»Halt ihn fest«, sagte Poke gelassen und riß noch einen Klebestreifen von der Rolle.
Schließlich packte Lloyd ihn an den Haaren und schaffte es, seinen Kopf so lange ruhig zu halten, daß Poke ihm den zweiten Streifen säuberlich über die Nase kleben konnte, wodurch ihm die Luft endgültig abgeschnitten wurde. George drehte völlig durch. Er rollte aus der Ecke, bäumte sich auf, und dann lag er da, zuckte und wand sich auf dem Boden und gab erstickte Laute von sich, die, wie Lloyd vermutete, wohl Schreie sein sollten. Armer Kerl. Es dauerte fast fünf Minuten, bis George ganz still lag. Er wälzte sich hin und her, er bäumte sich auf, er zappelte mit den Füßen. Sein Gesicht wurde so rot wie die Wände von Daddys alter Scheune. Zuletzt hob er die Beine zwanzig oder dreißig Zentimeter und ließ sie polternd auf den Boden fallen. Es erinnerte Lloyd an eine Szene, die er mal in einem Bugs-BunnyTrickfilm oder so gesehen hatte, und er kicherte und fühlte sich ein bißchen aufgeheitert. Bis jetzt war es ein eher grausamer Anblick gewesen.
Poke kniete sich neben George und fühlte seinen Puls.
»Und?« sagte Lloyd.
»Tickt nur noch seine Uhr, alter Junge«, sagte Poke. »Da wir gerade davon sprechen...« Er hob Georges Arm und sah die Uhr an. »Nee, nur 'ne Timex. Ich dachte, es wäre 'ne Casio oder so was.« Er liess Georges Arm fallen.
George hatte die Autoschlüssel in der Hosentasche. Und oben in einem Schrank fanden sie ein Skippy-Erdnußbutterglas, das zur Hälfte mit Zehncentstücken gefüllt war. Sie nahmen das Geld mit. Zwanzig Dollar und sechzig Cents in Zehncentstücken.
Georges Auto war ein asthmatischer alter Mustang mit einem popeligen Vierganggetriebe, beschissenen Stoßdämpfern und Reifen, die so glatzköpfig waren wie Telly Savalas. Sie verließen Vegas auf der US 93 und fuhren in südöstlicher Richtung nach Arizona. Gegen Mittag des nächsten Tages, vorgestern, hatten sie Phoenix auf Landstraßen umfahren. Gestern gegen neun Uhr hatten sie vor einem schäbigen alten Laden zwei Meilen hinter Sheldon auf dem Arizona Highway 75 gehalten. Sie waren in den Laden eingedrungen und hatten den Inhaber pokerisiert, einen älteren Herrn mit einem Versandhausgebiß. Sie erbeuteten dreiundsechzig Dollar und den Kleintransporter des alten Tattergreises. Heute morgen waren zwei Reifen des Kleintransporters geplatzt. Zwei Reifen gleichzeitig, und keiner von ihnen konnte Nägel auf der Straße finden, obwohl sie fast eine halbe Stunde suchten und einander dabei einen Bomber-Joint hin und her reichten. Schließlich sagte Poke, es müsse ein Zufall gewesen sein. Und Lloyd meinte, er hätte weiß Gott schon von seltsameren Dingen gehört. Und dann kam der weiße Connie des Wegs, als wären ihre Gebete erhört worden. Sie hatten vor einiger Zeit die Staatsgrenze von Arizona nach New Mexiko überquert, obwohl sie das beide nicht wußten, und damit waren sie ein Fall für das FBI geworden.
Der Fahrer des Connie hatte angehalten, sich hinausgebeugt und gesagt: »Braucht ihr Hilfe?«
»Klar doch«, hatte Poke geantwortet und den Burschen auf der Stelle pokerisiert. Erwischte ihn mit der 3.57er Mag voll zwischen die Augen. Das arme Schwein hatte wahrscheinlich gar nichts mehr mitgekriegt.
»Warum biegst du hier nicht ab?« sagte Lloyd und deutete auf eine Kreuzung vor ihnen. Er fühlte sich richtig schön high.
»Mach ich glatt«, sagte Poke fröhlich. Er verringerte die Geschwindigkeit des Connie von achtzig auf sechzig. Er zog nach links, daß die rechten Räder sich kaum vom Boden hoben, und dann lag vor ihnen ein neuer Straßenabschnitt. Route 78, nach Westen. Und so kamen sie wieder nach Arizona und wußten nicht, daß sie es je verlassen und das hinter sich hatten, was die Zeitungen eine AMOKFAHRT DURCH DREI STAATEN nannten.
Ungefähr eine Stunde später sahen sie rechts ein Schild: BURRACK 6.
»Baracke?« fragte Lloyd benommen.
