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Sie war aus diesem langen, tiefen Schlaf erwacht und hatte sich nicht so ausgeruht wie vorher gefühlt, und sie hatte wieder zu Gott gebetet, er möge sie in Frieden lassen oder ihr wenigstens die Richtung zeigen, in die er sie schicken wollte.

Norden, Süden oder Osten, Herr, und ich werde Hemingford verlassen und Dein Loblied singen. Aber nicht nach Westen, nicht zum dunklen Mann.

Die Rockies sind nicht groß genug zwischen ihm und uns. Die Anden wären nicht groß genug.

Aber das spielte keine Rolle mehr. Früher oder später, wenn der Mann sich stark genug fühlte, würde er nach denen suchen kommen, die sich gegen ihn stellten. Wenn nicht dieses Jahr, dann im nächsten. Die Hunde waren dahin, die Seuche hatte sie ausgerottet, aber die Wölfe lebten noch in den Hochländern der Berge und waren bereit, dem Dämon Satans zu dienen.

Aber nicht nur die Wölfe würden ihm dienen.

Am Morgen des Tages, an dem ihre Gäste endlich ankamen, hatte sie um sieben Uhr mit der Arbeit angefangen; sie hatte Holzscheite geschleppt, immer zwei auf einmal, bis der Herd heiß und die Holzkiste voll war. Gott hatte ihr einen kühlen, wolkenverhangenen Tag beschert, den ersten seit Wochen. Heute abend könnte es regnen. Ihre Hüfte, die sie sich 1958 gebrochen hatte, prophezeite es jedenfalls.

Sie backte ihre ersten Kuchen mit den eingemachten Früchten aus der Speisekammer und frischem Rhabarber und Erdbeeren aus dem Garten. Die Erdbeeren waren gerade reif, Gott sei gelobt, und es war gut zu wissen, daß sie nicht verderben würden. Allein das Kochen bewirkte, daß sie sich besser fühlte, denn Kochen war Leben. Ein Blaubeerkuchen, zwei Kuchen mit Rhabarber und Erdbeeren, ein Apfelkuchen. Ihr Duft zog durch die morgendliche Küche. Sie stellte sie zum Abkühlen auf die Fensterbank, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.

Sie gab sich große Mühe mit dem Teig, obwohl es ohne frische Eier gar nicht so leicht war - dabei war sie im Hühnerhaus gewesen; es war ihre eigene Schuld. Eier oder nicht, am frühen Nachmittag roch die kleine Küche mit ihrem unebenen Fußboden und dem abgewetzten Linoleum nach Brathühnern. Es war drinnen recht heiss geworden, daher humpelte sie auf die Veranda, um wie jeden Tag zu lesen; dann fächelte sie sich mit ihrem eselsohrigen Exemplar von The Upper Room kühle Luft ins Gesicht.

Die Hühner gelangen ihr so knusprig und gut, wie man es sich nur wünschen konnte. Einer der Burschen konnte hinausgehen und zwei Dutzend frische Maiskolben holen, und sie würden sich zu einer herrlichen Mahlzeit ins Freie setzen.

Nachdem sie die Brathühner auf Papiertücher gelegt hatte, setzte sie sich mit der Gitarre auf die hintere Veranda und fing an zu spielen. Sie sang alle ihre Lieblingslieder; ihre hohe, zitternde Stimme ertönte in die stille Sommerluft.

»Have we trials and temptations, 

Are we cumbered with a load of care? 

We must never be discouraged, 

Take it to the Lord in prayer.«

Sie fand, die Musik klang so wunderbar (obwohl ihre Hörkraft stark abgenommen hatte, so daß sie nicht mehr sicher sein konnte, ob die alte Gitarre richtig gestimmt war), daß sie noch ein Lied spielte, noch eins und noch eins.

Sie sang gerade » We Are Marching to Zion«, als sie Motorengeräusch im Norden vernahm, das auf der County Road näher kam. Sie hörte auf zu singen, aber ihre Finger strichen noch geistesabwesend über die Saiten, als sie den Kopf schräg hielt und lauschte. Sie kommen, ja, Herr, sie haben den Weg gut gefunden, und jetzt konnte Abby den Staub sehen, den die Räder des Wagens aufwirbelten, als er vom Asphalt auf den Sandweg gelenkt wurde, der zu ihrem Haus führte. Sie freute sich darauf, die Gäste zu begrüßen, und war froh, daß sie ihr bestes Kleid angezogen hatte. Sie stellte die Gitarre zwischen die Knie und hielt die Hand über die Augen, obwohl die Sonne immer noch nicht schien.

