Выбрать главу

Thrall

Drachendämmerung

Von Christie Golden

Da es ein Buch über die Heilung einer verwundeten Welt ist, möchte ich es gern einigen der Lehrer und Heiler widmen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unsere wieder gesunden zu lassen:

Jeffrey Elliott, Greg Gerritsen, Kim Harris, Peggy Jeens, Anne Ledyard, Mary Martin, Anastacia Nutt, Katharine Roske, Richard Suddath, David Tresemer, Lila Sophia Tresemer, Monty Wilburn.

1

Thrall, einst Kriegshäuptling der ebenso großen wie mächtigen Horde, war nun als Schamane nicht bedeutender als jene, die gerade neben ihm standen. Er kniff die Augen zusammen und kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben. Denn die Erde unter ihren Füßen bebte – ein armseliges kleines Stück Land, das sich aus einem wild tobenden Ozean erhob. Es zitterte und schauderte in seinem Schmerz.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich ein wahnsinnig gewordener Drachenaspekt den Weg nach Azeroth gebahnt und die Welt grundlegend verändert. Der verrückte Todesschwinge streifte wieder durch die Welt und hatte Azeroth eine klaffende Wunde zugefügt. Wer noch Hoffnung hatte, der glaubte, Azeroth heilen zu können. Doch es würde nie wieder dasselbe sein.

Im Herzen der Welt lag ein Ort namens Mahlstrom, wo lang begrabene Erde donnernd an die Oberfläche geschleudert worden war. Und dort hatten sich all diejenigen versammelt, die verzweifelt versuchten, das zerborstene Land zu heilen.

Es waren Schamanen, jeder für sich mächtig, Mitglieder des Irdenen Rings, die andere wichtige Aufgaben beiseitegeschoben hatten, um sich hier zu versammeln. Einer allein konnte nur wenig ausrichten. Doch viele, besonders die Talentiertesten und Weisesten, konnten deutlich mehr erreichen.

Es waren Dutzende, die allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen auf den schlüpfrigen Schären herumstanden und sich mühten, das Gleichgewicht auf dem sich aufwerfenden Boden zu halten. Sie waren nicht physisch miteinander verbunden, aber auf einer spirituellen Ebene. Die Schamanen hatten die Augen geschlossen und waren tief in die Vorbereitung eines Heilzaubers versunken.

Sie versuchten, die Elemente der Erde zu beruhigen. Gleichzeitig wollten sie sie ermutigen, sich selbst zu heilen. Natürlich waren es die Elemente, die verletzt waren – und nicht die Schamanen. Doch hatten die Elemente mehr Macht als die Schamanen. Wenn sich die Erde lange genug beruhigen ließ und das auch erkannte, konnte sie von ihrer eigenen riesigen Kraft zehren. Die Erde, die Steine, der Boden und die Knochen von Azeroth mussten es allerdings noch mit etwas anderem aufnehmen: Verrat. Denn der schwarze Drachenaspekt Todesschwinge, einst als Neltharion bekannt, war der Wächter der Erde gewesen. Seine Aufgabe war es gewesen, sie zu schützen und ihre Geheimnisse zu wahren. Doch das war ihm nun nicht mehr wichtig. Wie beiläufig riss er sie in seinem Wahn in Stücke. Der angerichtete Schaden und der verursachte Schmerz waren ihm egal.

Die Erde stöhnte und hob sich heftig.

„Bleibt standhaft!“, rief eine Stimme, die irgendwie selbst über das Donnern der bebenden Erde hinweg an Thralls Ohren drang. Sie übertönte auch das Krachen der wütenden Wellen, die versuchten, die Schamanen von ihren gefährlichen Standorten wegzureißen. Die Stimme gehörte Nobundo, dem ersten Zerschlagenen, der Schamane geworden war. Dieses Mal war er an der Reihe gewesen, das Ritual zu leiten. Und er hatte es meisterhaft getan.

„Öffnet euch euren Brüdern und Schwestern! Spürt sie, fühlt sie, seht den Geist des Lebens, der wie eine herrliche Flamme hell in ihnen erstrahlt!“

Aggra stand neben Thrall auf einer der größeren neu gebildeten Schären. Sie war eine Mag’har und Nachfahrin des Frostwolfklans, die Thrall in Nagrand kennen- und lieben gelernt hatte. Sie hatte braune Haut und ihr rotbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz auf dem ansonsten kahlen Schädel zurückgebunden. Sie packte Thrall mit fester Hand. Denn ihre Arbeit hier war alles andere als leicht, vielmehr eine Aufgabe, die an Körper und Geist zehrte.

