Beschwörung, was, wie Scavell gesagt hatte, eine Sicherheitsvorkehrung war.
Licht blitzte, und der Fels glühte schwach in einem leichten Gelb. Falric grinste Aegwynn höhnisch an und lächelte dann in Richtung der Magier.
»Stein zu Gold«, sagte der Gnom. »Wie wenig originell.«
»Eigentlich,« sagte der Elf mit einem Lächeln, »ist es Falschgold.«
Falrics Grinsen verschwand. »Wie kann das sein?« Er wirkte einen schnellen Identifizierungsspruch, und dann wurde sein Gesicht noch länger. »Verdammt!«
»Du hast eine große Gabe zu lernen«, sagte der Elf, »aber du hast noch viel mehr Potenzial. Ihr alle, Falric, Manfred, Jonas, Natale, ihr werdet als Scavells Schüler euer Potenzial zur Entfaltung bringen.« Wieder sah er sie mit dem seelendurchdringenden Blick an. »Aegwynn, deine Bestimmung wird ein wenig eher kommen. Wir werden uns auf dieser Lichtung in einem Monat wieder treffen, um die Kraft zu übertragen. Es gibt noch viel, worauf du dich vorbereiten musst.«
Damit verschwanden sämtliche Mitglieder des Bundes in einem Lichtblitz.
Einen Monat später übergab Scavell die Macht des Wächters an Aegwynn. Vorher hatte er ihr alles über die Dämonen und ihre schrecklichen Diener beigebracht, die stetig versuchten, in die Welt einzudringen. Einzig Wächter wie Scavell hatten das erfolgreich verhindert. Es war mit nichts vergleichbar, was sie je zuvor erlebt hatte. An Zauber, die einst ihre volle Konzentration erfordert hatten, verschwendete sie inzwischen kaum mehr als einen flüchtigen Gedanken. Auch ihre Auffassungsgabe verbesserte sich sprunghaft, weil sie nun den Kern der Dinge sehen konnte. War es einst mit großem Aufwand verbunden gewesen oder benötigte gar einen komplexen Spruch, die Natur einer Pflanze oder den emotionalen Zustand eines Tieres zu erfassen, schaffte sie das nun mit einem einzigen Blick.
Ein Jahr später starb Scavell friedlich im Schlaf. Als er erkannte, dass er sterben würde, arrangierte er es, dass neue Lehrer für Jonas, Natale und Manfred gefunden wurden. Falric konnte zu der Zeit schon auf eigenen Beinen stehen. Scavell vermachte Aegwynn all seine Besitztümer.
Weniger als einen Monat nach Scavells Tod kam Aegwynn gerade aus dem kleinen Dorf Jortas zurück, als der Rat sie auf magischem Weg rief.
Kaum war sie in Tirisfal Glade eingetroffen, sagte der Gnom, dessen Name, wie sie erfahren hatte, Erbag lautete: »Was hast du eigentlich in Jortas getrieben?«