„Ich... verstehe, Großes Wesen.“ Die Augen des Vaters des Zwielichts flackerten zu Kirygosa, verengten sich nachdenklich und kehrten dann zu Todesschwinge zurück. „Überlasst das mir. Die Dinge sind bereits in Bewegung. Es wird schon bald beginnen.“
„Glaube ja nicht, du könntest mich hintergehen, du niedere Kreatur“, knurrte Todesschwinge.
Unter seinem Umhang spürte der Vater des Zwielichts, wie er bleich wurde. „Das würde ich nie tun, Großes Wesen. Ich diene Euch gern.“
„Du dienst mir, so wie ich es dir sage, und nicht einen Herzschlag eher. Ist das klar?“
Der Vater des Zwielichts konnte nur noch nicken. Doch obwohl Todesschwinge wütend war, dass er unterbrochen wurde, machte er eine lange Pause, bevor er weitersprach.
„Es könnte sein, dass ein neues Hindernis aufgetaucht ist. Ich hatte erwartet, dass die Drachenschwärme nicht in der Lage sind, gleichzeitig gegen dich, den Schattenhammerkult und den, dem wir helfen wollen, anzukommen. Ich hatte einen Sieg erwartet. Du hast gesagt, Ysera ist geflohen. Es wäre besser gewesen, das wäre nicht passiert.“
„Mylord?“ Der Vater des Zwielichts konnte nicht anders. Er musste schwer schlucken.
„Sie lebt, wegen dir“, zischte Todesschwinge. „Und weil sie lebt, hatte sie die Gelegenheit, mit demjenigen zu reden, der bestimmt ist, mir entgegenzutreten. Sein Eingreifen könnte das Zünglein an der Waage sein.“
Die Gedanken des Vaters des Zwielichts rasten angesichts der Neuigkeiten und ihrer Auswirkungen. Was hatte die erwachte Träumerin getan? Wen oder welche mächtige Macht hatte sie angerufen? Todesschwinge war zutiefst besorgt – und das erschreckte den Vater des Zwielichts. Seine Kehle war trocken, doch er presste heraus: „Mit welcher Art Wesen hat sie sich verbündet?“
„Einer niederen Kreatur“, sagte Todesschwinge und spie die Worte beinahe aus.
Der Vater des Zwielichts war sich nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte. „Was? Aber sicherlich...“
„Ein Orc!“
Beide schwiegen jetzt. Diese beiden Worte sagten dem Vater des Zwielichts alles, was er wissen musste. Vor langer Zeit war Todesschwinge gewarnt worden, dass ein Orc – scheinbar der niedrigste der Niederen – sich erheben würde, um ihn herauszufordern, und ihn möglicherweise besiegen konnte.
Niemand, schon gar nicht der Vater des Zwielichts, hatte viel darauf gegeben. Er versuchte es mit einem Achselzucken abzutun. „Mylord, Prophezeiungen sind stets kryptisch. Ihr seid mächtig, Todesschwinge. Ihr habt die Welt zerfetzt. Wir kämpfen gegen Drachen – und sogar gegen die Aspekte! Mächtige Wesen, keine staubfressenden Orcs. Selbst ein Mächtiger ist kein Gegner für Euch.“
„Dieser ist anders. Das war er schon immer. Er hat bemerkenswerte Erfahrungen, auf die er zurückgreifen kann. Er denkt nicht wie Drachen... und genau deshalb könnte er sie retten.“
Der Vater des Zwielichts war verwirrt, doch er zeigte es nicht. „Sagt mir, wie dieser kurzlebige Feind heißt, mein Lord. Sagt mir, dass ich ihn vernichten soll.“
„Du musst mehr tun, als ihn zu vernichten. Du musst ihn, der Thrall genannt wird, völlig auflösen – oder dieser Orc wird die Auflösung von allem sein. Allem!“
„Es wird geschehen, das schwöre ich.“
„Ja“, stimmte Todesschwinge zu. „So soll es sein. Die Zeit wird dir knapp, Vater.“ Er zeigte die makabre Imitation eines Drachengrinsens. Sein Unterkiefer klappte herab und enthüllte raue, metallische Zähne. „Aber verzweifle nicht. Ich habe vielleicht Hilfe für dich. Ich bin alt, doch meine Geduld hat Grenzen. Melde dich wieder, wenn du bessere Nachrichten hast.“
Der Rauch, der Todesschwinges Bild geformt hatte, verlor seine Festigkeit und wurde wieder zu wirbelndem schwarzem Nebel. Langsam sammelte er sich am Boden, dann zog er sich zu einer schwarzen Sphäre zusammen. Einen Augenblick später war selbst diese Dunkelheit verschwunden. Dort war jetzt wieder eine kleine, kristallene Kugel. Stirnrunzelnd steckte der Vater des Zwielichts sie ein und stand auf.
