»Was habe ich?«
Aalglatt, wie einstudiert, sagte Deitz: »Schwarzes Haar, blaue Augen, eine tolle Sonnenbräune...« Er sah Stu eingehend an. »Nicht komisch, hm?«
Stu sagte nichts.
»Wollen Sie mir eine runterhauen?«
»Ich glaube nicht, daß das was nützen würde.«
Deitz seufzte und rieb sich den Nasenrücken, als würden die Stöpsel in den Nasenlöchern schmerzen. »Wissen Sie«, sagte er, »ich mache immer Witze, wenn es ernst aussieht. Andere rauchen oder kauen Kaugummi. So verhindere ich, daß ich durchdrehe. Ich bezweifle, ob viele Leute eine bessere Methode haben. Und was Ihre Krankheit betrifft, soweit Denninger und seine Kollegen feststellen konnten, haben Sie gar keine.«
Stu nickte gleichgültig. Dennoch hatte er den Eindruck, als hätte dieser kleine Gnom von einem Mann hinter sein Pokerface gesehen und die plötzliche gewaltige Erleichterung erkannt.
»Was haben die anderen?«
»Tut mir leid, das ist geheim.«
»Wie hat dieser Campion die Krankheit bekommen?«
»Das ist ebenfalls geheim.«
»Ich nehme an, daß er in der Armee war. Und dort hat es irgendwo einen Unfall gegeben. Wie damals vor zwanzig Jahren mit diesen Schafen in Utah, nur viel schlimmer.«
»Mr. Redman, ich könnte schon hinter Gitter wandern, wenn ich Ihnen nur heiß oder kalt sage.«
Stu rieb sich nachdenklich mit der Hand über den frischen Stoppelbart.
»Sie sollten froh sein, daß wir Ihnen nicht mehr erzählen«, sagte Deitz. »Das wissen Sie, oder nicht?«
»Damit ich meinem Land besser dienen kann«, sagte Stu trocken.
»Nein, das ist ausschließlich Denningers Masche«, sagte Deitz. »In dieser Angelegenheit sind Denninger und ich nur kleine Fische, aber Denninger ist noch kleiner als ich. Er ist nichts weiter als ein Hilfsmotor. Es gibt einen praktischeren Grund, warum Sie froh sein sollten. Auch Sie sind geheim. Sie sind vom Antlitz dieser Erde verschwunden. Wenn Sie genug wüßten, könnten die Bosse auf den Gedanken kommen, daß es sicherer wäre, wenn Sie für immer verschwunden bleiben.«
Stu sagte nichts. Er war fassungslos.
»Aber ich bin nicht hergekommen, um Ihnen zu drohen. Wir sind dringend auf Ihre Mithilfe angewiesen, Mr. Redman. Wir brauchen Sie.«
»Wo sind die anderen Leute, die mit mir hergebracht wurden?«
Deitz zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Victor Palfrey, verstorben. Norman Bruett, Robert Bruett, verstorben. Thomas Wannamaker, verstorben. Ralph Hodges, Bert Hodges, Cheryl Hodges, verstorben. Christian Ortega, verstorben. Anthony Leominster, verstorben.«
Die Namen wirbelten in Stus Kopf. Chris, der Barkeeper. Er hatte immer eine abgesägte Louisville-Schrotflinte unter dem Tresen gehabt, und der Trucker, der glaubte, Chris würde die im Notfall nicht benützen, hätte eine böse Überraschung erleben können. Tony Leominster, der den großen International mit dem Cobra-CB unter dem Armaturenbrett fuhr. Saß manchmal in Haps Tankstelle herum, aber am Abend, als Campion die Pumpen umgemäht hatte, war er nicht dort gewesen. Vic Palfrey... mein Gott, er hatte Vic sein Leben lang gekannt. Wie konnte Vic tot sein? Aber was ihn am schwersten traf, war die Familie Hodges.
» Alle?« hörte er sich sagen. »Ralphs ganze Familie?«
Deitz drehte das Blatt um. »Nein, da ist noch ein kleines Mädchen. Eva. Vier Jahre alt. Sie lebt.«
»Und wie geht es ihr?«
»Tut mir leid, das ist geheim.«
Wut durchfuhr ihn, mit der ganzen Unerwartetheit einer freudigen Überraschung. Er sprang auf, packte Deitz am Kragen und schüttelte ihn. Aus den Augenwinkeln sah er erschrockene Bewegungen hinter den Doppelscheiben. Schwach, durch Entfernung und nahezu schalldichte Wände gedämpft, hörte er eine Sirene aufheulen.
»Was habt ihr gemacht?« brüllte er. »Was habt ihr nur gemacht? Um Gottes willen, was habt ihr gemacht?«
»Mr. Redman -«
»Hm? Zum Teufel, was habt ihr gemacht?«
Die Tür ging zischend auf. Drei große Männer in olivgrünen Uniformen kamen herein. Sie trugen Nasenfilter.
