Er konnte sie alle retten.
Er hatte mit Orgrim Schicksalshammer über den Mord an seiner Familie gesprochen. Worte des Gesprächs fielen ihm wieder ein – vor langer Zeit, doch in dem Zeitweg immer noch in der Zukunft.
Hat mein Vater dich gefunden?, hatte Thrall gefragt.
Das hat er, hatte Orgrim geantwortet. Und meine größte Schande ist es, dass ich sie nicht bei mir behalten habe. Ich dachte, es wäre gut für meine beiden Krieger und Durotan. Sie kamen und brachten dich, junger Thrall, und berichteten mir von Gul’dans Verrat. Ich glaubte ihnen...
Er wusste, dass er das Paar anstarrte. Doch er konnte nicht aufhören, genauso wenig, wie er das Atmen einstellen konnte. Er hungerte nach diesem Anblick – einem Anblick, der ihm hätte gewährt werden sollen, als er aufwuchs. Ein Anblick, der ihm für immer genommen werden würde, wenn er das, was in Kürze stattfinden würde, nicht verhinderte.
Sie bemerkten es schließlich. Durotan schien neugierig, jedoch nicht feindselig zu sein und Draka war offensichtlich amüsiert.
„Du scheinst dich für uns zu interessieren, Fremder“, sagte sie. „Hast du denn nie zuvor einen Frostwolf gesehen? Oder fasziniert dich das blauäugige Baby?“
Thrall konnte keine Worte finden. Durotan ersparte ihm eine Antwort. Er hatte sich umgesehen und hielt den Ort für gut. Er war abgelegen und grün. Durotan wandte sich lächelnd an Draka. „Ich wusste, dass wir unserem alten Freund trauen können. Es wird nicht mehr lange dauern, bevor...“ Und dann brach Durotan mitten im Satz ab und erstarrte. Bevor Thrall begriff, was geschah, stieß der Häuptling des Frostwolfklans seinen Kriegsschrei aus und zog seine Axt.
Es geschah so schnell.
Es waren drei, jeder griff aus einer anderen Richtung an – einer Durotan, einer Draka und einer den Wolf, der vorwärts sprang, um seine Begleiter zu schützen.
Thrall schrie rau auf, langte nach dem Schicksalshammer und wollte seiner Familie helfen.
Eine starke Hand packte seinen Arm und zog fest daran. „Was machst du da?“, zischte die Wache. Und dann erkannte Thrall zwei Dinge auf einmal, als weitere Fetzen seines Gesprächs mit Schicksalshammer zurückkehrten.
Obwohl ich es nicht sicher weiß, bin ich davon überzeugt, dass die Wache, der ich Durotan anvertraut habe, stattdessen die Mörder rief, um sie zu töten.
Die Wache gehörte zu dem Angriff. Und er hatte angenommen, dass auch Thrall dazugehörte. Die zweite Sache, die Thrall erkannte, war schlimmer; Er konnte nicht aufhalten, was geschah – nicht, wenn er den wahren Zeitweg bewahren wollte.
Seine Eltern mussten sterben. Er musste von Schwarzmoor gefunden werden, musste im Kampf ausgebildet werden, wenn er sein Volk aus den Internierungslagem befreien wollte – wenn er die Welt, die er kannte, vor der Zerstörung retten wollte.
Er stoppte mitten in der Bewegung. Es war eine Qual. Jede Faser seines Wesens befahl ihm, zu kämpfen, die Mörder zu vernichten, seine Mutter zu retten und seinen Vater. Doch das durfte er nicht.
Draka hatte das Kind Thrall auf dem Boden abgelegt und kämpfte nun wie wild, um sowohl ihr Kind als auch sich selbst zu schützen. Sie warf Thrall einen Blick zu, erfüllt mit Wut, Verachtung und Hass. Er wusste, dass er diesen Stachel mit ins Grab nehmen würde. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kampf zu, stieß Flüche gegen den Orc aus, der sie angriff, und gegen Thrall für seinen Verrat. Nicht weit entfernt strömte Durotans Blut aus einem brutalen Schnitt an seinem Bein, während er gleichzeitig versuchte, seinen zukünftigen Mörder zu erdrosseln. Es erklang ein scharfes Heulen, das abrupt abbrach, als der Wolf fiel. Draka kämpfte weiter.
Und das Kind Thrall, das hilflos auf der Erde lag, während seine Eltern kämpften, jammerte vor Angst.
Krank vor Abscheu sah Thrall zu, unfähig, die Geschichte zu ändern, wie sein sterbender Vater mit neuer Stärke kämpfte und es schaffte, seinem Gegner den Hals zu brechen.
