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Sie erhob sich vom Klositz, streute Zitruspulver in das Loch und ging langsam wieder hinaus in den Sonnenschein. Sie duftete ihren Abort immer ein, aber es war trotzdem eine stinkige alte Bruchbude, wie sauber sie auch duften mochte.

Es war, als hätte ihr die Stimme Gottes ins Ohr geflüstert, als Chris und Susy ihr Haus an die städtische Wasserversorgung anschließen lassen wollten ... die Stimme Gottes, schon damals, als Molly und Jim ihr den Porzellanthron mit dem Knopf der Wasserspülung bringen wollten. Gott sprachzu den Menschen; hatte er nicht zu Noah gesprochen, ihm von der Arche erzählt und ihm genau gesagt, wie lang, breit und tief sie sein mußte? Jawohl. Und sie glaubte, dass er auch zu ihr gesprochen hatte, nicht aus einem brennenden Busch oder einer Feuersäule, sondern mit einer stillen, leisen Stimme, die sagte: Abby, du wirst deine Handpumpe brauchen. Genieß deinen elektrischen Strom, Abby, aber sorge dafür, daß deine Öllampen voll und die Dochte in Ordnung sind. Laß deinen Eisschrank so, wie ihn deine Mutter vor dir gehabt hat. Und laß dir von den jungen Leuten nichts aufschwatzen, Abby, das gegen meinen Willen ist. Sie sind dein Fleisch und Blut, aber ich bin dein Vater.

Sie blieb mitten auf ihrem Hof stehen und sah auf das Maisfeld hinaus, das nur vom Sandweg geteilt wurde, der nach Duncan und Columbus führte. Drei Meilen vom Haus entfernt war der Weg asphaltiert. Der Mais stand gut in diesem Jahr, eine Schande, dass außer den Saatkrähen niemand da war, um ihn zu ernten. Es war ein trauriger Gedanke, daß die großen Erntemaschinen in diesem September in den Scheunen stehenbleiben mußten; traurig, daß es kein Maisschälen und keine Tänze auf der Tenne geben würde. Traurig, daß sie zum ersten Mal in den letzten hundertacht Jahren nicht hier in Hemingford Home sein würde, um den Wechsel der Jahreszeiten zu sehen, wenn der Sommer dem fröhlichen, heidnischen Herbst Platz machte. Sie würde diesen Somme r um so mehr lieben, weil es ihr letzter war - das spürte sie ganz deutlich. Und sie würde nicht hier zur letzten Ruhe gebettet werden, sondern weiter im Westen, in einem fremden Land. Das war bitter.

Sie schlurfte zur Reifenschaukel hinüber und schubste sie an. Es war ein alter Traktorreifen, den ihr Bruder Lucas 1922 hier aufgehängt hatte. Das Seil war seitdem viele Male ausgewechselt worden, aber der Reifen niemals. Das Leinen kam an vielen Stellen durch, und am inneren Ring war eine tiefe Einbuchtung, wo Generationen junger Hintern gesessen hatten. Unter dem Reifen war eine lange, staubige Narbe im Boden, wo das Gras jeden Versuch zu wachsen längst aufgegeben hatte, und am Ast, an dem die Seile festgemacht waren, war die Rinde abgeschabt und der weiße Knochen des Holzes zu sehen. Das Seil knarrte leise, und diesmal sagte sie laut:

»Bitte, o Herr, o Herr, nur wenn ich muß, bitte, laß diesen Kelch an mir vorübergehen, wenn Du kannst. Ich bin alt, ich habe Angst, und am liebsten möchte ich hier zu Hause begraben werden. Ich bin bereit, jetzt gleich zu gehen, wenn Du es willst. Dein Wille geschehe, Herr, aber Abby ist eine müde alte schwarze Frau. Dein Wille geschehe.«

Kein Laut, nur das leise Knarren des Seils und das Krächzen der Krähen im Maisfeld. Sie lehnte die alte, gefurchte Stirn gegen die alte, gefurchte Borke des Apfelbaums, den ihr Vater vor so langer Zeit gepflanzt hatte, und weinte bitterlich.

In dieser Nacht träumte sie, daß sie wieder die Stufen zur Halle der Farmervereinigung hinaufging, eine junge, hübsche Abagail, im dritten Monat schwanger, ein dunkles äthiopisches Juwel im weißen Kleid; sie hielt die Gitarre an der Brust, stieg hinauf, hinauf in diese Dunkelheit, ihre Gedanken ein einziges Durcheinander, aber eines wußte sie ganz genau: Ich bin Abagail Freemantle Trotts, ich spiele gut und singe gut, das muß ich mir nicht erst sagen lassen.

