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„Und so kommt unsere lange Reise wenn schon nicht zu ihrem Ende, so doch zumindest an den Ort, wo wir uns ausruhen, unsere Kräfte sammeln und stark werden wollen. Der Wyrmruhtempel wurde einst als Symbol der uneinnehmbaren Macht der vereinigten Drachenschwärme gesehen. Es heißt, er wurde von den Titanen selbst errichtet, und die Drachen betrachteten ihn als unverletzlich und heilig. Heute haben wir erlebt, wie sie ihn aufgegeben haben – darunter zwei Aspekte. Jetzt ist er unsere Heimat, solange wir das wollen. Dieser uralte Ort der Macht muss fallen – wie alles andere auch!“

Jubel brandete aus Hunderten Kehlen auf. Der Vater des Zwielichts hob die Hände und nahm die Welle der Verehrung entgegen, die zu ihm von der Menge hochschlug.

„Das Ende der Dinge ist stets mit uns, selbst im Moment unseres Triumphes. Nun lasst uns in Besitz nehmen, was uns zugefallen ist, damit es unserer Sache dienen kann.“

Einer der großen Zwielichtdrachen, der gehorsam geschwebt war, setzte zur Landung an. Wie ein braves Haustier postierte er sich vor ihm und presste den lilafarbenen Bauch auf den kalten Stein, damit er leichter hinaufklettern konnte. Der Vater des Zwielichts trat vor und die Kette, die das Mädchen fesselte, straffte sich. Mild überrascht drehte er sich um.

Das Mädchen bewegte sich nicht, betrachtete den Drachen mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid.

„Nun, nun, meine Teure“, sagte er und seine Worte klangen spöttisch, „du brauchst nicht zu zögern.“ Der Vater des Zwielichts grinste unter der Kapuze. „Obwohl das vermutlich kaum die Heimkehr ist, die du dir erwartet hast, hm?“

Kirygosa, Tochter von Malygos, Schwester von Arygos, blickte von dem Zwielichtdrachen zum Vater des Zwielichts. Ihre blauen Augen verengten sich vor Verachtung und sie bewahrte ihr eisiges Schweigen.

Als sie zum Wyrmruhtempel kamen, bemerkte Kirygosa, dass etwas anderes sich ebenfalls näherte. Ein riesiger Schlitten, der mehrere Dutzend Menschen aufnehmen konnte, glitt unter ihr durch die Landschaft. Die weißen Schneewehenelche, die ihn zogen, strengten sich sichtbar an. Unter Kirygosas Blicken brach einer zusammen. Der Schlitten kam zum Stehen. Vier Akolythen des Schattenhammers eilten herbei. Sie schnallten die armselige Kreatur los und ersetzten sie durch einen anderen Elch. Das erschöpfte Tier taumelte mehr, als dass es ging, während sie an den Zügeln zogen und es von seinen Artgenossen wegführten. Als es erneut im Schnee zusammenbrach und seinen Kopf flehentlich hob, machte einer der Akolythen eine Handbewegung. Mehrere Orcs stiegen von ihren großen schwarzen Wölfen. Die Tiere warteten gehorsam, die Augen auf ihre Herren gerichtet, bis das Kommando gegeben wurde. Dann sprangen die Wölfe gleichzeitig los und fielen mit erschreckender Geschwindigkeit über den hilflosen Elch her. Weicher weißer Schnee wurde aufgewirbelt, als der Elch sich wehrte. Plötzlich färbte er sich rot und die jämmerlichen Schreie des Tieres erstickten unter wildem Knurren.

Kirygosa sah weg. Zweifellos war dieses Schicksal gnädiger, als den Elch einfach erfrieren zu lassen. Und die Wölfe brauchten Nahrung. Sie waren nicht schuld daran und ganz normale Tiere. Anders als ihre Herren.

Sie konzentrierte sich wieder auf den Schlitten, der von einer Plane bedeckt wurde. Darunter lag eine große, plumpe Gestalt. Kirygosa sah sie zum ersten Mal, doch etwas daran war ihr vertraut...

„Neugierig, meine Teure?“, fragte der Vater des Zwielichts und hob seine Stimme, um über dem Schlagen der Drachenflügel gehört zu werden. „Beizeiten wirst du es erfahren, deshalb sind wir ja hier. Vielleicht erinnerst du dich, was ich dir gesagt habe: Der weise Mann hat immer noch einen Plan.“

Der Tonfall in seiner Stimme ließ Kirygosa erschaudern. Der Zwielichtdrache trug sie währenddessen in Richtung Wyrmruhtempel. Sie sah über die Schulter zurück zu dem Schlitten, der in der Ferne unter ihr verschwand. Wenn seine Fracht das war, was der Schattenhammer als „noch einen Plan“ bezeichnete, wollte sie gar nicht wissen, was es war.

