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»Aber mal angenommen.«

»Dann bleibst du ganz still stehen«, riet mir C. »Ich glaube, was still steht, sehen sie gar nicht.«

Falls die Frage lautete: Ist bei C.s nächtlichen Besuchen je etwas schiefgegangen?, dann lautet die Antwort: ja. Einmal fiel sie in eine Dunggrube, unter jedem Arm ein sterbendes Kaninchen, und steckte plötzlich bis zum Hals (wörtlich) in der Scheiße (wörtlich). Einmal verbrachte sie die Nacht in tiefschwarzer Dunkelheit mit 20 000 jämmerlichen Tieren und ihren Ausdünstungen, weil sie sich versehentlich selbst eingeschlossen hatte. Und einmal fing sich einer ihrer Begleiter eine fast tödliche Campylobacter-Infektion ein, als er ein Huhn aufhob.

Auf der Windschutzscheibe sammelten sich Federn. Ich machte den Scheibenwischer an und fragte: »Was hast du denn da alles in der Tasche?«

»Falls wir eins retten müssen.«

Ich hatte zwar keine Ahnung, wovon sie sprach, aber es gefiel mir nicht.

»Also, du glaubst, Bullen sehen nichts, was still steht. Wäre es nicht besser, wenn man das wirklich sicher wüsste? Ich will jetzt nicht darauf herumreiten, aber …«

aber was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Ich bin kein Journalist, Aktivist, Tierarzt, Rechtsanwalt oder Philosoph – wie, soweit ich weiß, die meisten anderen, die solche Ausflüge machen. Ich habe keine Mission. Und ich kann nicht vor einem Bullen still stehen.

Wie geplant halten wir im knirschenden Kies an der ausgesuchten Stelle und warten darauf, dass unsere synchronisierten Uhren wie geplant auf drei Uhr vorrücken. Von dem Hund, den wir tagsüber gesehen hatten, ist nichts zu hören, was aber nicht wirklich beruhigend ist. Ich hole den Zettel aus meiner Tasche und lese ihn ein letztes Maclass="underline"

Wenn ein Tier eingesperrt ist und über einen Zeitraum von mehr als zwölf Stunden keine Nahrung und kein Wasser erhält, darf jedermann von Zeit zu Zeit, sooft es nötig erscheint, in den Stall oder Pferch eindringen, in dem das Tier gehalten wird, und ihm die benötigte Nahrung und Wasser bringen, solange das Tier dort verbleibt. Das Eindringen ist in diesem Fall nicht strafbar …

Das ist zwar das Gesetz, macht mir aber nicht wirklich Mut. Ich stelle mir vor, wie ein schwer bewaffneter Farmer, der gerade aus dem REM – Schlaf gerissen wurde, mir Hänfling gegenübersteht. Ich kenne mich mit Rucola und Rugelach aus und bin hier, um die Lebensbedingungen seiner Puten zu überprüfen. Er entsichert seine doppelläufige Flinte, mein Schließmuskel entspannt sich, und dann? Zücke ich das kalifornische Strafgesetz, Paragraf 597e? Juckt ihm der Finger am Abzug dann weniger?

Es ist so weit.

Wir verständigen uns mit einer Reihe theatralischer Handzeichen, dabei hätten wir ebenso gut einfach flüstern können. Aber wir haben ein Schweigegelübde abgelegt: kein Wort, bis wir wieder sicher auf dem Heimweg sind. Den latexumhüllten Zeigefinger kreisen lassen bedeutet: Los geht’s.

»Du zuerst«, platze ich heraus.

Und dann kommt der beängstigende Teil.

Ihre Bemühungen

Sehr geehrte Damen und Herren bei Tyson Foods,

ich möchte noch einmal auf meine Schreiben vom 10. Januar, 27. Februar, 15. März, 20. April, 15. Mai und 7. Juni zurückkommen. Ich bin, wie gesagt, Vater eines kleinen Sohnes und möchte so viel wie möglich über die Fleischindustrie wissen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, was ich meinem Sohn zu essen gebe. Da Tyson Foods der weltweit größte Hersteller und Vermarkter von Hühner-, Schweine-und Rindfleisch ist, liegt es nahe, als Erstes mit Ihnen in Kontakt zu treten. Ich würde gern einige Ihrer Farmen besichtigen und mit Vertretern der Firma über Ihre Betriebsführung und über Tier-und Umweltschutz sprechen. Wenn möglich, würde ich mich auch gern mit einigen Ihrer Farmer unterhalten. Zeitlich bin ich flexibel, auch kurzfristig, und nehme gegebenenfalls auch gern eine längere Anreise in Kauf.