»Burrack«, sagte Poke und riß das Steuer hin und her, so daß der Wagen große, anmutige Schlangenlinien fuhr. »Hüah! Hüah!«
»Willst du hier halten? Ich hab' Hunger, Mann.«
»Du hast immer Hunger.«
»Leck mich am Arsch. Wenn ich stoned bin, brauch' ich was zu kauen.«
»Du kannst ja auf meinem 25-Zentimeter-Schwanz kauen, wie war's? Hüah! Hüah!«
»Im Ernst, Poke. Laß uns anhalten.«
»Okay. Wir brauchen sowieso Geld. Wir haben erst mal genug Verfolger abgeschüttelt. Wir holen uns hier Geld und verpissen uns nach Norden. In dieser Wüstenscheiße hier komm' ich nicht klar.«
»Okay«, sagte Lloyd. Er wußte nicht, ob es am Stoff lag, aber plötzlich hatte er eine unheimliche Platter, noch schlimmer als vorher auf dem Highway. Poke hatte recht. Vor diesem Burrack anhalten und ein Ding drehen wie das bei Sheldon. Ein bißchen Geld und ein paar Straßenkarten beschaffen, diesen verdammten Connie gegen etwas eintauschen, das in die Landschaft paßte, und dann auf Nebenstraßen nach Nordosten. Bloß raus aus Arizona.
»Ich sag's dir ehrlich«, sagte Poke. »Ich bin plötzlich so nervös wie 'ne langschwänzige Katze in 'nem Zimmer voller Schaukelstühle.«
"»Ich weiß, was du meinst, Gummibärchen«, sagte Lloyd feierlich, und dann wurden beide wieder lockerer, weil sie die Bemerkung so komisch fanden.
Burrack war nicht viel mehr als eine Verbreiterung der Straße. Sie rasten durch, und auf der anderen Seite lag eine Kombination von Cafe, Laden und Tankstelle. Auf dem sandigen Parkplatz standen ein alter Ford und ein staubbedeckter Olds mit Pferdeanhänger. Als Poke den Connie auf den Platz fuhr, sah das Pferd sie an.
»Scheint genau die richtige Adresse für uns zu sein«, sagte Lloyd. Poke stimmte zu. Er griff nach hinten, nahm die 3. 57er und prüfte das Magazin. »Startklar?«
»Glaub' schon«, sagte Lloyd und nahm die Schmeisser. Sie gingen über den ausgetrockneten Boden des Parkplatzes. Die Polizei wußte seit vier Tagen, wer sie waren; sie hatten überall im Haus des Göttlichen George ihre Fingerabdrücke hinterlassen; ebenso im Laden, wo sie den alten Mann mit dem Versandhausgebiß pokerisiert hatten. Der Transporter des alten Mannes war fünfzehn Meter neben den Leichen der drei Insassen des Continental gefunden worden, und man durfte getrost annehmen, daß die Männer, die den Göttlichen George und den Ladenbesitzer getötet hatten, auch diese drei umgebracht hatten. Hätten sie anstelle des Cassettenrecorders das Radio des Connie eingeschaltet, hätten sie erfahren, daß die Polizei von Arizona und New Mexiko die größte Fahndung seit vierzig Jahren eingeleitet hatte, und das alles wegen ein paar kleinen Ganoven, die nicht ganz begriffen hatten, was sie denn groß getan haben könnten, um einen solchen Wirbel auszulösen.
Die Tankstelle hatte Selbstbedienung; der Tankwart mußte nur die Zapfsäule einschalten. Deshalb gingen sie die Stufen hoch und hinein in den Laden. Zwischen Regalen mit Konserven führten drei Gänge zum Ladentisch. Dort bezahlte ein Mann in Cowboykleidung eine Packung Zigaretten und ein halbes Dutzend Slim Jims. Im mittleren Gang versuchte eine müde aussehende Frau mit strähnigen schwarzen Haaren, sich für eine von zwei Sorten Spaghetti-Soße zu entscheiden. Der Laden roch nach abgestandenem Lakritz und Sonne und Tabak und Alter. Der Inhaber war ein sommersprossiger Mann im grauen Hemd. Er trug eine Firmenmütze mit der Aufschrift SHELL in roten Buchstaben auf weißem Grund. Er sah hoch, als die Eingangstür zuschlug, und riss die Augen auf.
Lloyd riß den Stahlbügel der Schmeisser an die Schulter und feuerte eine Salve zur Decke. Die beiden hängenden Glühbirnen platzten wie Bomben. Der Mann in Cowboykleidung drehte sich um.
»Ruhig bleiben, und es passiert nichts!« schrie Lloyd, und Poke strafte ihn auf der Stelle Lügen, indem er ein Loch durch die Frau schoß, die die Soßen betrachtet hatte. Sie flog aus den Schuhen.
»Jesses, Poke!« brüllte Lloyd. »Das war nicht unbedingt...«
»Ich hab' sie pokerisiert, alter Junge«, kreischte Poke. »Sie wird nie wieder Jerry Falwell sehen! Hüah! Hüah!«
Der Mann in Cowboykleidung drehte sich immer noch um. Er hielt die Zigaretten in der linken Hand. Das grelle Licht, das durch Fenster und Tür hereinfiel, ließ Sterne auf den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille funkeln. Am Gürtel trug er einen Revolver Kaliber 45, und während Lloyd und Poke die tote Frau anstarrten, zog er ihn ohne jede Eile. Er zielte, drückte ab, und die linke Seite von Pokes Gesicht verschwand plötzlich in einer Fontäne aus Blut und Gewebe und Zähnen.