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Seine Augen weiteten sich leicht und er war plötzlich sehr froh, dass er den Schicksalshammer außer Sichtweite verstaut hatte. Er erkannte das Banner, das einer von ihnen trug. Eine schwarze Bergsilhouette auf rotem Untergrund. Sie gehörten zum Schwarzfelsklan. Das bedeutete eins von zwei Dingen, abhängig davon, zu welcher Zeit er sich in der Weltgeschichte befand. Für die meisten Mitglieder des Schwarzfelsklans empfand Thrall keinerlei Respekt. Er dachte an Schwarzfaust, grausam und herrschsüchtig, und seine Söhne Rend und Maim, die im Schwarzfelsgebirge lebten.

Doch es gab einen Schwarzfels, der nach Thralls Meinung den Klan wieder legitimiert hatte. Ein Orc namens Orgrim Schicksalshammer. Thralls Herz hob sich bei dem Gedanken, dass er sich womöglich in einer Zeit befand, als sein Mentor und Freund noch lebte. Der Orc, der mit ihm einen Kampf begonnen hatte, als einfacher Reisender verkleidet. Der sich ihm mit guter orcischer Wut zum Kampf gestellt hatte... und der froh gewesen war, dass er von Thrall besiegt worden war. Der Orc, der ihm orcische Schlachttaktiken beigebracht und mit seinem letzten Atem Thrall zum Kriegshäuptling der Horde gemacht hatte. Schließlich hatte er dem jüngeren Orc seine berühmte Rüstung... und den Schicksalshammer überlassen.

Orgrim. Thrall war plötzlich von dem Verlangen erfüllt, den mächtigen Orc zu sehen – seinen Freund. Und das war hier möglich... jetzt.

Der näher kommende Orc zog eine Axt. „Wer bist du?“, wollte er wissen.

„Th-Thra’kash“, sagte Thrall schnell. Er konnte sich nicht als Schamane vorstellen, nicht in dieser Ära. Wie konnte er... „Ein Hexenmeister.“

Die Wache musterte ihn. „Mit einem interessanten Kleidergeschmack. Wo sind deine Totenschädel und die geschmückten Gewänder?“

Thrall richtete sich zu voller Größe auf und machte einen bedrohlichen Schritt auf die Wache zu. „Der Grund, um in den Schatten zu agieren, ist unwichtig“, sagte er. „Vertrau mir. Nur die Unsicheren brauchen schwarze Kleidung und Knochen, um zu beweisen, wie gefährlich sie sind. Der Rest von uns weiß, was er kann, und muss nicht damit prahlen.“

Die Wache trat einen Schritt zurück und sah sich dann gründlich um. „Sollst du uns... bei der Mission heute Abend helfen?“

Seine Stimme besaß eine Schärfe, die Thrall nicht gefiel. Doch er brauchte etwas, um das Misstrauen des Orc schnell zu zerstreuen. Also nickte er und antwortete: „Ja, natürlich. Warum sonst wäre ich hier?“

„Merkwürdig, einen Hexenmeister zu schicken“, sagte die Wache und ihre Augen verengten sich für einen Moment. Thrall hielt dem prüfenden Blick stand und schließlich zuckte die Wache mit den Schultern. „Nun gut. Ich bin nicht hier, um Fragen zu stellen, ich soll nur Befehle befolgen. Ich heiße Grukar. Ich muss mich um einige Dinge kümmern, bevor es Zeit ist. Komm mit ans Feuer beim Zelt. Die Nacht ist kalt.“

Thrall nickte. „Vielen Dank, Grukar.“

Thrall folgte Grukar und der andere Orc führte ihn tiefer in die Hügellande. Bald tauchte ein kleines Zelt in Rot und Schwarz vor ihnen auf. Die Eingangsklappe war heruntergeschlagen und zwei Orcs standen links und rechts davon Wache. Sie blickten Thrall neugierig an, doch er kam ganz eindeutig mit Grukar und bald schon verloren sie das Interesse an ihm.

„Warte hier auf mich“, sagte Grukar leise. „Es wird nicht lange dauern.“

Thrall nickte und ging zum Lagerfeuer, das ein paar Meter entfernt prasselte. Mehrere Wachen waren hier versammelt und hielten ihre Hände über die Flammen. Thrall tat es ihnen gleich und versuchte, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen. Und dann hörte er Stimmen. Oder eher nur eine einzige Stimme.