In diesem Moment wirbelte der Mörder, der den Wolf getötet hatte, zu Grukar herum. Der Verräter war so überrascht angesichts dieser Wendung der Ereignisse, dass er nicht mal daran dachte, seine Waffe zu ziehen.
„Nein!“, rief er, seine Stimme war hoch vor Schreck und Angst. „Nein, ich bin einer von euch, sie sind das Ziel...“
Ein riesiges zweihändiges Schwert schnitt durch Grukars Hals. Der abgetrennte Kopf flog weg, Blut sprühte über Thralls Kleidung. Jetzt wandte sich der Mörder Thrall zu.
Das war ein großer Fehler.
Das konnte Thrall zumindest tun: sich selbst verteidigen. Sein Tag würde kommen, sicher. Doch nicht heute. Thrall stieß einen Kriegsschrei aus und griff an. Er kanalisierte seine Trauer, legte Entsetzen und Wut in einen Angriff, der seinen Möchtegernmörder erschreckte. Doch der Mörder war immer noch ein Könner und er fing sich. Der Kampf fand auf engem Raum statt und war sehr heftig. Thrall schwang seine Arme, duckte sich, sprang zur Seite, trat zu. Der Mörder hackte, knurrte, stieß.
Seine Aufmerksamkeit war auf sein eigenes Überleben konzentriert. Thralls Herz schmerzte dennoch, als er Durotans Schrei beim Anblick von Drakas verstümmeltem Körper vernahm. Das Geräusch schwächte Thrall nicht. Stattdessen spürte er neue Energie in sich aufsteigen. Er griff entschlossener an, schob seinen nunmehr alarmierten Gegner zurück, bis der andere Orc taumelte und stürzte.
Augenblicklich war Thrall über ihm. Er hielt den Meuchelmörder am Boden mit einem Fuß fest und hob den Schicksalshammer. Er wollte mit der mächtigen Waffe zuschlagen, dem Orc den Schädel zerschmettern, doch er hielt inne. Er durfte den Zeitweg nicht ändern. Was, wenn diese böse Kreatur leben musste, aus irgendeinem Grund, den er nicht kannte?
Thrall knurrte und spie dem Orc ins Gesicht, dann sprang er von ihm herunter. Er trat auf das große Schwert, das der andere geführt hatte. „Geh“, sagte er. „Und lass mich niemals wieder dein Gesicht sehen. Hast du das verstanden?“
Der Meuchelmörder stellte sein Glück nicht infrage und lief weg.
Sobald er sicher war, dass er wirklich fort war, wandte sich Thrall seinen Eltern zu. Draka war tot. Ihr Körper war fast in Stücke zerhackt worden, ihr Gesicht erstarrt in einem verächtlichen Zähnefletschen. Thrall drehte sich zu seinem Vater um, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der dritte Mörder Durotan beide Arme abschlug. Damit nahm er ihm die Möglichkeit, seinen Sohn zu halten, bevor er starb. Thrall hatte viele Grausamkeiten gesehen. Doch dieser Schrecken ließ ihn an Ort und Stelle erstarren, unfähig, sich zu bewegen.
„Nimm... das Kind“, krächzte Durotan.
Der Mörder kniete sich neben ihn und sagte: „Wir lassen das Kind für die Waldtiere liegen. Vielleicht kannst du zusehen, wie sie es zerfetzen.“
Später konnte sich Thrall nicht mehr daran erinnern, wie er von dem einen Ende der kleinen Lichtung an das andere gekommen war. Das Nächste, was er wusste, war, dass er so laut schrie, dass seine Kehle schmerzte. Der Schicksalshammer war nur ein verschwommener Schemen. Der Mörder kämpfte ebenfalls, weil alles in ihm danach brannte, diesen Bastard in kleine Teile blutigen Schleims zu schlagen. Die Klarheit kam zu Thrall zurück, als er auf Händen kniete und schluchzte.
„Mein Kind“, flüsterte Durotan.
Er lebte noch!
Thrall kroch zu dem Kind und nahm es hoch. Er blickte in seine eigenen blauen Augen und berührte sein eigenes kleines Gesicht. Dann kniete er sich neben seinen Vater und rollte ihn auf den Rücken. Durotan grunzte vor Schmerz. Thrall legte das Kind, eingewickelt in Windeln, die das Abzeichen der Frostwölfe trug, auf Durotans Brust.
„Du hast keine Arme, um ihn zu halten , sagte Thrall und seine Stimme klang belegt, Tränen erfüllten seine eigenen blauen Augen wie die des Kindes, das weinte. „Und so lege ich ihn auf dein Herz.“
Durotan, das Gesicht vor Qualen verzerrt, die Thrall sich kaum vorstellen konnte, nickte. „Wer bist du? Du verrätst uns... du... lässt mich und meine Gefährtin sterben... und doch greifst du unsere Mörder an...“