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»Wir hatten ein hübsches kleines Haus. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß es einmal so enden würde, wirklich nicht«, sagte Lucy mit einem Seufzer, der halb Schluchzen war. »Wir hatten uns so schön eingerichtet. Wes wurde mehr Marcy als mir zuliebe seßhaft. Für ihn ging mit der Kleinen die Sonne auf und unter. Sie war für ihn...«

»Pssst«, sagte Nadine. »Das war alles vorher.«

Wieder dieses Wort, dachte Larry. Das kleine zweisilbige Wort.

»Ja. Es ist vorbei. Und ich glaube, ich hätte damit fertig werden können. Ich wurde auch damit fertig, bis ich die schlimmen Alpträume bekam.«

Larry riß den Kopf hoch. »Träume?«

Nadine blickte Joe an. Vor einem Augenblick hatte der Junge vor dem Feuer gedöst. Jetzt schaute er Lucy mit glänzenden Augen an.

»Schlimme Träume, Alpträume«, sagte Lucy. »Nicht immer dieselben. Meistens verfolgte mich ein Mann, und ich kann nicht genau sehen, wie er aussieht, weil er fast immer in einen... wie sagt man... einen Umhang gehüllt ist. Und er hält sich in Schatten und Gassen.« Sie erschauerte. »Es ist schon so weit gekommen, daß ich Angst vor dem Schlafen habe. Aber vielleicht kann ich jetzt...«

»Schwarrr-tser Mann!« schrie Joe plötzlich so unvermittelt und heftig, daß sie alle zusammenzuckten. Er sprang auf, die Beine wie ein winziger Bela Lugosi; die Finger hatte er zu Krallen geformt.

»Schwarrr-tser Mann! Schlimme Träume! Verfolgt! Verfolgt mich!

Macht mir 'ngst!« Er schmiegte sich an Nadine und starrte mißtrauisch in die Dunkelheit.

Schweigen senkte sich über sie.

»Das ist verrückt«, sagte Larry schließlich und verstummte gleich wieder. Sie sahen ihn alle an. Plötzlich wirkte die Dunkelheit sehr, sehr dunkel, und Lucy sah wieder ängstlich aus.

Larry zwang sich, weiterzusprechen. »Lucy, haben Sie je von einem... von einem Ort in Nebraska geträumt?«

»Ich hatte einmal einen Traum über eine alte Negerin«, sagte Lucy, »aber es war ein ganz kurzer Traum. Die alte Frau sagte so etwas wie: >Komm mich besuchen.< Dann war ich wieder in Enfield, und dieser... dieser schreckliche Mann hat mich verfolgt. Und dann bin ich aufgewacht.«

Larry blickte sie so lange an, daß sie errötete und wegsah. Er betrachtete Joe. »Joe, hast du je von... äh, Mais geträumt? Von einer alten Frau? Einer Gitarre?« Joe sah ihn nur aus Nadines schützenden Armen an.

»Lassen Sie ihn in Ruhe, Sie regen ihn nur auf«, sagte Nadine, aber sie schien diejenige zu sein, die aufgeregt war.

Larry überlegte. »Ein Haus, Joe? Ein kleines Haus mit einer Veranda auf Wagenhebern?«

Er glaubte, ein Funkeln in Joes Augen zu erkennen.

»Hören Sie auf, Larry!« sagte Nadine.

»Eine Schaukel, Joe? Eine Schaukel aus einem Reifen?« Plötzlich zuckte Joe in Nadines Armen zusammen. Er nahm den Daumen aus dem Mund. Nadine versuchte, ihn zu halten, aber Joe riß sich los.

»Die Schaukel!« sagte Joe aufgeregt. »Die Schaukel! Die Schaukel!« Er wirbelte herum und deutete zuerst auf Nadine, dann auf Larry. »Sie! Du! Viele!«

»Viele?« fragte Larry, aber Joe war schon wieder in sich versunken. Lucy Swann sah fassungslos drein. »Die Schaukel«, sagte sie.

»Daran kann ich mich auch erinnern.« Sie blickte Larry an. »Warum haben wir alle dieselben Träume? Richtet jemand einen Strahl auf uns oder so was?«

»Ich weiß nicht.« Er sah Nadine an. »Haben Sie auch diese Träume gehabt?«

»Ich träume nicht«, sagte sie schneidend und senkte sofort darauf den Kopf. Er dachte:  Du lügst. Aber warum?

»Nadine, wenn Sie...« begann er.