Thrall konnte nicht alle Worte verstehen, doch jemand sprach über Gul’dan. Thralls Augen verengten sich, während er zuhörte. Gul’dan hatte die Orcs verraten. Er hatte sich mit Dämonen verbündet, um seine eigene Macht zu stärken, und den Schattenrat gebildet, um die Klans zu unterwandern. Am schlimmsten war gewesen, dass er die höchstrangigen Orcs dazu überredet hatte, Dämonenblut zu trinken. Es war dieser Makel, der sie so lange verfolgt hatte. Selbst bei denjenigen, die nicht einen unlöschbaren Durst aufs Abschlachten bekommen hatten, war die Haut grün geworden, bis Thralls Freund Grom Höllschrei schließlich die Orcs befreit hatte, indem er den Dämon Mannoroth tötete, dessen Blut der Grund für diese Folter gewesen war.

Doch diese heroische Tat lag noch viele Jahre in der Zukunft, wie Thrall wusste. In diesem Zeitweg war Gul’dans Verrat noch frisch. Und jemand war gekommen, um Orgrim Schicksalshammer zu überreden, Gul’dan zu stürzen.

Schließlich erstarb das Gespräch. Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Und dann vernahm Thrall eine Stimme, von der er niemals geglaubt hätte, sie noch einmal zu hören. Sie war jünger, etwas höher, als Thrall sich erinnerte. Doch er erkannte sie sofort und ein Kloß bildete sich in seinem Hals.

„Ich glaube dir, alter Freund.“

Orgrim Schicksalshammer.

„Lass mich dir versichern, ich halte nichts von Gul’dans Plänen für unser Volk. Wir werden mit dir gegen die Finsternis stehen.“

Thrall fragte sich plötzlich: War er überhaupt schon geboren, als dieses Gespräch stattfand? Wer hatte den Schneid, um zu Schicksalshammer mit so einer...

Und dann wusste er es und das Wissen raubte ihm den Atem.

„Eine meiner persönlichen Wachen wird dich an einen sicheren Ort bringen. Ein Strom liegt in der Nähe und zu dieser Jahreszeit gibt es viel Wild in den Wäldern. Du solltest also nicht hungern müssen. Ich werde für dich tun, was ich kann, und wenn die Zeit reif ist, werden du und ich Seite an Seite stehen und wir töten den Verräter Gul’dan gemeinsam.“

Aber das war nicht geschehen. Stattdessen war...

Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen. Drei Orcs traten heraus. Einer war Schicksalshammer – jünger, fit, stark und stolz. In seinem Gesicht konnte Thrall bereits den älteren Orc erkennen, der er eines Tages sein würde. Doch obwohl er noch vor einem Moment geglaubt hatte, dass er sich danach verzehrte, Orgrims Gesicht wiederzusehen, stellte er fest, dass seine Augen sich auf die anderen beiden Orcs geheftet hatten.

Sie waren ein Paar und trugen Fellkleidung, die viel zu dick für dieses Klima war. Bei ihnen war ein großer weißer Wolf – ein Frostwolf, wie Thrall wusste. Sie gingen aufrecht und stolz, der Mann kräftig und kampferfahren, die Frau jeder Zoll eine Kriegerin wie ihr Mann.

Und auf ihren Armen trug sie ein Kind.

Thrall kannte das Kind.

Es war er selbst... und die Orcs, die dort vor ihm standen, waren seine Eltern.

Er starrte sie einfach an, Freude und Schock und Schrecken durchfuhren ihn.

„Kommt, Durotan, Draka“, sagte Grukar. „Thra’kash und ich werden euch sicher zu eurem Lager bringen.“

Das Baby weinte. Die Frau...

... Mutter...

... sah hinab auf das Kind. Ihre starken, stolzen orcischen Gesichtszüge wurden weich vor Liebe. Dann sah sie Thrall an. Ihre Blicke trafen sich.

„Deine Augen sind merkwürdig, Thra’kash“, sagte sie. „Ich habe so blaue Augen bislang nur bei meinem Kleinen hier gesehen.“

Thrall suchte nach Worten, doch Grukar sah ihn auf einmal so merkwürdig an. „Wir sollten uns beeilen“, sagte er. „Gewiss kann eine Diskussion über Augenfarben warten, bis ihr an Eurem neuen Aufenthaltsort in Sicherheit seid.“

Thrall war sich in seinem ganzen Leben noch nie so verloren vorgekommen. Er folgte still, während Grukar seine Eltern zu demselben Ort führte, wo er den Zeitweg verlassen hatte. Er dachte an die Auswirkungen.

Er konnte seine Eltern retten.

Er konnte sich selbst retten, damit er nicht gefangen genommen wurde und als Gladiator bei dem grausamen, doch erbärmlichen Aedelas Schwarzmoor aufwachsen musste. Er konnte bei dem Angriff auf Gul’dan helfen. Die Orcs vielleicht Jahrzehnte zuvor von der dämonischen Befleckung befreien, bevor Höllschrei es tat. Er konnte Taretha retten.