Burx ging hinaus und führte einen Kundschafter herein, einen Dschungel-Troll. Er trug eine Schmuckrüstung, die traditionell bei Angehörigen des Darkspear-Stammes anzutreffen war: Federn, Holz, und Farbe kombiniert mit einem dreieckigen Helm, um einen möglichst Furcht erregenden Eindruck zu erzeugen.
Nachdem er seinen Helm abgenommen hatte, offenbarte sich ein freundliches, offenes Gesicht, das weit angenehmer war, als man es von den Darkspears gemeinhin erwartete. Dschungel-Trolle setzten uralte Magie ein, die keine andere Rasse jemals gemeistert hatte. Das wusste Thrall von einigen Menschen, die es probiert hatten und daran gescheitert waren – und mit ihrem Seelenheil dafür bezahlen mussten. Die Darkspears hatten Thrall die Treue geschworen.
»Das hier«, sagte Burx, »ist Rokhan.«
Die Vorstellung war unnötig. Der Ruf des Trolls eilte ihm voraus. Er war einer der besten Kundschafter auf Kalimdor.
Mit seinem Helm unter dem Arm trat Rokhan vor. »Es tut mir Leid, dass ich schlechte Neuigkeiten zu überbringen habe. Die Menschen entsenden mehr und mehr Truppen nach Northwatch.«
Thrall konnte nicht glauben, was er hörte. »Sie verstärken die Feste?«
»Danach sieht es aus. Ich habe viele Boote voll mit Soldaten gesehen. Und sie sandten eines ihrer Luftschiffe nach Norden, nach Bladescar.«
Thrall runzelte die Stirn. »Wie viele Truppen?«
Rokhan zuckte mit den Schultern. »Es waren mindestens zwanzig Boote, und auf jedem fuhren zwanzig Soldaten.«
»Vierhundert Mann also«, sagte Burx. »Und das passierte, kurz nachdem deine Freundin Jaina loszog, um das Donnerechsenproblem zu lösen. Das die Menschen verursacht haben. – Wir können nicht darauf warten, bis sie es erledigt hat, Kriegshäuptling. Ich bin mir sicher, dass Jaina lautere Absichten hat. Aber ihre Leute offenbar weniger. Und das können wir nicht ignorieren.«
»Burx hat Recht.« Kalthar sprach mit müder Stimme. Thrall rief sich in Erinnerung, wie alt der Schamane war. »Die Instandsetzung der Feste von Northwatch war eine vorsätzliche Machtdemonstration der Menschen. Diese Verstärkungen im Licht anderer aktueller Ereignisse betrachtet kann nur als Akt der Aggression gewertet werden, und zwar als einer, auf den wir unbedingt reagieren müssen.«
»Die Feste von Northwatch war Admiral Proudmoores Festung.« Burx musste Thrall kaum daran erinnern, dass ihn das nicht aufhalten würde. »Und nun versuchen die Untergebenen von Admiral Proudmoores Tochter, sein kriegstreiberisches Werk zu vollenden – hinter ihrem Rücken.«
Burx' Worte beeindruckten Thrall nicht sonderlich, Kalthars Argumente hingegen sehr wohl. Außerdem war Rokhan sein bester Kundschafter. Seinen Beobachtungen konnte man vertrauen.
»Nun gut, Burx, lass Nazgrel eine Armee zusammenstellen und sie ins Ödland entsenden. Lasst die Krieger außerhalb von Northwatch Position beziehen. Außerdem will ich, dass du eine Flotte von Booten nimmst und ebenfalls flussabwärts fährst. Ruf die Trolle, damit sie das Gleiche tun.«
Er seufzte. Er hatte gehofft, dass die Tage, da er Menschen bekämpfen musste, endgültig der Vergangenheit angehörten. Aber es schien, als sei der alte, tiefverwurzelte Hass einfach nicht auszurotten. »Wenn die Menschen den Kampf unbedingt herausfordern wollen, werden sie uns dazu bereit finden.«
Nachdem Burx Nazgrel und dem Hafenmeister letzte Anweisungen erteilt hatte, ging er nach Hause. Er musste noch Vorbereitungen treffen, bevor er sich über die Große See begab, um der Menschenplage ein für allemal ein Ende zu bereiten.
Als er seine Axt schärfte, durchzog plötzlich Schwefelgestank seine Hütte. Er spürte einen warmen Hauch in den Falten seiner Hose, in der kleinen Innentasche, wo er den Talisman verborgen hielt, den ihm Zmoldor als Symbol seiner Treue gegeben hatte.
Galtak Ered'nash. Verläuft alles nach Plan?
