KFC behauptet, »Wert auf das Wohlergehen und die humane Behandlung der Hühner« zu legen. Kann man diesen Worten trauen? In einem Schlachthof in West Virginia, der KFC beliefert, wurden Arbeiter dabei beobachtet, wie sie lebenden Tieren die Köpfe abrissen, ihnen Tabaksaft in die Augen spuckten, die Gesichter mit Farbe besprühten, brutal auf ihnen herumtrampelten. Solche Vergehen wurden dutzendfach bezeugt. Und dieser Schlachthof war kein »faules Ei«, sondern ein »Lieferant des Jahres«. Man stelle sich vor, was sonst geschieht, wenn gerade keiner hinschaut.
Auf der Webseite des Unternehmens steht: »Unsere Lieferanten werden streng kontrolliert, um sicherzugehen, dass sie die Tiere, die sie uns liefern, human behandeln und betreuen. Unser Ziel ist es, nur mit Lieferanten zusammenzuarbeiten, die versprechen, unsere hohen Standards zu erfüllen und unser Engagement für das Tierwohl zu teilen.« Das stimmt zur Hälfte. KFC arbeitet in der Tat mit Lieferanten zusammen, die versprechen, für das Wohl der Tiere zu sorgen. Was KFC aber nicht sagt: Jegliche Praktiken dieser Lieferanten gelten automatisch als dem Tierwohl entsprechend (siehe: CFE).
Eine ähnliche Halbwahrheit steckt in der Behauptung, KFC würde die Schlachthöfe seiner Zulieferer überprüfen. Was wiederum nicht gesagt wird: Es handelt sich um angekündigte Kontrollbesuche. KFC meldet die Inspektionen, die angeblich unerlaubtes Verhalten aufdecken sollen, weit im Voraus an, sodass die Inspizierten reichlich Zeit haben, alles, was vertuscht werden soll, zu verbergen. Und nicht nur das – die Standards, die bei diesen Kontrollen abgeprüft werden sollten, folgten nicht einer einzigen der Empfehlungen des KFC – eigenen Tierschutzrates – den inzwischen fünf Mitglieder frustriert verlassen haben. Eines von ihnen, Adele Douglass, berichtete dem Chicago Tribune, dass KFC »kein einziges Treffen mit uns hatte. Sie haben nie um irgendeinen Rat gefragt, und dann treten sie vor die Presse und behaupten, sie hätten einen Beraterstab für Tierschutz eingesetzt. Ich hatte das Gefühl, bloß als Feigenblatt zu dienen.« Ian Duncan, emeritierter Professor für Tierschutz an der University of Guelph, ebenfalls ehemaliges Mitglied des besagten Beraterstabs und einer der führenden Fachleute Nordamerikas für Vogelschutz, gab an, dass es »extrem zäh voranging, weshalb ich auch zurückgetreten bin. Immer wurde alles auf später verschoben. Sogar die Festlegung von Standards haben sie immer wieder vertagt … Ich habe den Verdacht, dass der Unternehmensleitung eigentlich nie etwas am Tierschutz lag.«
Und wie wurden die fünf zurückgetretenen Mitglieder des Beraterstabs ersetzt? Im Tierschutzrat von KFC sitzen nun ein Vizepräsident von Pilgrim’s Pride, dem Unternehmen, das den erwähnten »Lieferant des Jahres«-Schlachthof betreibt, wo Vögel so brutal misshandelt wurden; ein Aufsichtsratsmitglied von Tyson Foods, einem Konzern, der jährlich 2,2 Milliarden Hühner schlachtet und in dessen Betrieben ebenfalls Mitarbeiter lebende Tiere verstümmelten, wie zahlreiche Untersuchungen ergaben (in einem Fall urinierten die Mitarbeiter direkt auf die Schlachtbahn); und regelmäßig auch KFCs eigene »Vorstandsmitglieder und andere Angestellte«. KFC behauptet, die Berater würden Richtlinien für die Lieferanten erarbeiten, in Wirklichkeit aber sind die Lieferanten die Berater.
Wie der Name KFC bedeutet auch das Engagement des Unternehmens für den Tierschutz rein gar nichts.
Koscher?
Über die jüdischen Speisegesetze lernte ich in der Schule und zu Hause, dass sie als Kompromiss entstanden waren: Wenn wir Menschen schon unbedingt Tiere essen müssen, dann sollten wir es auf humane Weise tun, mit Respekt für die anderen Lebewesen auf der Welt und in Demut. Fügt den Tieren, die ihr esst, kein unnötiges Leid zu, weder im Leben noch beim Schlachten. Aufgrund dieser Denkweise war ich als Kind stolz, jüdisch zu sein, und ich bin immer noch stolz darauf.