Der Vater des Zwielichts glitt vom Rücken des Drachen auf den mit Ornamenten verzierten Boden des Wyrmruhtempels, der an einigen Stellen mit rotem Drachenblut bedeckt war. Darin verteilt lagen die kleinen glitzernden Scherben, die von der Kugel der Einheit übrig geblieben waren.

Kirygosa folgte in völliger Stille.

Er übergab Kirygosas Kette einem Akolythen. Sie alle wussten, wie man die Drachenfrau kontrollierte. Ein einzelner Zug, auf eine bestimmte Art, mit einer gewissen Festigkeit, verursachte schreckliche Schmerzen. Zudem verhinderte die Kette, dass sie ihre eigentliche Gestalt annehmen konnte – und die war erheblich schrecklicher als die einer normalen Menschenfrau.

„Stell sicher, dass sie ruhig bleibt, doch verletze sie nicht nur zum Spaß“, fügte er hinzu.

Der Troll blickte enttäuscht. Wenn Kirygosa zu sehr gefoltert wurde, würde sie für den Schmerz unempfindlich werden, und das durfte nicht passieren. Der Troll führte Kirygosa zu einer Säule und drückte sie auf den Boden, dann blieb er stehen und erwartete weitere Befehle vom Vater.

Der Vater des Zwielichts holte eine kleine Kugel unter seinem Umhang hervor und legte sie fast ehrfürchtig auf den blutigen Boden. Sofort begann sie zu pulsieren und dunkel zu leuchten, als ob ein kochender schwarzer Nebel darin gefangen wäre. Plötzlich, als wäre die Kugel zu klein, um so etwas Mächtiges zu beherbergen, platzte sie auf und Nebel stieg auf. Eigentlich war es eher Rauch, dick und schwer, mit orangeroter Asche versehen. Er bildete eine Wolke – schwärzer als die Nacht und so viel unnatürlicher –, die wütend wirbelte, bis sie letztlich Gestalt und Form annahm. Unheilvolle orangegelbe Augen, die wie flüssiges Feuer wirkten, sahen daraus hervor und spießten den Vater des Zwielichts mit ihren Blicken förmlich auf. Ein riesiges Gebiss, aus schwarzem Metall gefertigt, öffnete sich. Das verrückte, verschlagene Lächeln ließ Kirygosa zurückzucken.

Todesschwinge!

Der Vater des Zwielichts kniete vor der Kugel. „Mein Meister“, sagte er unterwürfig.

„Hattest du Erfolg?“, fragte Todesschwinge ohne Einleitung. Die tiefe Stimme schien den Tempel zu erschüttern. Sie durchdrang den Körper, als sei Todesschwinge tatsächlich anwesend.

„Auf... eine gewisse Art“, sagte der Vater des Zwielichts, verzweifelt bemüht, sich das leichte Zittern in der Stimme nicht anmerken zu lassen. „Wir haben die Drachen vom Wyrmruhtempel vertrieben, auch Alexstrasza und Ysera. Ich habe ihn im Namen des Schattenhammerkults übernommen. Er ist nun Eure Feste, Großes Wesen.“

Die großen, irren Augen zogen sich zusammen. „Das war nicht so geplant“, zischte Todesschwinge. „Geplant war etwas anderes. Und du hast versagt. Du solltest die Drachen vernichten und nicht einfach ihren Tempel einnehmen!“

„Das – das stimmt, mein Lord. Dem Plan ist... etwas in die Quere gekommen, was wir nicht voraussehen konnten.“ Schnell erklärte er alles. Todesschwinge hörte schweigend zu, was schlimmer war, als wenn er wütend gebrüllt hätte. Seine Gesichtszüge blieben klar, obwohl der Rauch, der sie bildete, sich ohne Unterlass bewegte. Einmal konnte man das Flattern eines zerfetzten, von Feuer beleuchteten Flügels hören. Als der Vater des Zwielichts geendet hatte, gab es eine lange, unangenehme Pause. Todesschwinge neigte den Kopf, offensichtlich dachte er nach.

„Das ändert nichts. Du hast versagt.“

Der Vater des Zwielichts begann trotz der Kälte zu schwitzen. „Es ist ein Rückschlag, Großes Wesen, nicht mehr. Kein Versagen. Und es könnte positive Auswirkungen haben. Es hat die Drachen vertrieben und die Lebensbinderin – Eure größte Feindin – scheint von den Ereignissen erschüttert zu sein.“

„Das ist bedeutungslos“, donnerte Todesschwinge. „Du musst einen anderen Weg finden, um das Ziel, das ich dir gesteckt habe, zu erreichen. Oder ich ersetze dich durch einen General, der nicht an wichtigen Entscheidungen scheitert.“