Sie hatten erst nach Einbruch der Dunkelheit ihr Lager aufgeschlagen und aus Zweigen ein kleines Feuer entfacht. Sie hatten Wasser, aber nichts zu essen. Glen stopfte seinen letzten Tabak in die Pfeife und überlegte sich plötzlich, ob Stu noch Zigaretten hatte. Der Gedanke verdarb ihm den Geschmack an seinem Tabak, und er klopfte seine Pfeife an einem Felsen aus. Zerstreut trat er seinen letzten Krümel Borkum Riff mit dem Fuß weg. Als ein paar Minuten später irgendwo in der Dunkelheit eine Eule schrie, blickte er sich um.
»Sagt mal, wo ist denn Kojak?« fragte er.
»Das ist aber seltsam«, sagte Ralph. »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, ihn in den letzten Stunden gesehen zu haben.«
Glen stand auf. »Kojak!« schrie er. »He, Kojak! Kojak!« Einsam hallte das Echo seiner Stimme aus der Wüste zurück. Kein Bellen kam als Antwort. Von Trübsinn überwältigt, setzte er sich wieder hin. Er seufzte leise. Fast über den ganzen Kontinent war Kojak ihm gefolgt. Jetzt war er weg. Es war wie ein böses Omen.
»Glaubst du, daß irgendwas ihn erwischt hat?« fragte Ralph leise. Larry sagte mit ruhiger, nachdenklicher Stimme: »Vielleicht ist er bei Stu geblieben.«
Glen blickte erschrocken auf. »Vielleicht«, meinte er dann und dachte darüber nach. »Das könnte sein.«
Larry warf einen Stein von einer Hand in die andere, hin und her, her und hin. »Stu hat gesagt, daß Gott ihm vielleicht einen Raben schickt, der ihn füttert. Ich bezweifle, daß es hier draußen einen Raben gibt. Also hat er Stu vielleicht statt dessen einen Hund geschickt.«
Im Feuer knackte ein brennender Ast, und Funken sprühten hoch in die Dunkelheit, um kurz in einem hellen Wirbel aufzuglühen und sofort wieder zu erlöschen.
Als Stu die dunkle Gestalt durch die Rinne auf sich zuschleichen sah, schob er sich gegen den Felsen, das Bein steif vor sich ausgestreckt, und nahm mit einer vor Kälte fast tauben Hand einen Felsbrocken auf. Er war kalt bis auf die Knochen. Larry hatte recht gehabt. Zwei oder drei Tage bei diesen Temperaturen hier herumzuliegen würde seinen sicheren Tod bedeuten. Aber jetzt sah es ganz so aus, als ob etwas auf ihn zuschlich, das ihn schon vorher erledigen würde. Kojak war bis Sonnenuntergang bei ihm geblieben und dann weggelaufen. Stu hatte ihn nicht zurückgerufen. Der Hund würde Glen und die anderen schon finden. Vielleicht hatte er eine eigene Rolle in diesem Drama zu spielen. Aber er wünschte sich jetzt, daß Kojak noch ein wenig länger geblieben wäre. Die Pillen waren eine Sache, aber er hatte keine Lust, von einem der Wölfe des dunklen Mannes in Stücke gerissen zu werden.
Er packte den Felsbrocken fester, und die dunkle Gestalt blieb etwa zwanzig Meter entfernt stehen. Dann kam sie wieder näher, ein Schatten, schwärzer als die Nacht.
»Also los, komm schon«, rief Stu heiser.
Der schwarze Schatten wedelte mit dem Schwanz und kam näher.
»Kojak?«
Er war es. Und er hatte etwas im Maul, das er vor Stus Füße fallen ließ. Dann setzte er sich, klopfte mit dem Schwanz auf den Boden und wartete darauf, daß Stu ihn lobte.
»Braver Hund«, sagte Stu verblüfft. »Braver Hund.«
Kojak hatte ihm ein Kaninchen gebracht.
Stu zog sein Taschenmesser, klappte es auf und weidete das Kaninchen mit drei schnellen Schnitten aus. Er nahm die dampfenden Eingeweide und warf sie Kojak zu. »Willst du?« Kojak wollte. Stu zog dem Kaninchen das Fell ab. Der Gedanke, es roh essen zu müssen, tat seinem Magen nicht sehr wohl.
»Holz?« wandte sich Stu ohne viel Hoffnung an Kojak. Überall an der Uferböschung des Wasserlaufes lagen Zweige und Äste, aber in Reichweite gab es keine.
Kojak wedelte mit dem Schwanz und blieb sitzen.
»Holen? H...«
Aber Kojak war weg. Er rannte in östliche Richtung, und als er zurückkam, hatte er ein großes Stück Holz im Maul. Er ließ es neben Stu fallen, bellte und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.
»Braver Hund«, sagte Stu wieder. »Ich werd' verrückt! Holen, Kojak!«
Mit fröhlichem Gebell verschwand Kojak wieder. Nach zwanzig Minuten hatte er genug Holz für ein großes Feuer gebracht. Stu schnitt Späne von den Ästen, um das Feuer anzünden zu können. Dann schaute er nach, wie viele Streichhölzer er noch hatte. Es waren anderthalb Heftchen. Beim zweiten Streichholz brannte sein Anmachholz, und er achtete sorgfältig darauf, daß es nicht wieder erlosch. Bald brannte ein ordentliches Feuer, und in seinem Schlafsack sitzend, rückte Stu so nahe wie möglich heran. Kojak setzte sich an die andere Seite des Lagerfeuers und legte die Schnauze auf die Pfoten.