„Du hast gedacht, es wäre so leicht“, erklang eine klare weibliche Stimme. „Du und dein großer, überkomplizierter Plan. Und wie dein Meister sagte, läuft dir jetzt die Zeit davon, um Thrall auszuschalten. Die Ströme sind in Bewegung, Vater des Zwielichts, und dein Bart ist grau. Du betrügst dich selbst. Du dienst ihm nicht mehr lange. Du wirst nicht gewinnen.“
Er wandte sich an die versklavte Drachenfrau und ging auf sie zu. Sie blickte herausfordernd zu ihm auf, während er sie einen langen Moment ansah.
„Närrischer kleiner Wyrm“, sagte er schließlich. „Du kennst nur einen kleinen Teil meiner Pläne. Thrall ist ein Floh, der schon bald zerquetscht wird. Komm“, sagte er und nahm die Kette. „Ich werde dir etwas zeigen und dann sehen wir ja, ob ich mich selbst betrüge... oder ob du diejenige bist, die verrückt wird.“
Er führte sie zum Rand der Plattform und wies nach unten.
Der mysteriöse Schlitten erreichte den Fuß des Wyrmruhtempels. Nachdem sie nicht mehr zum Ziehen des Schlittens benötigt wurden, waren die Schneewehenelche allesamt den Wölfen überlassen worden. Die Kultisten blickten auf und erwarteten das Signal von ihrem verehrten Vater. Er hob die Hand und auf dieses Zeichen hin zogen die dunkel gekleideten Kultisten die Plane weg, die verborgen hatte, was sich auf dem Wagen befand.
Kirygosa keuchte, ihre Hand flog vor Schreck zu ihrem Mund.
Ausgestreckt auf dem Wagen lag ein Drache. Sein Körper war riesig, noch weit größer als der Drachenaspekt. Und er war missgebildet. Seine stumpfen Schuppen waren von einem hässlichen Lila auf bleicher Haut. Und das Schrecklichste war, dass er nicht nur einen Kopf hatte. Er hatte fünf. Selbst im schwachen Licht konnte sie mit ihren menschlichen Augen erkennen, dass jeder Kopf eine andere Farbe hatte – rot, schwarz, bronzen, grün und blau.
Kirygosa wusste genau, was das war.
„Ein chromatischer Drache“, sagte sie mit gepresster Stimme.
Chromatische Drachen waren eine Abscheulichkeit, eine Verletzung alles Natürlichen. Die Monstrositäten waren von Todesschwinges Sohn geschaffen worden, Nefarian. Ein mächtiger schwarzer Drache, der fast so böse war wie sein Vater. Nefarian hatte versucht, einen neuen Drachenschwarm zu erschaffen, der die Kräfte aller fünf Schwärme vereinigte. Ein Drachenschwarm, der vielleicht alle anderen vernichten konnte. Das Experiment war schiefgegangen. Viele Welpen waren vor dem Schlüpfen gestorben. Die meisten, die lange genug gelebt hatten, waren unberechenbar und missgestaltet gewesen. Nur wenige waren erwachsen geworden, künstlich gealtert durch einen merkwürdigen magischen Prozess.
Doch dieser war definitiv ein erwachsener Drache. Aber er regte sich nicht. „Ich habe gedacht, sie würden nur selten erwachsen“, sagte Kirygosa. „Wie auch immer – er ist tot. Warum sollte ich einen Leichnam fürchten?“
„Oh, Chromatus ist tot“, sagte der Vater des Zwielichts leichthin. „Technisch gesehen. Für den Augenblick. Doch er wird leben. Er war Nefarians letztes Experiment. Es hat viele Fehlschläge gegeben, wie du sicherlich weißt. Aber daraus lernt man schließlich, oder nicht? Durch Versuch und Irrtum.“
Er zeigte ein onkelhaftes Lachen, als sie ihn weiter angewidert anstarrte.
„Chromatus stellt beispielhaft die Spitze all dessen dar, was Nefarian durch verschiedene Experimente herausgefunden hat“, fuhr der Vater des Zwielichts fort. „Nefarian wurde tragischerweise getötet, bevor er Chromatus den Funken des Lebens einhauchen konnte.“
„Eine bessere Tat wurde nie begangen, als Nefarian das Monster zu töten“, murmelte Kirygosa.
Der Vater des Zwielichts warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Du wärst vielleicht überrascht, zu erfahren, dass genau wie die Kreatur auf dem Schlitten auch ihr Schöpfer bereits das Leben wieder gekostet hat. Ja – Nefarian ist wieder da... auf eine gewisse Art und Weise. Er ist untot, doch recht aktiv. Für Chromatus... habe ich andere Pläne.“