Angesichts Ihrer »familienfreundlichen Philosophie« und Ihrer Werbekampagne »Das hat Ihre Familie verdient« gehe ich davon aus, dass Sie meinen Wunsch nachvollziehen können, mir selbst ein Bild davon zu machen, woher die Nahrung meines Sohnes kommt. Herzlichen Dank für Ihre Bemühungen,

mit freundlichen Grüßen

  Jonathan Safran Foer

Das ganze traurige Geschäft

WIR HABEN EIN PAAR HUNDERT METER von der Farm entfernt geparkt, weil C. auf einem Satellitenfoto gesehen hat, dass man von dort aus im Schutz eines Aprikosenhains zu den Ställen gelangen kann. Zweige streifen unsere Körper, während wir schweigend durch den Hain gehen. In Brooklyn ist es sechs Uhr morgens, das heißt, mein Sohn wird bald aufwachen. Er wird einige Minuten in seinem Bettchen herumwühlen und dann schreien, weil er sich an den Gitterstäben in den Stand gezogen hat und nicht weiß, wie er wieder hinunterkommen soll. Dann wird meine Frau ihn auf den Arm nehmen, sich mit ihm auf den Schaukelstuhl setzen und ihn stillen. Das alles hier – die Reise nach Kalifornien, diese Worte, die ich in New York tippe, die Farmen, die ich in Iowa, Kansas und Puget Sound besucht habe – würde mich viel weniger berühren, wenn ich nicht Vater, Sohn oder Enkel wäre. Wenn ich – wie niemand es je getan hat – allein essen würde.

Nach etwa 20 Minuten bleibt C. stehen und dreht sich um 90 Grad. Ich habe keine Ahnung, woher sie weiß, dass sie genau hier stehen bleiben muss, an einem Baum, der genauso aussieht wie die Hunderte, an denen wir schon vorbeigegangen sind. Wir gehen noch einige Schritte durch ein identisches Geflecht von Zweigen. Durch das letzte bisschen Blattwerk sehe ich, nur gut zehn Meter entfernt, einen Stacheldrahtzaun und dahinter die Farmgebäude.

Die Farm besteht aus sieben Ställen, jeweils etwa 15 Meter breit und 150 Meter lang, und darin befinden sich jeweils rund 25 000 Vögel – was ich in diesem Moment allerdings noch nicht weiß.

An die Ställe angrenzend ist ein riesiger Kornspeicher, der eher aussieht wie etwas aus Blade Runner als aus Unsere kleine Farm. Wie Spinnennetze überziehen Metallrohre die Gebäude von außen, riesige, rauschende Ventilatoren ragen aus ihnen hervor, und Flutlicht wirft sonderbare Lichtkleckse. Jeder hat ja ein Bild von einem Bauernhof im Kopf, bei den meisten gehören Felder, Scheunen, Traktoren und Tiere dazu oder zumindest eines dieser Dinge. Ich bezweifle, dass irgendjemand auf der Welt, der nicht mit Viehzucht zu tun hat, das Bild vor Augen hat, das ich jetzt sehe. Aber vor mir liegt die Art Farm, die 99 Prozent des in den USA konsumierten Fleischs produziert.

Mit ihren Astronautenhandschuhen hält C. den Stacheldraht so weit auseinander, dass ich hindurchschlüpfen kann. Meine Hose bleibt hängen und reißt, aber es ist sowieso eine Einweghose, die ich extra für diese Aktion gekauft habe. C. reicht mir die Handschuhe, und ich halte den Stacheldraht für sie auseinander.

Der Boden ist wie auf dem Mond. Bei jedem Schritt versinke ich in einem Matsch aus Tierkot, Schmutz und ich weiß nicht, was sonst noch um die Ställe herum verteilt wurde. Ich muss meine Zehen in die Schuhe krallen, damit sie nicht in dem klebrigen Schlamm stecken bleiben. Ich ducke mich, um so klein wie möglich zu sein, und drücke die Hände an die Hosentaschen, damit ihr Inhalt nicht klimpert. Schnell und leise huschen wir über die freie Fläche zwischen die Ställe, in deren Schutz wir uns freier bewegen können. Riesige Ventilatoren – vielleicht zehn Stück mit einem Durchmesser von je 1,20 Meter – gehen reihum an und aus.

Wir nähern uns dem ersten Stall. Unter der Tür dringt ein Lichtschimmer heraus. Das ist eine ebenso gute wie schlechte Nachricht: gut, weil wir unsere Taschenlampen nicht werden benutzen müssen, die, das hat C. mir gesagt, die Tiere erschrecken und schlimmstenfalls die ganze Schar in Aufruhr versetzen könnten; und schlecht, weil wir uns nicht verstecken können, sollte jemand die Tür aufmachen und nach dem Rechten sehen. Ich frage mich: Warum ist ein Stall voller Tiere mitten in der Nacht so hell erleuchtet?