Als ich auf einem Video sah, wie Rindern im größten koscheren Schlachthof der Welt, AgriProcessors in Postville, Iowa, regelmäßig bei vollem Bewusstsein Luft-und Speiseröhre aus den aufgeschlitzten Kehlen gerissen wurden, wie sie aufgrund schlampiger Schlachtung bis zu drei Minuten lang leiden mussten und ihnen Elektroschocker ins Gesicht gehalten wurden, nahm mich das viel stärker mit als die unzähligen Male, da ich von solchen Vorfällen in konventionellen Schlachthäusern gehört hatte.
Zu meiner Erleichterung sprach sich auch die jüdische Gemeinde lautstark gegen den Betrieb in Iowa aus. Der Vorsitzende der Rabbinerversammlung des Conservative Movement sandte folgende Botschaft an jeden seiner Rabbis: »Wenn ein Unternehmen, das sich als koscher bezeichnet, gegen das Verbot des tza’ar ba’alei hayyim [unnötigen tierischen Leids] verstößt, also einem von Gottes lebendigen Geschöpfen Schmerz zufügt, so muss sich dieses Unternehmen vor der jüdischen Gemeinde und letztlich vor Gott verantworten.« Der Inhaber des orthodoxen Talmud-Lehrstuhls an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, Dr. Chaim Milikowsky, protestierte ebenfalls, und das sehr wortgewandt: »Es ist sehr gut möglich, dass ein Schlachthof, der auf solche Weise Schechita [koscheres Schlachten] betreibt, sich einer Hillul Haschem, einer Entehrung des Namens Gottes, schuldig macht – denn zu behaupten, Gott sei nur an der Einhaltung der rituellen Gesetze und nicht der moralischen Gebote interessiert, heißt, seinen Namen zu entehren.« Und mehr als 50 einflussreiche Rabbis, darunter der Vorsitzende der liberalen Reform Conference of American Rabbis und der Dekan der konservativen Ziegler School of Rabbinic Studies, gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der es unmissverständlich heißt: »Die große Tradition des Judentums, Mitgefühl für Tiere zu lehren, ist durch diese systematischen Misshandlungen gebrochen worden und muss wiederhergestellt werden.«
Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Art von Grausamkeit, wie sie bei AgriProcessors dokumentiert wurde, aus der koscheren Lebensmittelindustrie verbannt worden ist. Solange auch dort Massentierhaltung vorherrscht, ist das gar nicht möglich.
Das wirft eine schwierige Frage auf, die ich nicht als Gedankenexperiment verstanden wissen, sondern ernsthaft stellen wilclass="underline" Ist es in unserer Welt – nicht der Hirte-und-Herde-Welt der Bibel, sondern unserer überbevölkerten Welt, in der Gesetz und Gesellschaft die Tiere als Ware behandeln – überhaupt möglich, Fleisch zu essen, ohne »einem von Gottes lebendigen Geschöpfen Schmerz zuzufügen«, ohne (selbst unter größter und wahrhaftiger Bemühung) »den Namen Gottes zu entehren«? Ist das Konzept »koscheres Fleisch« ein Widerspruch in sich geworden?
Leiden
Was ist Leiden? Die Frage setzt ein Subjekt voraus, das leidet. Selbst wer ernsthaft daran zweifelt, dass Tiere leiden, gesteht ihnen durchaus zu, dass sie auf einer bestimmten Ebene »Schmerzen empfinden«. Er spricht ihnen aber die Art des Seins ab – ein allgemeines mental-emotionales Erleben oder eine »Subjekthaftigkeit« –, die dieses Leiden unserem eigenen gleichsetzen und ihm damit eine Bedeutung zugestehen würde. Ich glaube, dieser Widerspruch deutet auf etwas hin, das für viele Menschen sehr real und lebendig ist, nämlich das Gefühl, dass das Leiden der Tiere einfach in eine andere Kategorie gehört und daher nicht so wichtig ist (wenn auch bedauerlich).
Wir alle haben ein starkes Gespür dafür, was Leiden bedeutet, aber das lässt sich sehr schwer in Worte fassen. Als Kinder lernen wir die Bedeutung des Leidens in der Interaktion mit anderen Lebewesen – mit Menschen, vor allem der eigenen Familie, und mit Tieren. Das Wort Leiden bedeutet immer das Gefühl einer gemeinsamen Erfahrung mit anderen – ein gemeinsames Drama. Es gibt natürlich speziell menschliche Arten des Leidens – ein unerfüllter Traum, die Erfahrung von Rassismus, körperliche Scham und so weiter –, aber ist deswegen das Leiden der Tiere »kein richtiges Leiden«?