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»Das wußte ich.«

»Du hast mich gefragt, warum ich die Tabletten nicht mehr nehme.«

Sie zupfte an ihrer Bluse und wagte nicht, ihn anzusehen. Ihre Lippen fühlten sich ungewöhnlich trocken an. »Ich habe gedacht, sie wären schlecht für das Baby«, flüsterte sie.

»Für das...« Er verstummte. Dann nahm er sie und drehte sie zu sich. »Du bist schwanger

Sie nickte.

»Und hast du keinem gesagt?«

»Nein.«

»Harold. Weiß Harold es?«

»Nur du.«

»Gott im Himmel«, sagte er. Er sah ihr auf eine so intensive Weise ins Gesicht, daß sie Angst bekam. Sie hatte sich zwei Möglichkeiten vorgestellt: Er würde sie auf der Stelle verlassen (was Jess zweifellos gemacht hätte, hätte er herausgefunden, daß sie von einem anderen Mann schwanger war), oder er würde sie in den Arm nehmen, ihr sagen, sie solle sich keine grauen Haare wachsen lassen, er würde sich um alles kümmern. Diese verblüffte, eingehende Musterung hatte sie nicht erwartet, und sie mußte an den Abend denken, als sie es ihrem Vater im Garten gesagt hatte. Er hatte sie ganz ähnlich angesehen. Sie wünschte sich, sie hätte Stu ihren Zustand gestanden, bevor er mit ihr geschlafen hatte. Vielleicht hätten sie dann überhaupt nicht miteinander geschlafen, aber wenigstens hätte er dann nicht das Gefühl gehabt, daß er an der Nase herumgeführt worden war, daß sie... wie lautete der alte Ausdruck? Aus zweiter Hand war. Dachte er das? Sie konnte es nicht sagen.

»Stu?« sagte sie mit ängstlicher Stimme.

»Du hast es keinem gesagt«, wiederholte er.

»Ich wußte nicht wie.« Jetzt waren die Tränen dicht unter der Oberfläche.

»Wann ist es soweit?«

»Januar«, sagte sie, und die Tränen kamen.

Er nahm sie in die Arme und ließ sie, ohne etwas zu sagen, wissen, daß alles in Ordnung war. Er sagte ihr nicht, sie solle sich keine grauen Haare wachsen lassen und er würde sich schon um alles kümmern, aber er schlief noch einmal mit ihr, und sie hatte das Gefühl, noch nie im Leben so glücklich gewesen zu sein. Keiner von ihnen sah Harold, der schwarz und stumm wie der dunkle Mann selbst in den Büschen stand und sie beobachtete. Keiner von ihnen wußte, daß er die Augen zu kleinen bösartigen Dreiecken zusammenkniff, als Fran ihre Lust hinausschrie, als der herrliche Orgasmus sie durchflutete.

Als sie sich erhoben, war es völlig dunkel.

Harold schlich leise davon.

Aus Fran Goldsmiths Tagebuch

1. August 1990

Gestern abend keine Eintragung, zu aufgeregt, zu glücklich. Stu und ich sind zusammen.

Er war auch der Meinung, daß ich das Geheimnis meines Einsamen Reiters so lange wie möglich bewahren soll, am besten, bis wir seßhaft geworden sind. Wenn's in Colorado ist, soll es mir recht sein. So, wie ich mich heute fühle, wäre mir sogar ein Mondkrater recht. Klingt das wie Gesülze eines verknallten Schulmädchens? Nun - wenn eine Frau in ihrem Tagebuch sich nicht wie ein verknalltes Schulmädchen ausdrücken kann, wo dann?

Aber eines muß ich noch loswerden, bevor ich das Thema Einsamer Reiter fallenlasse. Es hat mit meinen »mütterlichen Instinkten« zu tun. Gibt es so etwas? Ich finde ja. Wahrscheinlich hormonell bedingt. Ich bin seit ein paar Wochen nicht mehr die alte, aber es fällt schwer, die durch die Schwangerschaft verursachten Veränderungen von denen zu trennen, die auf die schreckliche Katastrophe zurückzuführen sind, die über die Welt gekommen ist. Aber ein Gefühl der Eifersucht BESTEHT (»Eifersucht« ist eigentlich nicht das richtige Wort, aber ein besseres finde ich heute nacht nicht), ein Gefühl, daß man dem Mittelpunkt des Universums ein Stück nähergerückt ist und seine Position dort verteidigen muß. Deshalb scheint mir das Veronal ein größeres Risiko als die Alpträume zu sein, auch wenn mir die Vernunft sagt, daß das Veronal dem Baby nicht schaden kann - jedenfalls nicht mit den geringen Dosen, die die anderen nehmen. Und ich glaube, dieses Gefühl der Eifersucht ist auch ein Teil der Liebe, die ich für Stu Redman empfinde. Mir ist, als würde ich nicht nur für zwei essen, sondern auch lieben. So, ich muß mich kurz fassen. Ich brauche meinen Schlaf, was für Träume er auch bringen mag. Wir sind nicht so schnell durch Indiana gekommen, wie wir gehofft hatten - ein schrecklicher Verkehrsunfall in der Nähe der Kreuzung Elkhart hat uns aufgehalten. Viele Fahrzeuge der Armee. Tote Soldaten. Glen, Susan Stern, Dayna und Stu nahmen so viele Waffen mit, wie sie finden konnten - etwa zwei Dutzend Gewehre, ein paar Granaten und - ja, Leute, wahrhaftig - einen Raketenwerfer. Während ich das schreibe, versuchen Harold und Stu herauszufinden, wie der Raketenwerfer, für den siebzehn oder achtzehn Raketen da sind, funktioniert. Bitte, lieber Gott, pass auf, daß sie sich nicht selbst in die Luft jagen.

