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Ben Conveighs Stimme in ihrem Ohr: Wie gefällt dir MEIN >Rock of Ages<, Niggerhure?«

Der Saal drehte sich um sie herum. Sie sah, wie ihr Vater versuchte, zur leblosen Gestalt ihrer Mutter zu gelangen, und sie sah eine weiße Hand, die eine Flasche an der Lehne eines Klappstuhls zerschlug. Ein Rasseln und Klirren, dann wurde der gezackte Flaschenhals, der im warmen Schein der Lampen funkelte, ins Gesicht ihres Vaters geschlagen. Sie sah seine aufgerissenen, hervorquellenden Augen wie Trauben platzen.

Sie schrie, und die Heftigkeit ihres Schreis schien den Saal entzweizureißen, die Dunkelheit hereinzulassen, und sie war wieder Mutter Abagail, hundertundacht Jahre alt, zu alt, o Herr, zu alt (aber Dein Wille geschehe), und sie ging im Mais spazieren, dem mystischen Mais, der flach in der Erde wurzelte, aber breit; sie hatte sich im Mais zwischen silbernem Mondlicht und schwarzen Schatten verirrt; sie konnte den Sommernachtwind hören, der sanft darin raschelte, sie konnte seinen lebenden Wachstumsgeruch riechen, den sie ihr ganzes Leben gerochen hatte (sie hatte oft gedacht, dass dies die Pflanze war, die dem ganzen Leben am nächsten kam, der Mais, dessen Geruch der Geruch des Lebens selbst war, der Anfang des Lebens, oh, sie hatte drei Männer geheiratet und an ihren Gräbern gestanden, David Trotts, Henry Hardesty und Nate Brooks, sie hatte drei Männer im Bett gehabt, hatte sie empfangen, wie eine Frau einen Mann empfangen mußte, indem sie sich ihnen fügte, und sie hatte stets sehnsüchtige Freude empfunden, den Gedanken: O Gott, welchen Spaß es mir bereitet, Sex mit meinem Mann zu machen, und wie ich es genieße, wenn er Sex mit mir macht, wenn er mir gibt, was er zu geben hat, wenn er es in mich hineinspritzt;und manchmal hatte sie im Augenblick des Höhepunkts an den Mais gedacht, den Mais mit seinen flachen, aber breiten Wurzeln, sie dachte an Fleisch und dann an den Mais, und wenn es vorbei war und ihr Mann neben ihr lag, hing der Sex -Geruch im Zimmer, der Geruch des Samens, den der Mann in sie hineingespritzt hatte, der Geruch ihrer eigenen Säfte, die sein Eindringen erleichterten, und es war ein Geruch wie geschälter Mais, mild und lieblich, ein guter Geruch).

Und dennoch hatte sie Angst, schämte sich eben dieser intimen Verbundenheit mit Erde und Sommer und Fruchtbarkeit, weil sie nicht allein war. Er war hier bei ihr, zwei Reihen links oder rechts, immer ein Stück voraus oder zurück. Der dunkle Mann war da; seine staubigen Stiefel gruben sich ins Fleisch des Bodens und schleuderten es in Klumpen weg; er grinste in der Nacht wie eine Sturmlampe.

Dann sprach er, zum ersten Mal sprach er laut, und sie konnte seinen Mondschatten sehen, groß und geduckt und grotesk fiel er in die Reihe, in der sie ging. Seine Stimme war wie der Nachtwind, der im Oktober durch die alten und fleischlosen Maisstauden stöhnt, wie das Rasseln der alten, weißen, unfruchtbaren Maispflanzen selbst, wenn sie von ihrem eigenen Ende zu sprechen scheinen. Es war eine sanfte Stimme. Es war die Stimme des Untergangs.

Sie sagte: Ich habe dein Blut in den Fäusten, alte Frau. Wenn du zu Gott betest, dann bete, daß er dich holt, bevor du jemals meine Schritte deine Stufen hinaufkommen hörst. Nicht du hast Wasser aus dem Fels sprudeln lassen, und ich habe dein Blut in den Fäusten.

Dann wachte sie auf, wachte auf in der Stunde vor der Dämmerung und dachte zuerst, sie hätte ins Bett gemacht, aber es war nur nächtlicher Schweiß, so schwer wie Tau im Mai. Ihr magerer Körper zitterte hilflos, jeder Teil von ihr sehnte sich nach Ruhe.

O Gott, o Gott, laß diesen Kelch an mir vorübergehen. 

Ihr Gott antwortete nicht. Nur der sanfte Morgenwind klopfte an die Fensterscheiben, die lose waren und frischen Kitt vertragen konnten. Schließlich stand sie auf, machte Feuer im alten Holzofen und stellte Kaffeewasser auf.

In den nächsten Tagen hatte sie viel zu tun, denn sie erwartete Gäste. Träume oder nicht, sie hatte immer gern Gäste gehabt, und das sollte auch so bleiben. Aber sie mußte alles bedächtig tun, sonst vergaß sie wieder etwas - sie vergaß in letzter Zeit vieles - oder verlegte etwas, bis sie nicht mehr wußte, wo ihr der Kopf stand.

