Die meisten Menschen haben eine vage Vorstellung von der Grausamkeit der Massentierhaltung – die Käfige sind klein, die Schlachtmethoden brutal –, bestimmte weithin praktizierte Methoden sind jedoch nahezu unbekannt. Ich hatte nie davon gehört, dass man Geflügel Futter und Licht vorenthält. Und nachdem ich davon gehört hatte, wollte ich nie wieder ein Ei aus Massentierhaltung essen. Zum Glück gibt es freilaufende Hühner. Oder? (siehe: FREILAUFEND)
Futterverwertung
Aus reiner Notwendigkeit befassen sich Groß-und Kleinbetriebe mit dem Verhältnis von essbarer Fleischmenge, Anzahl der Eier oder Milchmenge, die ein Nutztier pro verzehrter Futtereinheit produziert. Was die Betreiber von Groß-und Kleinbetrieben allerdings unterscheidet, sind ihre Interessen – und die sehr unterschiedlichen Mittel, die sie zur Steigerung der Erträge einsetzen (siehe: FUTTER UND LICHT).
Gewohnheit, die Macht der
Mein Vater, der bei uns zu Hause fast ausschließlich kochte, hat uns früh mit exotischem Essen vertraut gemacht. Wir aßen Tofu, bevor irgendjemand Tofu kannte. Dabei war er nicht einmal von dem Geschmack begeistert, und die angeblichen gesundheitlichen Vorzüge interessierten ihn auch nicht. Er aß einfach gern Sachen, die sonst niemand aß. Und er begnügte sich auch nicht damit, unbekannte Lebensmittel auf herkömmliche Weise zuzubereiten. Nein, er machte »Portobello-Pilz-Finger«, »Falafel-Ragout« oder »Seitan-Rührei«.
Wichtiger Bestandteil dieser »Gänsefüßchen-Küche« war der Ersatz bestimmter Lebensmittel, der manchmal meine Mutter besänftigen sollte, indem eine offensichtlich unkoschere Zutat durch eine unauffällig unkoschere ausgetauscht wurde (Schinken ➝ Putenschinken) oder eine ungesunde gegen eine unauffällig ungesunde (Putenschinken ➝ Sojaschinken), oder der manchmal auch nur beweisen sollte, dass etwas möglich war (Weizenmehl ➝ Buchweizenmehl). Mit manchen seiner Ersatzlebensmittel schien er auch einfach der Natur den Mittelfinger zeigen zu wollen.
Als ich neulich meine Eltern besuchte, fand ich folgende Lebensmittel in ihrem Kühlschrank: vegetarische »Hühnchen«Bratlinge, – Nuggets und vegetarisches »Hühnchen«-Geschnetzeltes, vegetarische Würstchen und Schnitzel, vegetarische Margarine, vegetarischen Ei-Ersatz, vegetarische Burger und vegetarische Kielbasa. Wenn jemand ein Dutzend verschiedene Ersatzprodukte für tierische Lebensmittel im Kühlschrank hat, könnte man ihn für einen Veganer halten. Aber das wäre nicht bloß unzutreffend – mein Vater isst andauernd Fleisch –, sondern würde grundsätzlich an der Sache vorbeigehen. Mein Vater hat immer gegen den Strich gekocht. Seine Küche ist sowohl existenzialistisch als auch die eines Feinschmeckers.
Wir haben sie nie infrage gestellt, sie vielleicht sogar gemocht – auch wenn wir niemals Freunde zum Essen mitbrachten. Vielleicht hielten wir ihn sogar für einen tollen Koch. Aber wie bei den Kochkünsten meiner Großmutter war sein Essen nicht einfach Essen, sondern eine Geschichte: Wir hatten einen Vater, der einigermaßen risikofreudig war, der uns ermunterte, Neues auszuprobieren, bloß weil es neu war, der sich freute, wenn andere über seine irren Kochexperimente lachten, denn Lachen war für ihn wertvoller, als der Geschmack eines Gerichts jemals sein konnte.
Eins gab es bei seinen Mahlzeiten nie: Nachtisch. Ich habe 18 Jahre im Haus meiner Eltern gelebt und kann mich an kein einziges Familienessen erinnern, zu dem eine Süßspeise gehört hätte. Das hatte keine zahnmedizinischen Gründe. (Ich kann mich genauso wenig daran erinnern, zum Zähneputzen angehalten worden zu sein.) Mein Vater fand Nachspeisen einfach unnötig. Herzhafte Speisen hatten eindeutig einen größeren Wert, warum also Magenraum für Dessert vergeuden? Das Erstaunliche ist, dass wir ihm glaubten. Mein Geschmack – nicht nur meine Vorstellungen übers Essen, sondern auch meine vorbewussten Gelüste – ist von seinen Lektionen geprägt worden. Bis heute kenne ich niemanden sonst, der weniger erpicht auf Nachtisch ist als ich, ich würde eine Scheibe Schwarzbrot immer einem Stück Kuchen vorziehen.
Nach welchen Lektionen wird mein Sohn seine Gelüste ausprägen? Auch wenn mir die Lust auf Fleisch fast völlig vergangen ist – oft finde ich den Anblick roten Fleisches geradezu widerwärtig –, läuft mir im Sommer, wenn gegrillt wird, doch das Wasser im Mund zusammen. Was wird das bei meinem Sohn auslösen? Wird er zu den Ersten einer Generation gehören, die es nicht mehr nach Fleisch gelüstet, weil sie es nie probiert hat? Oder wird sein Verlangen danach deshalb umso stärker sein?
Grausamkeit
Nicht nur das absichtliche Verursachen von Leiden, sondern auch die Gleichgültigkeit ihm gegenüber. Grausam zu sein ist viel leichter, als man sich vorstellen kann.
Bei Darwin heißt es, dass die Natur, »an Klaue rot und Zahn«, grausam sei. Immer wieder bekam ich das von Viehzüchtern zu hören, die mich davon überzeugen wollten, dass sie ihre Tiere vor den außerhalb der Einzäunungen drohenden Gefahren beschützen würden. Die Natur ist kein Kindergeburtstag, das stimmt. (Aber Kindergeburtstage sind auch nicht immer einfach.) Und es stimmt auch, dass Tiere auf sehr guten Farmen oft ein besseres Leben haben als in der freien Wildbahn. Trotzdem ist die Natur nicht grausam. Ebenso wenig sind es die Tiere, die in der Natur töten und einander manchmal quälen. Grausamkeit hängt davon ab, was man unter Grausamkeit versteht und inwieweit man sich gegen sie zu entscheiden vermag. Oder sich entscheidet, sie zu ignorieren.
Instinkt
Die meisten von uns kennen die erstaunlichen Navigationsfähigkeiten von Zugvögeln, die über Kontinente hinweg zu ganz bestimmten Nistgründen zurückfinden. Als man mir das in der Schule beibrachte, wurde es mir mit »Instinkt« erklärt. (»Instinkt« ist immer noch die bevorzugte Erklärung, wenn tierisches Verhalten auf zu viel Intelligenz hinzudeuten scheint, siehe: INTELLIGENZ.) Instinkt könnte jedoch kaum erklären, wieso Tauben zur Navigation Verkehrswege der Menschen heranziehen. Tauben folgen großen Überlandstraßen und nehmen bestimmte Abzweigungen, um an ihr Ziel zu gelangen, wobei sie sich wahrscheinlich an die gleichen Orientierungspunkte halten wie die unter ihnen fahrenden Menschen.