Und da wir gerade von Harold sprechen, ich muß dir sagen, liebes Tagebuch, daß er NICHT DEN GERINGSTEN VERDACHT HAT (hört sich wie eine Dialogzeile aus einem alten Bette-Davis-Film an, was?). Wenn wir die Gruppe um Mutter Abagail erreicht haben, muss ich es ihm wohl sagen; es wäre nicht recht, es ihm länger zu verheimlichen, komme, was da wolle.

Aber heute war er fröhlicher & und heiterer, als ich ihn je gesehen habe. Er hat so sehr gegrinst, daß ich gedacht habe, sein Gesicht würde zerreißen! Er hat vorgeschlagen, daß Stu ihm mit dem gefährlichen Raketenwerfer helfen soll, und…

Aber jetzt kommen sie zurück. Schreibe später weiter.

Frannie schlief tief und traumlos. Wie alle, außer Harold Lauder. Irgendwann kurz nach Mitternacht stand er auf, ging leise zu der Stelle, wo Frannie lag, blieb stehen und sah auf sie hinab. Jetzt lächelte er nicht mehr, obwohl er den ganzen Tag gelächelt hatte. Manchmal hatte er heute das Gefühl gehabt, das Lächeln würde ihm das Gesicht spalten, so daß sein gemartertes Gehirn herausquoll. Vielleicht wäre das eine Wohltat gewesen.

Er sah auf sie hinab und lauschte dem sommerlichen Zirpen der Grillen. Wir haben jetzt die Hundstage, dachte er. Die Hundstage, vom 25. Juli bis zum 28. August, laut Webster's Lexikon. Sie werden so genannt, weil sich um diese Zeit die meisten Hunde mit Tollwut infizieren. Er sah auf Fran hinab, die so friedlich schlief und den zusammengerollten Pullover als Kissen benützte. Ihr Rucksack stand neben ihr.

Jeder Hund hat seinen Tag, Frannie.

Er kniete sich hin und erstarrte, als seine Kniegelenke wie Pistolenschüsse knackten, aber niemand bewegte sich. Er machte ihren Rucksack auf, löste die Zugschnur und griff hinein. Er richtete seine winzige Taschenlampe auf den Inhalt des Rucksacks. Frannie murmelte tief im Schlaf, regte sich, und Harold hielt den Atem an. Er fand das Ringbuch ganz unten hinter drei Blusen und einem eselsohrigen Taschenatlas. Er zog es heraus, schlug es auf und richtete das Licht auf Frannies enge, aber lesbare Handschrift.

6.Juli 1990 - Nach einiger Überredung war Mr. Bateman bereit, mit uns zu kommen...

Harold klappte das Buch zu und kroch damit zu seinem Schlafsack zurück. Er kam sich wie der kleine Junge von damals vor, der Junge mit wenigen Freunden (er war, bis er drei wurde, ein hübsches Baby gewesen, aber seitdem war er ein dicker und häßlicher Witz) und vielen Feinden, der Junge, den seine Eltern ganz einfach nur hingenommen hatten - deren Aufmerksamkeit hatte nur Amy gegolten, als diese den Miss-America-Atlantic-City-Weg ihres Lebens betrat -, der Junge, der in Büchern Trost suchte, der Junge, der seine Enttäuschung darüber, daß ihn beim Baseball niemand in seiner Mannschaft haben wollte und er stets übergangen wurde, wenn Schülerlotsen gesucht wurden, dadurch kompensierte, daß er sich in Long John Silver oder Tarzan oder Philip Kent verwandelte... der Junge, der spät abends zu diesen Gestalten wurde, wenn er unter der Bettdecke die Taschenlampe auf die bedruckten Seiten richtete, vor Aufregung große Augen bekam und seine eigenen Bettfürze nicht roch; dieser Junge kroch jetzt Kopf voraus mit Frannies Tagebuch und seiner Taschenlampe in seinen Schlafsack.