Im Traum drehte sie sich langsam zu den weißen Gesichtern um, die wie Monde zu ihr emporgerichtet waren, und sah in den Saal, in dem so hell die Lampen leuchteten, sah den weichen Glanz, der von den dunklen, leicht angelaufenen Scheiben reflektiert wurde und die roten Samtvorhänge mit den Goldkordeln.

Sie klammerte sich fest an diesen einen Gedanken und spielte »Rock of Ages«. Sie spielte und ließ ihre Stimme erklingen, nicht nervös und gehemmt, sondern genau so, wie sie beim Üben geklungen hatte, voll und sanft, wie das gelbe Lampenlicht selbst, und sie dachte: Ich überzeuge sie. Mit Gottes Hilfe überzeuge ich sie. Mein Volk, wenn dich dürstet, lasse ich nicht Wasser aus dem Fels sprudeln? Ich überzeuge sie, und David wird stolz auf mich sein, Mama und Daddy werden stolz auf mich sein, ich selbst werde stolz auf mich sein, ich zaubere Musik aus der Luft und Wasser aus dem Fels...

Und dann sah sie ihn zum ersten Mal. Er stand ganz hinten in der Ecke, hinter allen Sitzreihen, und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er trug Jeans und eine Jeansjacke mit Knöpfen an den Taschen. Er trug staubige schwarze Stiefel mit abgelaufenen Absätzen; Stiefel, die aussahen, als wären sie manche dunkle und staubige Meile gelaufen. Seine Stirn war so weiß wie Gaslicht, die Wangen glühend und kräftig durchblutet, die Augen funkelnde blaue Diamanten, in denen infernalische Fröhlichkeit blitzte, als hätte der Dämon Satans die Arbeit von Kris Kringle übernommen. Er hatte die Zähne gefletscht, ein heißes, loderndes Grinsen, das beinahe ein Fauchen war. Die Zähne waren weiß und scharf und spitz, wie die Zähne eines Wiesels.

Er streckte die Hände vom Körper ab. Beide waren zu Fäusten geballt und so fest und hart wie Knoten an einem Apfelbaum. Sein Grinsen blieb, fröhlich und unsagbar böse. Blutstropfen fielen von den Fäusten herab.

In ihrem Verstand versiegten die Worte. Ihre Finger vergaßen, wie man spielte; es folgte ein letzter mißtönender Akkord, dann Stille.

Gott! Gott!schrie sie, aber Gott hatte Sein Antlitz abgewendet. Dann stand Ben Conveigh mit rotem, flammendem Gesicht auf, und seine kleinen Schweinsäuglein funkelten. Niggerhure! schrie er. Was hat die Niggerbure auf der Bühne verloren? Keine Niggerhure hat je Musik aus der Luft gezaubert! Keine Niggerhure hat je Wasser aus dem Fels sprudeln lassen!

Ungestüme Schreie der Zustimmung. Leute drängten nach vorne. Sie sah, wie ihr Mann aufstand und versuchte, auf die Bühne zu klettern. Eine Frau traf ihn am Mund, er kippte nach hinten.

Schafft die dreckigen Coons nach hinten!brüllte Bill Arnold, und jemand stieß Rebecca Freemantle gegen die Wand. Ein anderer - Chet Deacon, wie es aussah - schlang einen der roten Samtvorhänge um Rebecca und fesselte sie dann mit der Goldkordel. Er schrie: Seht euch das an! Coon im Schlafrock! Waschbär im Schlafrock!

Andere liefen zu Chet Deacon hinüber und fingen an, die zappelnde Frau unter dem Vorhang zu schlagen und zu schubsen.

Mama! schrie Abby.

Die Gitarre war aus ihren gefühllosen Fingern geglitten und am Bühnenrand zu Splittern und Saiten zerschellt.

Sie suchte panisch nach dem dunklen Mann hinten im Saal, aber die Maschine war in Gang gebracht worden und lief heiß und reibungslos; er war schon anderswo hingegangen.

Mama! schrie sie wieder, dann zerrten grobe Hände sie von der Bühne, wanderten unter ihr Kleid, begrabschten sie, fummelten, zwickten sie in den Po. Jemand riß brutal ihre Hand herum und verrenkte den Arm im Gelenk. Sie wurde gegen etwas Hartes, Heißes gedrückt.