Desharin lachte tief und warm. „Das werde ich, Thrall, obwohl Ihr, wenn es um die aktuellere Geschichte geht, bedenken müsst, dass ich im Smaragdgrünen Traum war und gerade erst erwacht bin. Doch ich werde Euch alles berichten, was ich weiß. Eins ist auf jeden Fall klar: Aspekte mischen sich nur äußerst selten in die Angelegenheiten der kurzlebigen Völker ein. Und der Rest meiner Art? Viele sind fasziniert von den ‚niederen Völkern‘, wie sie sie arroganterweise nennen. Wir nehmen manchmal aus Spaß ihre Gestalt an.“
„So wie die von Kaldorei.“
„Genau“, stimmte Desharin zu. „Obwohl ich jede Gestalt annehmen kann, die ich will. Auch wenn wir Individuen sind und jeder von uns ein bevorzugtes Erscheinungsbild hat, werdet Ihr bei jedem Schwarm Vorlieben für eine bestimmte Erscheinungsform finden. Zum Beispiel neigen wir grünen Drachen dazu, uns als Kaldorei zu geben, weil eine Beziehung mit dem großen Druiden Malfurion Sturmgrimm besteht, der so lange den Traum mit uns geteilt hat.“
Thrall nickte. Das klang logisch.
„Ich habe beobachtet, dass die roten Drachen gern Teil der Sin’dorei sind und die blauen sich oft für eine menschliche Gestalt entscheiden. Die bronzenen Drachen, deren Aufgabe notwendigerweise eine Reihe von Formen erfordert, scheinen gern als Gnome Gestalt anzunehmen.“
Thrall lachte. „Vielleicht genießen sie es, klein zu sein und harmlos zu wirken.“
„Vielleicht könnt Ihr sie ja fragen.“
„Ich... nein, das glaube ich nicht.“
„Ihr seid weise.“
„Ich habe ein paar Dinge gelernt“, sagte Thrall. „Hat einer von Euch jemals...“ Wie sollte er es ausdrücken? Er zuckte mit den Achseln und sagte es geradeheraus: „... versucht, eine Positionen der Macht unter den kurzlebigen Völkern einzunehmen?“
„Generell nicht, obwohl Todesschwinge es probiert hat und seine Tochter Onyxia gerade damit Erfolg hatte“, knurrte Desharin. „Und Krasus ist... war... ein mächtiges Mitglied der Kirin Tor.“
„War?“
„Er hat sein Ende gefunden.“ Das war alles, was Desharin dazu sagte, und er wurde still. Es handelte sich eindeutig um eine delikate Angelegenheit.
Thrall wechselte das Thema. „Ich habe gehört, es soll noch andere Drachenarten geben als die fünf Schwärme.“
„Das stimmt – sie sind unser aller Feinde, mit Ausnahme der Schwarzen, denen sie dienen“, sagte Desharin. „Todesschwinges Sohn Nefarian versuchte, eine neue Art zu erschaffen, die er chromatische Drachen nannte. Mithilfe magischer Experimente wollte er die Fähigkeiten aller anderen Drachenschwärme kombinieren. Die daraus entstandenen Welpen waren oftmals missgestaltet und lebten glücklicherweise nie lange. Keiner davon existiert mehr. Die Zwielichtdrachen haben eine ähnliche Herkunft, allerdings benutzte ihre Schöpferin Sinestra einige alte Drachenartefakte und die Kraft der Netherdrachen. Ihre Welpen waren robuster und lebten länger... und können feinstofflich werden.“
„Ein herausfordernder Gegner“, sagte Thrall.
„Allerdings“, stimmte Desharin zu. „Besonders, wenn sie vom schwarzen Drachenschwarm kontrolliert werden.“
Thrall beobachtete, wie das Grün von Feralas in die weiten Wasser überging, die nun die Tausend Nadeln bildeten. Thrall schüttelte den Kopf, blickte hinunter zu den Dutzenden kleinen Inseln, die einst die Spitzen der Felsformationen gewesen waren, die den Tausend Nadeln ihren Namen gegeben hatten. Die Welt hatte sich so sehr verändert. Das war ihm natürlich bekannt. Er hatte alle Berichte gehört. Doch als er jetzt das Desaster mit eigenen Augen aus der Luft sah, fragte er sich, ob die anderen Schamanen vom Irdenen Ring auch mitbekommen hatten, was er gerade sah. Und wenn nicht, ob sie es vielleicht besser sollten.
Dann flogen Thrall und Desharin schnell über die Wüste von Tanaris und Thrall konnte die kantigen Spitzen der scharfen Felsen hervorstechen sehen. Die Landschaft wirkte wie verfallene Ruinen mit mehreren merkwürdigen Gebäuden darin. Dort stand ein eckiger Turm, da ein geborstenes kuppelförmiges Gebäude, das wie eine typische orcische Hütte wirkte und... war das ein zerlumptes Segel eines Schiffs? Von oben konnte Thrall zwei Bronzedrachen erkennen, die einander umkreisten.