Als das Feuer ein wenig heruntergebrannt war, spießte Stu das Kaninchen auf und briet es. Der Geruch war bald so stark und so aromatisch, daß ihm der Magen knurrte. Auch Kojak wurde aufmerksam und beäugte das Kaninchen mit regem Interesse.
»Hälfte für dich und Hälfte für mich, alter Junge, okay?«
Fünfzehn Minuten später nahm er das Kaninchen vom Feuer und schaffte es, den Braten in zwei Teile zu reißen, ohne sich allzusehr die Finger zu verbrennen. Das Fleisch war stellenweise verbrannt, an anderen Stellen noch halb roh, aber es stellte den Büchsenschinken vom Great-Western-Market weit in den Schatten. Er und Kojak verschlangen es... und als sie fertig waren, hörten sie ein markerschütterndes Geheul.
»Mein Gott!« rief Stu, noch immer ein Stück Kaninchenfleisch im Mund. Kojak war aufgesprungen, und seine Nackenhaare sträubten sich. Er knurrte. Steifbeinig schlich er um das Feuer herum, immer noch knurrend. Aber was immer geheult hatte, war verstummt. Stu legte sich hin, einen faustgroßen Felsbrocken in der einen Hand, das Taschenmesser in der anderen. Die Sterne leuchteten kalt und fern und gleichgültig. Er dachte an Fran, aber nicht lange. Der Gedanke war zu schmerzlich, mit vollem Bauch oder nicht. Aber ich werde nicht schlafen, dachte er. jedenfalls nicht lange. Aber dann schlief er doch ein, mit Hilfe einer von Glens Pillen. Und als das Feuer schon fast erloschen war, schlich Kojak herüber und legte sich neben ihn und gab Stu etwas von seiner Wärme. Und so kam es, daß Stu in der ersten Nacht, die er ohne seine Gefährten verbringen mußte, aß, während sie hungerten, und gut schlief, während ihr Schlaf von Alpträumen und dem Gefühl sich rasch nahenden Unheils gestört wurde.
Am vierundzwanzigsten, nach einer Tagesetappe von dreißig Meilen, rastete Larry Underwoods dreiköpfige Pilgergruppe nordöstlich des San Rafael Knob. In dieser Nacht sank die Temperatur unter Null, und sie zündeten ein großes Feuer an. So nahe wie möglich schliefen sie neben der Glut. Kojak war nicht wiedergekommen.
»Wie mag es Stu wohl heute nacht ergehen?« fragte Ralph Larry.
»Er stirbt«, sagte Larry knapp, und seine Worte taten ihm sofort leid, als er die Trauer in Ralphs ehrlichem Gesicht sah. Aber er wußte nicht, wie er diese Worte zurücknehmen konnte, denn was er gesagt hatte, war mit großer Wahrscheinlichkeit wahr.
Er legte sich wieder hin und hatte das seltsame Gefühl, daß es schon morgen war. Was immer sie erwartete, sie hatten es fast schon erreicht.
In der Nacht hatte er Alpträume. In jenem Traum, den er am nächsten Morgen am deutlichsten in Erinnerung hatte, war er mit einer Gruppe namens The Shady Blues Connection auf Tournee. Sie spielten im Madison Square Garden, und das Konzert war ausverkauft. Donnernder Applaus, als sie die Bühne betraten. Larry ging nach vorn, um sein Mikrophon zu justieren, es auf die richtige Höhe zu bringen, doch es ließ sich keinen Millimeter bewegen. Er ging zum Mikro des Leadgitarristen hinüber, aber auch das war wie angeschweißt. Dasselbe mit den Mikros des Baßgitarristen und des Mannes an den Keyboards. Buhrufe und rhythmisches Klatschen erhoben sich in der Menge. Einer nach dem anderen schlichen sich die Musiker der Shady Blues Connection von der Bühne; auf ihren Gesichtern lag ein verstohlenes Grinsen; sie trugen ähnlich poppig-psychedelische Hemden, wie die Byrds sie einst getragen hatten, damals, 1966, als Roger McGuin noch bei jedem Auftritt acht Meilen high gewesen war. Oder achthundert. Und Larry ging noch immer von Mikro zu Mikro in der Hoffnung, eins zu finden, das sich einstellen ließ. Aber die Dinger waren allesamt mindestens drei Meter hoch und wie festgefroren. Sie sahen aus wie Kobras aus rostfreiem Stahl. Irgend jemand in der Menge verlangte lautstark »Baby, Can You Dig Your Man?«. Diesen Song spiel' ich nicht mehr, versuchte Larry zu sagen. Ich hab' ihn seit dem Weltuntergang nicht mehr gespielt. Sie konnten ihn nicht hören, und nun begann die Menge zu singen, zuerst die hinteren Reihen; dann wogte der Gesang nach vorn, wurde lauter und lauter und schriller, bis der ganze Garden erfüllt war von Gebrülclass="underline" »Baby Can You Dig Your Man! Baby Can You Dig Your Man! BABY CAN YOU DIG YOUR MAN!«