Als erstes mußte sie zu Addie Richardsons Hühnerstall gehen, und das war ein weiter Weg, vier oder fünf Meilen. Sie fragte sich, ob ihr der Herr einen Adler schicken würde, mit dem sie diese vier Meilen fliegen konnte, oder ob er Elias schicken würde, der sie in seinem Flammenwagen mitnahm. »Gotteslästerung«, sagte sie. »Der Herr gibt Kraft, kein Taxi.« Als sie das wenige Geschirr abgewaschen hatte, zog sie ihre derben Schuhe an und nahm den Stock. Sie benutzte den Stock selten, aber heute brauchte sie ihn. Vier Meilen hin, vier Meilen zurück. Mit sechzehn wäre sie den Hinweg gerannt und den Rückweg gelaufen, aber sechzehn war sie schon lange nicht mehr.

Sie ging um acht Uhr morgens los und hoffte, die Farm der Richardsons gegen Mittag zu erreichen und während des heißesten Teils des Tages zu schlafen. Am Spätnachmittag würde sie die Hühner schlachten und in der Dämmerung den Heimweg antreten. Sie würde erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein, und dabei mußte sie an den Traum von gestern nacht denken, aber der Mann war noch weit weg. Ihre Gäste waren viel näher. Sie ging sehr langsam, langsamer noch, als sie glaubte gehen zu müssen, weil selbst jetzt noch, um halb neun am Abend, die Sonne rund und heiß und brütend am Himmel stand. Sie schwitzte nicht viel - sie hatte nicht genügend überflüssiges Fleisch auf den Knochen, den Schweiß herauszuwringen -, aber als sie den Briefkasten der Goodells erreicht hatte, mußte sie ein wenig ausruhen. Sie saß im Schatten ihres Pfefferstrauchs und aß ein paar Feigen. Weder ein Adler noch ein Taxi zu sehen. Darüber kicherte sie etwas, stand auf, wischte sich Krümel vom Kleid und ging weiter. Nee, kein Taxi. Der Herr half denen, die sich selbst halfen. Trotzdem spürte sie schon, wie ihre sämtlichen Gelenke sich einstimmten; heute nacht würde es ein Knochen-Gala-Konzert geben.

Sie bückte sich beim Gehen immer weiter über den Stock, obwohl ihre Handgelenke auch zunehmend Verdruß bereiteten. Ihre Schuhe mit den gelben Wildlederschnürsenkeln schlurften im Staub. Die Sonne schien sengend auf sie herab, und im Lauf der Zeit wurde ihr Schatten immer kürzer. An diesem Morgen sah sie mehr wilde Tiere, als sie seit den zwanziger Jahren gesehen hatte: Füchse, Waschbären, Stachelschweine, Fischreiher, Krähen waren allgegenwärtig, sie krächzten und keiften und zogen Kreise am Himmel. Hätte sie Stu Redman und Glen Bateman gehört, die sich über die willkürliche Weise unterhielten - jedenfalls erschien sie ihnen willkürlich -, wie die Super-Grippe manche Tiergattungen getötet und andere verschont hatte, dann hätte sie gelacht. Die Grippe hatte Haustiere hinweggerafft und wilde Tiere verschont, so einfach war das. Ein paar Haustiergattungen hatten zwar überlebt, aber als Faustregel galt: Die Grippe hatte die Menschen und deren beste Freunde ausgerottet. Sie hatte die Hunde geholt, aber die Wölfe in Ruhe gelassen, weil die Wölfe wild waren und die Hunde nicht.

Rotglühende Schmerzzentren waren tief in ihren Hüften, hinter jedem Knie, in den Knöcheln und den Handgelenken entstanden, mit denen sie sich auf den Stock stützte. Sie schritt aus und sprach mit ihrem Gott, ohne sich bewußt zu sein, daß sie manchmal leise, manchmal laut redete. Und sie mußte wieder über ihre Vergangenheit nachdenken. 1902 war das beste Jahr gewesen, das stimmte. Es schien, als hätte die Zeit sich danach beschleunigt; die Seiten eines dicken Abreißkalenders waren umgeblättert worden, ohne Pause. Das Leben eines Körpers ging so schnell vorbei... wie kam es, daß ein Körper es so müde sein konnte zu leben?

Sie hatte fünf Kinder von Davy Trotts bekommen; eines, Maybelle, war im alten Haus im Garten an einem Stück Apfel erstickt. Abby hatte Wäsche aufgehängt, sich umgedreht und das Baby auf dem Rücken gesehen, wo es die Händchen um den Hals krallte und purpurn anlief. Sie hatte das Apfelstück schließlich herausbekommen, aber da war die kleine Maybelle schon still und kalt gewesen, ihre einzige Tochter und das einzige ihrer vielen Kinder, das Opfer eines Unfalls geworden war.