Burx hasste die Vorstellung, irgendjemand anderem als seinem eigenen Kriegshäuptling die Treue zu schwören. Aber er spielte mit und antwortete: »Galtak Ered'nash. Ja, das tut es. Thrall schickt Truppen zu Land und zur See. Innerhalb von zwei Tagen liegen unsere Männer mit den Menschen im Krieg. Innerhalb einer Woche sind die Menschen Geschichte.«
Exzellent. Das hast du sehr gut gemacht, Burx.
So weit es Burx betraf, war Zmoldor das kleinere Übel. Die Dämonen waren Bastarde, aber sie hatten auch immer die Interessen der Orcs berücksichtigt. Sie hatten die Orcs auf diese Welt gebracht, damit sie darüber herrschen konnten. Es war nicht der Fehler der Dämonen, dass die Menschen so widerspenstig und stark waren, dass es ihnen sogar gelang, sie einzusperren und sie vergessen zu lassen, wer sie einmal waren. Sicher, die Dämonen benutzten die Orcs, aber immerhin demütigten sie sie nicht.
Burx war als Sklave aufgewachsen. Menschen verprügelten ihn regelmäßig, verspotteten ihn, bewarfen ihn mit Dreck und zwangen ihn dann, alles wieder aufzuräumen – während sie ihn auslachten. Sie belegten ihn mit allen erdenklichen Spitznamen, von denen ,du grünhäutiger Schwachkopf' noch einer der nettesten war, und sie achteten stets darauf, ihm auch ja nur die entwürdigendsten Aufgaben zu geben. Burx wusste nie, warum er aus all den Orcs herausgepickt worden war, um all das über sich ergehen lassen zu müssen. Niemand hatte es je für nötig gehalten, es ihm zu sagen.
Vielleicht war es ja nur ein unglücklicher Zufall gewesen...
Verglichen mit dem, was er als Menschensklave durchmachen musste, war das, was die Dämonen ihm angetan hatten, gar nichts. Und wenn er mit einem von ihnen zusammenarbeiten musste, um sicherzustellen, dass die Plage Mensch ausgelöscht wurde, dann war das für Burx akzeptabel.
Er verdankte Thrall alles – und noch mehr als das –, aber Thrall hatte lange über den Punkt hinweggesehen, der ihn, was die Menschen betraf, blind machte. Thrall war ja auch von seinem Herrn respektiert worden, auch wenn Aedelas Blackmoore üble Pläne mit ihm gehabt hatte. Aber er hatte ihn weit besser behandelt, als es Burx' Herrn je in den Sinn gekommen wäre.
Wahrscheinlich sogar besser als die meisten Orcs.
Langsam, aber sicher sah Thrall seine Fehler ein. Die Truppenverstärkung in Northwatch hatte offenbar dazu beigetragen, ihm endlich die Augen zu öffnen. Von nun an war es nur noch eine Frage der Zeit. Orc- und Trollkrieger so nah bei den Menschen – das war ein Pulverfass.
Burx hörte auf, seine Axt zu schärfen und freute sich bereits auf den Moment, da ihre Klinge sich rot färben würde von Menschenblut.
18
Lorenas Brust schmerzte. Sie hatte Mühe zu atmen, denn ihr Rüstungspanzer schien sie zerquetschen zu wollen.
Aber Lady Proudmoore und ihre Freundin Aegwynn vermochten die dämonischen Barrieren zu durchbrechen, die sie gefangen gehalten hatten. Wer auch immer diese Frau war, die Lady begegnete ihr mit mehr Respekt und Ehrfurcht, als Lorena es jemals zuvor beobachtet hatte. Offenbar hatten sie Lorenas Körper dazu benutzt, um die Barrieren von der anderen Seite her aufzuheben. Der Oberst verstand von all dem nicht das Geringste. Gerede über Magie verursachte ihr für gewöhnlich Kopfschmerzen; alles, was sie daran interessierte, war, ob sie funktionierte.
Lady Proudmoore wandte sich an die ältere Frau. »Magna, ich habe eine Bitte.«
»Ja?«
»Hättet Ihr etwas dagegen, den Platz mit ein paar Donnerechsen zu teilen? Ich kann Barrieren herbeizaubern, die Euer Haus, Euren Garten und Euren Brunnen schützen. Und das Hochland wird sie zusammenhalten.« Sie erklärte schnell das Problem mit den Donnerechsen.
Als sie es hörte, lachte die alte Frau. »Ich habe keine Einwände. Ich hielt mir einst eine Donnerechse als Haustier.«
Lorenas Mund öffnete sich vor Überraschung. »Bitte sagt mir, dass Ihr scherzt.«
»Nicht im geringsten. Es war kurz nach meinem vierhundertsten Geburtstag. Nach so langer Zeit wurde die Einsamkeit überwältigend, deshalb entschloss ich mich, ein Haustier zu halten. Ich betrachtete einen domestizierten Kodo als Herausforderung. Ich nannte ihn Scavell – nach meinem Mentor.«