Die beiden standen gefährlich nahe an der Kante der steilen Klippen. Der Wind peitschte den Ozean unter ihnen auf und sandte Wellen, die hohl krachend gegen die rauen Felsen donnerten. Alle mussten ruhig sein, damit die Heilung beginnen konnte, doch es war eine gewagte Aktion.

Thrall spürte, wie seine Muskeln sich spannten, während sie versuchten, ihn an Ort und Stelle zu halten. Ständig musste er seinen Stand korrigieren, um sich aufrecht auf der wild bebenden Erde halten zu können und nicht kopfüber in den hungrigen Ozean oder zwischen die scharfkantigen Felsen zu stürzen. Und dabei musste er immer noch das Zentrum des inneren Friedens finden, das es ihm erlaubte, sich auf einer tiefgründigen Ebene mit den anderen Schamanen zu verbinden. Wenn der Schamane erfahren und richtig vorbereitet war, konnte dann der Geist des Lebens eindringen. Nur so erlangte er die Energie, die es einem Schamanen ermöglichte, mit den Elementen zu interagieren und sich mit den anderen Schamanen zu vereinen, die dasselbe taten.

Er konnte spüren, wie die Schamanen ihn zu erreichen versuchten. Ihre Essenz war eine Oase der Ruhe im Chaos. Er kämpfte darum, tief in seinen inneren Kern vorzudringen. Mit Mühe bekam Thrall seine Atmung unter Kontrolle, wobei er es vermied, schnell und flach zu atmen. Denn das würde seinen Körper nur dazu zwingen, Sorge und Angst zu verspüren. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, die feuchte, salzige Luft tief in seine Lungen ein- und auszuatmen.

Ein durch die Nase... aus durch den Mund... von den Fußsohlen in die Erde strömend, bis zum Herzen reichend. Sich dicht an Aggra schmiegen, sie aber nicht fest umklammern. Schließe die Augen, öffne den inneren Geist. Das Zentrum finden – und im Zentrum den Frieden. Den dort gefundenen Frieden nehmen und ihn mit den anderen teilen.

Thrall spürte, wie seine Hände schwitzten. Er wankte und einen Augenblick lang rutschte er. Er fing sich jedoch schnell und versuchte, wieder tief zu atmen, um das Ritual zu beginnen. Doch es war, als hätte sein Körper einen eigenen Willen und würde nicht auf Thralls Befehle reagieren. Er wollte kämpfen, etwas tun, nicht einfach herumstehen und atmen und ruhig sein. Er...

Plötzlich blitzte ein Licht auf, das so hell war, dass der Orc es durch die geschlossenen Lider sehen konnte. Ein schreckliches Knacken dröhnte in seinen Ohren, als der Blitz viel zu nah einschlug. Ein tiefes Donnern ertönte und die Erde bebte noch heftiger. Thrall öffnete die Augen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein großer Brocken Erde – verbrannt von dem Blitzeinschlag – nur wenige Meter entfernt unter den Füßen eines Goblins und eines Zwergs zerbrach. Sie schrien überrascht auf, klammerten sich aneinander und packten an jeder Seite einen Schamanen. Schließlich baumelten sie über den donnernden Wellen und den zerklüfteten Felsen.

„Haltet aus!“, rief der Taure, der den Goblin mit der Hand fest umklammerte. Er stemmte die Hufe in den Boden und zog. Der Draenei, der den Zwerg hielt, tat es ihm gleich. Keuchend brachten sie die zwei Schamanen in Sicherheit.

„Zieht euch zurück, zieht euch zurück!“, schrie Nobundo. „Zu den Unterkünften, schnell!“

Die versammelten Schamanen brauchten keine weitere Aufforderung, als eine nahe gelegene Schäre zerbarst. Orcs und Tauren, Trolle und Goblins, Zwerge und Draenei, sie alle liefen zu ihren Reittieren, kletterten auf die zitternden Tiere und trieben sie zurück zu den Unterkünften, die auf einer der größeren Schären lagen. Der Himmel brach auf und ließ dicke Regentropfen auf die Haut der Schamanen prasseln. Thrall wartete gerade lang genug, um sicher zu sein, dass Aggra auf ihr geflügeltes Reittier gestiegen war, dann drängte er seinen eigenen Wyvern himmelwärts.

Die Unterkünfte waren kaum mehr als behelfsmäßige Hütten, die so weit wie möglich im Landesinnern lagen und von Schutzzaubern gesichert wurden. Jeder einzelne Schamane und jedes Paar hatte seine eigene Behausung. Die Hütten standen im Kreis um einen größeren rituellen Bereich herum. Die Zauber schützten die Schamanen vor den kleineren Manifestationen der wütenden Elemente wie Blitzen, obwohl sich die Erde immer noch unter ihnen auftun konnte. Doch diese Bedrohung bestand immer, ganz egal, wo die Schamanen sich aufhielten.