„Dieser Bereich“, sagte Desharin ernst, „ist der Vorhof zu den Höhlen der Zeit. Ich werde landen und zu Fuß hineingehen. Sie werden wissen wollen, warum wir gekommen sind.“
„Dessen bin ich mir sicher“, sagte Thrall.
Desharin landete, behielt aber seine Drachengestalt. Thrall wollte von ihm herunterklettern, aber Desharin sagte: „Bleibt, wo Ihr seid, mein Freund Thrall. Es gibt keinen Grund, Eure kurzen Beine mehr als nötig zu ermüden.“ Desharin wanderte durch den weichen Sand und hielt auf den Bogen eines kuppelförmigen Gebäudes zu, das halb in den Fels hineingebaut schien. Fast augenblicklich kam einer der Drachen zu ihnen herabgeflogen.
„Das ist nicht dein Reich, grüner Drache“, erklärte der bronzefarbene Artgenosse mit tiefer, wütender Stimme. „Geh, und zwar schnell. Du hast hier nichts verloren.“
„Mein bronzener Bruder“, erwiderte Desharin mit tiefem Respekt. „Ich bin hier auf Anweisung meines Aspekts.“
Die großen Augen verengten sich und der bronzene Drache blickte Thrall an, der auf Desharins Rücken saß. Er sah ein wenig überrascht aus, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Desharin zu.
„Du sagst, du bist im Auftrag von Lady Ysera hier“, sagte er, seine Stimme klang nun weniger einschüchternd. „Ich bin Chronalis und ich bin der Torhüter der Höhlen der Zeit. Sag mir, warum du gekommen bist.“
„Ich bin Desharin und ich bin hier, um diesem Orc zu helfen. Das ist Thrall, einst Kriegshäuptling der Horde, jetzt Mitglied des Irdenen Rings. Ysera die Erwachte glaubt, dass er Nozdormu suchen und finden muss.“
Der bronzene Drache lachte. „Oh, ich habe von Thrall gehört“, antwortete er, dann wandte er sich direkt an den Orc. „Und nach allem, was ich über Euch weiß, seid Ihr für ein so kurzlebiges Wesen nicht gerade unbedeutend. Doch ich glaube nicht, dass ausgerechnet Ihr Nozdormu finden könnt, wenn sein eigener Schwarm es nicht vermag.“
Als Kriegshäuptling der Horde war Thrall nicht besonders überrascht, dass er dem bronzenen Drachenschwarm bekannt war. Was ihn mehr erschreckte, war das Verschwinden von Nozdormu.
„Vielleicht kann der Orc etwas, was der Rest von uns nicht kann?“, gab Desharin freundlich zu bedenken.
„Sie ist zu Euch gekommen? Ysera die Erwachte?“, fragte Chronalis Thrall neugierig.
Thrall nickte und berichtete von seinem Treffen mit Ysera. Er versuchte nicht, sich selbst besser darzustellen, als er war. Und er gestand ein, die Aufgabe anfangs unterschätzt zu haben. Schließlich erklärte er, dass er nun verstand, wie wichtig sie war, nachdem er erfahren hatte, dass der Hain die Heimat der Urtume war. Er berichtete Chronalis auch von der Antwort des Feuerelementars auf seine Bitte, die Bäume nicht mehr zu schädigen.
Chronalis nickte und hörte gebannt zu.
„Ich weiß nicht, wie ich Nozdormu finden kann, wo andere doch versagt haben“, sagte Thrall geradeheraus. „Doch ich gebe Euch mein Wort, ich werde mein Bestes geben.“
Chronalis dachte nach. „Wir haben schon andere in die Höhlen gelassen, um uns zu helfen, die Zeitwege rein zu halten“, sagte er nachdenklich. „Obwohl mich die darin liegende Ironie schon amüsiert. Wenn du ihn begleiten willst, Desharin, dann dürft ihr mir beide folgen.“
„Ironie?“, fragte Thrall, als die beiden großen Drachen den sandigen Weg entlanggingen, der zuerst in eins der Gebäude zu führen schien. Doch schnell stellte es sich als Herz des Berges heraus.
„In der Tat“, sagte Chronalis und blickte ihn über seine gefalteten Flügel hinweg an. „Wie ich bereits erwähnte, erlauben wir manchmal bestimmten Sterblichen, uns dabei zu helfen, die wahren Zeitwege wiederherzustellen. Die Zeitwege stehen... derzeit unter dem Angriff einer mysteriösen Gruppe namens ewiger Drachenschwarm. Der bronzene Drachenschwarm und vor allem der Zeitlose Nozdormu sollen die Zeitwege in dem Zustand bewahren, wie sie ursprünglich waren. Wenn sie beschädigt oder verändert werden, würde die Welt, wie wir sie kennen, aufhören zu existieren. Aus uns unbekannten Gründen hat der ewige Drachenschwarm verschiedene Zeitwege infiziert und versucht, sie zu verändern. Und Eure Flucht von Durnholde, Thrall, ist eins der Ereignisse, das sie ändern wollten.“