Jetzt war das Motorengeräusch schon viel lauter. Noch einen Moment, und dort, wo der Mais aufhörte und der Bewässerungsgraben von Cal Coodell anfing...

Ja, jetzt sah sie ihn, einen alten Chevrolet-Lieferwagen, der langsam fuhr. Die Fahrerkabine war voll; wie es aussah, drängten sich dort vier Leute (selbst mit hundertacht konnte Abby noch sehr gut auf weite Entfernung sehen), und auf der Ladefläche saßen noch drei, die jetzt aufstanden und über das Fahrerhaus blickten. Sie sah einen schlanken blonden Mann, ein Mädchen mit roten Haaren, und in der Mitte... ja, das war er, ein Junge, der gerade die letzten Lektionen lernte, was es heißt, ein Mann zu sein. Dunkles Haar, schmales Gesicht, hohe Stirn. Er sah sie auf der Veranda sitzen und winkte aufgeregt. Ein wenig später tat der blonde Mann es ihm nach. Das rothaarige Mädchen schaute nur. Mutter Abagail hob die Hand und winkte zurück.

»Gott sei Lob, daß er sie hergebracht hat«, murmelte sie heiser. Tränen liefen ihr heiß über die Wangen. »Herr, ich danke Dir so sehr.«

Der Wagen fuhr holpernd und rumpelnd auf den Hof. Der Mann am Steuer trug einen Strohhut mit blauem Samtband, in dem eine Feder steckte.

» Jjuuhuuuuh!« schrie er und winkte. »Hallo, Mutter! Nick sagte, dass Sie hier sein müssen, und das sind Sie ja auch, juuhuuuu!« Er drückte auf die Hupe. Neben ihm im Fahrerhaus saßen ein Mann um die Fünfzig, eine Frau im gleichen Alter und ein kleines Mädchen im roten Cordoverall. Das kleine Mädchen winkte schüchtern; den Daumen der anderen Hand hatte es fest in den Mund gedrückt. Der junge Mann mit der Augenklappe und dem dunklen Haar - Nick - sprang herunter, bevor der Wagen hielt. Er behielt das Gleichgewicht und kam langsam auf sie zu. Sein Gesicht war ernst, aber die Augen strahlten vor Freude. Er blieb vor den Stufen zur Veranda stehen und sah sich erstaunt um... Hof, Haus, den alten Baum mit der Reifenschaukel. Aber ganz intensiv sah er Abby an.

»Hallo, Nick«, sagte sie. »Ich freue mich, dich zu sehen. Gott segne dich.«

Er lächelte, und auch bei ihm flossen jetzt Tränen. Er ging die Stufen hinauf zu ihr und nahm ihre Hände. Sie bot ihm ihre faltige Wange, und er küßte sie behutsam. Inzwischen hatte der Wagen hinter ihm angehalten, und die anderen waren ausgestiegen. Der Mann, der gefahren war, hielt das kleine Mädchen im roten Overall, das am rechten Bein einen Gipsverband trug, an sich gedrückt. Sie hatte die Arme fest um den sonnengebräunten Nacken des Fahrers geschlungen. Neben ihm stand die etwa fünfzigjährige Frau, neben dieser der Rotschopf und der blonde junge Mann mit Bart. Nein, kein Mann, dachte Mutter Abagail; er ist schwach. Als letzter in der Reihe stand der Mann, der im Fahrerhaus gesessen hatte. Er putzte die Gläser seiner Nickelbrille.

Nick sah Abby auffordernd an, und sie nickte.

»Du hast das Richtige getan«, sagte sie. »Der Herr hat dich geschickt, und Mutter Abagail wird dir zu essen geben. Ihr seid alle willkommen!« fügte sie mit lauterer Stimme hinzu. »Wir können nicht lange bleiben, aber bevor wir aufbrechen, werden wir ausruhen, zusammen das Brot brechen und gute Gemeinschaft halten.«

Das kleine Mädchen auf den sicheren Armen des Fahrers piepste:

»Bist du die älteste Lady der Welt?«