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Auch die anderen bedankten sich noch einmal. Nick und Ralph holten die Matratze, die sich als ungezieferfrei erwies. Tom und Dick - denen nur noch ein Harry fehlte, dann wären sie komplett, dachte Abagail - gingen in den Schuppen hinaus, wo schon bald die Coleman-Lampe aufleuchtete. Kurz darauf waren Nick, Ralph und Mutter Abagail allein in der Küche.

»Stört es Sie, wenn ich rauche, Ma'am?« fragte Ralph.

»Nein, solange Sie nicht die Asche auf den Fußboden werfen. Gleich hinter Ihnen im Schrank steht ein Aschenbecher.«

Ralph stand auf, ihn zu holen, und Abby sah Nick an. Er trug ein Khakihemd, Blue jeans und eine verblichene Drillichweste. Er hatte etwas an sich, das ihr das Gefühl gab, als hätte sie ihn schon vorher gekannt oder als wäre es ihr immer vorherbestimmt gewesen, ihn kennenzulernen. Wenn sie ihn ansah, verspürte sie ein stilles Gefühl des Wissens und der Vollendung, als wäre dieser Augenblick einfach Schicksal gewesen. Als wäre an einem Ende ihres Lebens ihr Vater John Freemantle gewesen, groß und schwarz und stolz, und dieser Mann am anderen Ende, jung, weiß und stumm, mit einem strahlenden, ausdrucksvollen Auge, das sie aus diesem verhärmten Gesicht ansah.

Sie schaute zum Fenster hinaus und erblickte das Licht der Coleman-Batterielampe, das zum Schuppenfenster herausschien und ein Stück des Hofes beleuchtete. Sie fragte sich, ob der Schuppen immer noch nach Kuh roch; sie war seit fast drei Jahren nicht mehr dort gewesen. Unnötig. Daisy, ihre letzte Kuh, war 1975 verkauft worden, aber 1987 hatte der Schuppen immer noch nach Kuh gerochen. Was wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag so geblieben war. Einerlei; es gab schlimmere Gerüche.

»Ma'am?«

Sie sah wieder auf. Ralph saß jetzt neben Nick, hielt einen Zettel in der Hand und betrachtete ihn blinzelnd im trüben Licht der Petroleumlampe. Nick hielt Schreibblock und Kugelschreiber. Er sah sie immer noch aufmerksam an.

»Nick sagt...« Ralph räusperte sich verlegen.

»Nur weiter.«

»Auf dem Zettel steht, es ist so schwer, Ihnen von den Lippen zu lesen, weil...«

»Ich glaube, ich weiß, warum«, sagte sie. »Keine Angst.«

Sie stand auf und schlurfte zum Schreibpult. Auf dem zweiten Regal darüber stand ein Plastikbehälter, in dem in einer milchigen Flüssigkeit zwei Gebißplatten wie medizinische Ausstellungsstücke schwammen.

Sie fischte sie heraus und spülte sie in einem Krug Wasser ab.

»Mein Gott, habe ich gelitten«, sagte Mutter Abagail kläglich und setzte das Gebiß ein.

»Wir müssen miteinander reden«, sagte sie. »Ihr zwei seid die Anführer, und wir müssen uns über ein paar Dinge klar werden.«

»Nun«, sagte Ralph, »ich nicht. Ich war nie mehr als Vollzeitfabrikarbeiter und Teilzeitfarmer. Ich habe zu meiner Zeit mehr Schwielen als Einfälle gehabt. Ich glaube eher, Nick hat das Sagen.«

»Stimmt das?« fragte sie und sah Nick an.

Nick schrieb kurz, und Ralph las es laut vor, und so hielt er es auch weiterhin.

»Es war meine Idee, hierherzukommen, ja. Aber ob ich der Anführer bin, weiß ich nicht.«

»June und Olivia haben wir etwa neunzig Meilen südlich von hier getroffen«, sagte Ralph. »Das war vorgestern, Nick, nicht?«

Nick nickte.

»Da waren wir schon auf dem Weg zu Ihnen, Mutter. Die Frauen waren auch nach Norden unterwegs. Und Dick. Wir haben uns zusammengetan.«

»Habt ihr sonst noch Leute gesehen?« fragte sie.

»Nein«, schrieb Nick. »Aber ich hatte das Gefühl - Ralph auch -, dass da noch andere waren, die sich versteckt hatten und uns beobachteten. Ich denke, sie hatten Angst. Sie müssen noch den Schock überwinden.«

Sie nickte.

»Dick hat gesagt, am Tag, bevor er uns getroffen hat, hat er irgendwo im Süden ein Motorrad gehört. Also sind noch andere Menschen unterwegs. Ich glaube, eine so große Gruppe macht ihnen angst.«

»Warum seid ihr hergekommen?« Ihre Augen blickten Nick aus einem Gewirr von Runzeln gespannt an.