»Ich habe Ihnen gesagt,  ich träume nicht!« schrie Nadine schrill, beinahe hysterisch. »Können Sie mich denn nicht in Ruhe lassen? Müssen Sie mich bedrängen?«

Sie stand auf und entfernte sich fast im Laufschritt vom Feuer. Lucy sah ihr einen Augenblick unsicher nach, dann stand sie auf.

»Ich gehe ihr nach.«

»Ja, tun Sie das. Joe, du bleibst bei mir, okay?«

»Kay«, sagte Joe und klappte den Gitarrenkasten auf.

Lucy kam zehn Minuten später mit Nadine zurück. Larry sah, daß sie beide geweint hatten, jetzt aber wieder beruhigt zu sein schienen.

»Tut mir leid«, sagte Nadine zu Larry. »Ich bin nur ständig nervös. Manchmal macht sich das auf seltsame Weise Luft.«

»Macht nichts.«

Das Thema wurde nicht mehr angeschnitten. Sie saßen da und hörten zu, wie Joe sein Repertoire spielte. Er wurde wirklich immer besser, und allmählich konnte man zwischen Heulen und Grunzen Bruchstücke der Texte hören.

Schließlich schliefen sie, Larry an einem Ende, Nadine am anderen, Joe und Lucy dazwischen.

Larry träumte zuerst vom dunklen Mann an seinem hohen Ort, dann von der alten schwarzen Frau, die auf ihrer Veranda saß. Aber in diesem Traum wußte er, daß der schwarze Mann kam; er schritt durch den Mais, drängte seine verhüllte Gestalt durch die Stauden, sein schreckliches, heißes Grinsen war ihm wie ins Gesicht geschweißt, und er kam auf sie zu, immer näher, näher. Larry wachte mitten in der Nacht auf, außer Atem und mit vor Angst zugeschnürter Brust. Die anderen schliefen wie Steine. Irgendwie hatte er es in diesem Traum gewußt. Der schwarze Mann war nicht mit leeren Händen gekommen. In den Armen hielt er, während er durch den Mais schritt, wie eine Opfergabe den verwesten Leichnam von Rita Blakemoor, der jetzt steif und aufgedunsen war, das Fleisch von Murmeltieren und Wieseln zerfetzt. Eine stumme Anklage, die ihm vor die Füße geworfen werden würde, damit sie den anderen seine Schuld hinausschrie und damit stumm verkündete, daß er kein netter Kerl war, daß ihm etwas fehlte, daß er ein Verlierer war, ein Nehmer.

Schließlich schlief er wieder ein, und bis er am nächsten Morgen um sieben frierend, hungrig und mit voller Blase aufwachte, war sein Schlaf traumlos.

»Mein Gott«, sagte Nadine mit ausdrucksloser Stimme. Larry betrachtete sie und sah eine Enttäuschung, die zu überwältigend für Tränen war. Ihr Gesicht war blaß, die so bemerkenswerten Augen blickten umwölkt und stumpf.

Es war Viertel nach sieben am 19. Juli, die Schatten wurden lang. Sie waren den ganzen Tag gefahren, hatten jeweils nur fünf Minuten Rast gemacht und nur eine halbe Stunde Mittagspause in Randolph. Keiner hatte sich beschwert, obwohl Larrys Körper nach sechs Stunden auf dem Motorrad verkrampft war und schmerzte und ihn überall Nadeln stachen.

Jetzt standen sie zusammen in einer Reihe vor einem schmiedeeisernen Zaun des Seuchenzentrums. Unter und hinter ihnen lag die Stadt Stovington, die sich kaum verändert hatte, seit Stu Redman sie in den letzten Tagen seines Aufenthalts in diesem Komplex gesehen hatte. Hinter dem Zaun und dem Rasen, der einmal so gepflegt gewesen, jetzt aber verwuchert und mit Blättern und Zweigen übersät war, die die nachmittäglichen Stürme darauf geweht hatten, befand sich die Anlage selbst, drei Stockwerke hoch. Aber der größte Teil, vermutete Larry, unterirdisch. Die Anlage war verlassen, still, einsam.

Mitten auf dem Rasen stand ein Schild mit der Aufschrift:

SEUCHENZENTRUM STOVINGTON

REGIERUNGSGELÄNDE! BESUCHER

BEIM PFÖRTNER ANMELDEN

Daneben stand ein zweites Schild, und darauf schauten sie alle.

ROUTE 7 nach RUTLAND

HIER SIND ALLE TOT

ROUTE 4 nach SCHUYLERVILLE

WIR ZIEHEN WEITER NACH NEBRASKA

ROUTE 2 zur I-87

BLEIBEN SIE AUF UNSERER ROUTE

I-87 SÜDLICH ZUR I-90

HALTEN SIE NACH SCHILDERN AUSSCHAU