Deitz starrte sie an und fauchte: »Machen Sie, daß Sie rauskommen!«
Die drei Männer blieben unentschlossen stehen.
» Unsere Befehle...«
»Raus hier, dasist ein Befehl!«
Sie zogen sich zurück. Deitz setzte sich ruhig aufs Bett. Sein Kragen war zerknittert, das Haar hing ihm in die Stirn. Das war alles. Er sah Stu ruhig, beinahe gleichgültig an. Einen wilden Augenblick überlegte Stu, ihm den Nasenfilter herunterzureißen; aber dann dachte er an Geraldo, was für ein dummer Name für ein Meerschweinchen. Dumpfe Verzweiflung kam über ihn wie ein kalter Wasserguß. Er setzte sich.
»Jesus, steh mir bei«, murmelte er.
»Hören Sie zu«, sagte Deitz. »Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass Sie hier sind. Auch Denninger nicht oder die Schwestern, die Ihren Blutdruck messen wollen. Wenn es einen Verantwortlichen gibt, dann Campion, aber wir können auch ihm nicht alles anhängen. Er ist weggelaufen; aber unter den Umständen hätte ich das vielleicht auch getan. Ein technischer Fehler hat ihm die Flucht ermöglicht. Die Situation ist nun mal eingetreten. Wir versuchen, damit fertig zu werden, wir alle. Aber deshalb sind wir noch lange nicht dafür verantwortlich.«
»Wer dann?«
.»Niemand«, sagte Deitz und lächelte. »In diesem Fall erstreckt sich die Verantwortlichkeit in so viele Richtungen, daß sie unsichtbar ist. Es war ein Unfall. Er hätte auf jede erdenkliche Weise geschehen können.«
»Schöner Unfall«, sagte Stu beinahe flüsternd. »Was ist mit den anderen? Hap und Hank Carmichael und Lila Bruett? Ihrem Sohn Luke? Monty Sullivan -«
»Geheim«, sagte Deitz. »Wollen Sie mich noch mal schütteln? Wenn Sie sich dann besser fühlen, schütteln Sie.«
Stu sagte nichts, aber der Blick, mit dem er Deitz ansah, veranlaßte diesen plötzlich, den Kopf zu senken und nervös an den Bügelfalten zu zupfen.
»Sie leben«, sagte Deitz, »und irgendwann sehen Sie sie vielleicht wieder.«
»Was ist mit Arnette?«
»Unter Quarantäne.«
»Wer ist dort gestorben?«
»Niemand.«
»Sie lügen.«
»Tut mir leid, daß Sie das denken.«
»Wann komme ich hier raus?«
»Das weiß ich nicht.«
»Geheim?« fragte Stu verbittert.
»Nein, nur unbekannt. Sie scheinen diese Krankheit nicht zu haben. Wir wollen wissen, warum nicht. Dann ist die Sache erledigt.«
»Kann ich mich rasieren? Es juckt.«
Deitz lächelte. »Wenn Sie Denninger gestatten, mit seinen Untersuchungen fortzufahren, werde ich einen Pfleger schicken, der Sie auf der Stelle rasiert.«
»Das kann ich selbst. Seit ich fünfzehn war.«
Deitz schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich glaube nicht.«
Stu lächelte ihn trocken an. »Haben Sie Angst, ich würde mir die Kehle durchschneiden ?«
»Sagen wir einfach...«
Stu unterbrach ihn mit hartem, trockenem Husten. So schlimm, dass er sich krümmte.
Das hatte auf Deitz eine elektrisierende Wirkung. Er schoß vom Bett hoch und zur Luftschleuse, ohne daß seine Füße den Boden zu berühren schienen. Dann kramte er in der Tasche nach dem Vierkantschlüssel und rammte ihn ins Schloß.
»Nicht nötig«, sagte Stu lächelnd. »Das war nur getürkt.«
Deitz drehte sich langsam um. Jetzt hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert. Die Lippen waren wütend zusammengekniffen, die Augen stechend.
»Das war was?«
»Vorgetäuscht«, sagte Stu. Sein Lächeln wurde breiter. Deitz ging unsicher zwei Schritte auf ihn zu. Er ballte die Fäuste, öffnete sie und ballte sie wieder. »Aber warum? Warum machen Sie das?«
»Tut mir leid«, sagte Stu lächelnd. »Das ist geheim.«
»Sie beschissener Hurensohn«, sagte Deitz mit leisem Staunen.
»Gehen Sie. Gehen Sie raus und sagen Sie den anderen, daß sie mit ihren Untersuchungen fortfahren können.«
In dieser Nacht schlief er so gut wie seit seiner Einlieferung nicht mehr. Und er hatte einen äußerst lebhaften Traum. Er hatte schon immer viel geträumt - seine Frau hatte sich beschwert, daß er im Schlaf um sich schlug und murmelte -, aber so einen Traum hatte er noch nie gehabt.