Nick schrieb: »Ich habe von Ihnen geträumt. Dick Ellis auch einmal, sagt er. Und die kleine Gina nannte Sie schon lange, bevor wir hier waren, >Grannylady<. Sie hat Ihr Haus beschrieben. Die Reifenschaukel.«

»Gott segne das Kind«, sagte Mutter Abagail zerstreut. Sie sah Ralph an. »Und du?«

»Ein- oder zweimal, Ma'am«, sagte Ralph. Er fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe hauptsächlich von diesem... von diesem anderen Kerl geträumt.«

»Von welchem Kerl?«

Nick schrieb. Kreiste das Geschriebene ein. Gab es ihr diesmal. Auf die Nähe konnte sie ohne ihre Brille oder die Leuchtlupe, die sie vor einem Jahr im Hemingford Center gekauft hatte, nicht mehr gut sehen, aber dies konnte sie lesen. Es war groß geschrieben wie die Flammenschrift, die Gott in Belsazers Palast an der Wand erscheinen ließ. Der bloße Anblick des Eingekreisten machte sie schon frösteln. Sie dachte an die Wiesel, die auf dem Bauch über die Straße krochen und mit nadelspitzen Killerzähnen an dem Sack zerrten. Sie dachte an ein einzelnes rotes Auge, das sich in der Dunkelheit öffnete, das schaute und suchte, jetzt nicht nur eine alte Frau, sondern eine ganze Gruppe Männer und Frauen... und ein kleines Mädchen.

Die drei eingekreisten Worte waren: Der dunkle Mann.

»Ich habe erfahren«, sagte sie, faltete den Zettel zusammen, klappte ihn auf, faltete ihn wieder zusammen und dachte momentan gar nicht an die Schmerzen ihrer Arthritis, »daß wir nach Westen gehen sollen. Das hat mir Gott der Herr im Traum gesagt. Ich wollte nicht darauf hören. Ich bin eine alte Frau und möchte nur auf diesem Stück Land sterben. Es gehört seit hundertzwölf Jahren meiner Familie, aber es ist mir genauso wenig bestimmt, hier zu sterben, wie es Moses bestimmt war, mit den Kindern Israels nach Kanaan zu gehen.«

Sie schwieg. Die beiden Männer sahen sie im Schein der Lampe an, draußen rauschte langsam und unaufhörlich der Regen. O Herr, dachte sie, dieses Gebiß tut mir im Mund weh. Ich möchte es rausnehmen und ins Bett gehen.

»Schon zwei Jahre bevor diese Seuche ausbrach, hatte ich Träume. Ich habe immer geträumt, und manchmal wurden meine Träume wahr. Weissagungen sind eine Gabe Gottes, jeder hat ein wenig davon. Meine Großmutter nannte sie den Lampenschein Gottes, manchmal auch nur das Shining. In meinen Träumen sah ich mich nach Westen gehen. Zuerst nur mit wenigen Leuten, dann mit ein paar mehr, dann noch ein paar. Westen, immer Westen, bis ich die Rocky Mountains sehen konnte. Zuletzt waren wir eine ganze Karawane, zweihundert oder mehr. Und es gab Zeichen... nein, keine Zeichen von Gott, sondern gewöhnliche Straßenzeichen, und auf allen stand so etwas wie BOULDER, COLORADO, 609 MEILEN oder RICHTUNG BOULDER.«

Sie machte eine Pause.

»Diese Träume, die haben mir angst gemacht. Ich hab' nie einer Menschenseele erzählt, daß ich sie hatte, solche Angst hab' ich gehabt. Mir war etwa so zumute, wie Hiob zumute gewesen sein muß, als Gott aus dem Wirbelwind zu ihm gesprochen hat. Ich hab' sogar so getan, als wären es nur Träume; ich war eine dumme alte Frau, die vor Gott weggelaufen ist wie Jonas. Aber du siehst, der große Fisch hat uns trotzdem verschluckt. Und wenn Gott zu Abby sagt: Du mußt es erzählen!, dann muß ich es erzählen. Und ich habe mir immer gedacht, daß jemand zu mir kommen würde, jemand ganz Besonderes, und so würde ich erfahren, daß die Zeit gekommen ist.«

Sie betrachtete Nick, der am Tisch saß und sie mit seinem guten Auge ernst durch den Dunst von Ralph Brentners Zigarettenrauch ansah.

»Ich wußte es, als ich dich gesehen habe«, sagte sie. »Du bist es, Nick. Gott hat seinen Finger auf dein Herz gelegt. Aber er hat mehr als einen Finger, und draußen sind andere, die noch kommen, und auch auf sie hat er seinen Finger gelegt. Ich träume von ihm, wie er immer nach uns sucht, und, Gott vergebe meinem kranken Geist, ich verfluche ihn von ganzem Herzen.« Sie fing an zu weinen und stand auf, um Wasser zu trinken und sich etwas ins Gesicht zu spritzen. Ihre Tränen waren das Menschliche an ihr, schwach und gebrechlich.