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In den 1980er-Jahren hat die Fleischindustrie versucht, mit Tierschutzorganisationen ins Gespräch zu kommen, und ist damit auf die Nase gefallen. Also haben die Putenfarmer beschlossen, es bleiben zu lassen. Wir haben uns eingemauert, und das war’s. Wir reden nicht, und wir lassen niemanden auf die Farmen. Ein ganz normaler Vorgang. PETA will ja gar nicht über die Viehwirtschaft sprechen. Sie wollen sie abschaffen. Sie haben nicht die geringste Ahnung, wie die Welt funktioniert. Soweit ich weiß, spreche ich gerade mit dem Feind.

Ich glaube an das, was ich Ihnen sage. Und es ist wichtig, diese Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die in dem Gebrüll der Radikalen untergeht. Ich habe Sie zwar gebeten, meinen Namen nicht zu nennen, aber es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste. Nichts. Sie müssen einfach mal das Gesamtbild sehen. Und ich habe Chefs. Ich muss auch Essen auf den Tisch bringen.

Darf ich Ihnen etwas vorschlagen? Bevor Sie losziehen und so viel wie möglich sehen wollen, informieren Sie sich. Trauen Sie nicht Ihren Augen. Trauen Sie Ihrem Kopf. Lernen Sie etwas über Tiere, lernen Sie etwas über Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie, informieren Sie sich über die Geschichte. Fangen Sie vorn an.

4.

Das erste Huhn

Deine Nachkommen wird man als Gallus domesticus, Huhn, Hahn, Henne, Geflügel, »The Chicken of Tomorrow«, Masthuhn, Legehenne, Mr. McDonald und mit vielen anderen Namen bezeichnen. Jeder Name erzählt eine Geschichte, aber noch sind keine Geschichten erzählt und keine Namen vergeben, weder für dich noch für andere Tiere.

Wie alle Tiere in dieser Zeit vor dem Anfang pflanzt du dich entsprechend deinen eigenen Bedürfnissen und Instinkten fort. Du wirst weder gefüttert noch zur Arbeit gezwungen, noch beschützt. Du bist nicht mit Brandzeichen oder Etiketten als jemandes Besitz gekennzeichnet. Niemand hat je daran gedacht, dass du etwas bist, das man besitzen könnte.

Als wild lebender Hahn überwachst du die Landschaft, warnst andere mit komplizierten Schreien vor Eindringlingen und verteidigst deine Weibchen mit Schnabel und scharfen Krallen. Als wild lebende Henne kommunizierst du schon mit deinen Kindern, bevor sie schlüpfen. Wenn sie piepsen, weil ihnen etwas wehtut, verlagerst du das Gewicht. Das Bild deines mütterlichen Schutzes und deiner Sorge wird im zweiten Vers der hebräischen Genesis angeführt, um zu beschreiben, wie Gottes erster Atem auf dem ersten Wasser schwebt. Jesus wird dich als Bild für die beschützende Liebe verwenden: »Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel.« Aber die Genesis ist noch nicht geschrieben und Jesus ist noch nicht geboren.

Der erste Mensch

ALLES, WAS DU ISST, hast du selbst gefunden. Normalerweise lebst du nicht mit den Tieren zusammen, die du tötest. Du teilst dir nicht das Land mit ihnen oder wetteiferst mit ihnen darum, sondern du musst losziehen, um sie zu suchen. Wenn du das tust, tötest du normalerweise Tiere, die du nicht als Individuen kennst, außer in der kurzen Zeit der eigentlichen Jagd, und du siehst die Tiere, die du jagst, gewissermaßen als ebenbürtig an. Nicht in jeder Hinsicht (natürlich), aber die Tiere, die du kennst, haben Stärken: Sie haben Fähigkeiten, die den Menschen fehlen, sie können gefährlich sein, können Leben zur Welt bringen, sie sind nicht egal. Für deine Rituale und Traditionen benutzt du Tiere. Du zeichnest sie in den Sand, in die Erde und auf Höhlenwände – nicht nur Tierfiguren, sondern auch Zwitterwesen mit menschlichen und tierischen Anteilen. Tiere sind, was du bist und nicht bist. Du hast eine komplexe Beziehung zu ihnen, in gewissem Sinne eine gleichberechtigte. Das wird sich ändern.

Das erste Problem

ES IST DAS JAHR 8000 VOR CHRISTUS. Das Huhn, einst ein wilder Dschungelvogel, ist domestiziert, ebenso wie Ziegen und Kühe. Das bedeutet eine neue Art der Vertrautheit mit dem Menschen – neue Arten der Fürsorge und neue Arten der Gewalt.

Ein gängiger Denkansatz beschreibt die Domestizierung als gemeinsamen Entwicklungsprozess von Menschen und anderen Arten. Im Wesentlichen geht es darum, dass der Mensch einen Handel mit den Tieren, die wir Hühner, Kühe, Schweine und so weiter nannten, geschlossen hat: Wir beschützen euch, sorgen für eure Nahrung et cetera, und dafür nutzen wir eure Arbeitskraft, nehmen euch Milch und Eier weg, und irgendwann werdet ihr geschlachtet und verzehrt. Das Leben in der Wildnis ist auch kein Kindergeburtstag, sagt diese Logik – die Natur ist grausam –, da ist das doch ein guter Deal. Und die Tiere haben auf ihre Weise eingewilligt. Michael Pollan schreibt in The Omnivore’s Dilemma [Das Dilemma der Allesesser]:

Domestizierung ist eher eine evolutionäre als eine politische Entwicklung. Sie ist jedenfalls kein System, das die Menschen den Tieren vor zigtausend Jahren aufgezwungen hätten. Es kam vielmehr zur Domestizierung, als eine Handvoll besonders opportunistischer Arten nach dem Darwin’schen Prinzip Versuch und Irrtum herausfand, dass sie bessere Überlebenschancen hatten, wenn sie einen Bund mit dem Menschen eingingen. Der Mensch versorgte das Tier mit Nahrung und Schutz, und im Austausch dafür versorgten die Tiere den Menschen mit Milch, Eiern und, ja, ihrem Fleisch … Aus dem Blickwinkel der Tiere war der Handel mit dem Menschen ein großer Erfolg, zumindest bis zu unserer Zeit.

Das ist die postdarwinistische Version des alten Mythos von der Einwilligung der Tiere. Sie wird gern von Viehzüchtern angeführt, um die Grausamkeiten zu verteidigen, die zu ihrem Beruf gehören, und taucht auch in den Curricula von Landwirtschafts-schulen auf. Die Geschichte wird gestützt von der Vorstellung, dass die Interessen der Art der des Individuums oft entgegenstehen; aber wenn es die Art nicht gäbe, gäbe es auch keine Individuen. Würde die Menschheit vegetarisch leben, würde es keine Nutztiere mehr geben (was nicht ganz stimmt, denn es gibt jede Menge Hühner-und Schweinerassen, die nur der Dekoration dienen oder zur Gesellschaft gehalten werden, weitere würde man halten, um Felder zu düngen). Die Tiere wollen also, dass wir sie uns halten. Es ist ihnen lieber so. Einige Rancher haben mir erzählt, sie hätten einmal vergessen, die Tore zu schließen, und kein Tier sei weggelaufen.

Im alten Griechenland wurde der Mythos von der Einwilligung beim Orakel von Delphi eingesetzt: Man spritzte den Tieren vor dem Schlachten Wasser auf den Kopf, und wenn die Tiere das Wasser abschüttelten, indem sie mit dem Kopf nickten, interpretierte das Orakel dies als Einwilligung des Tiers zur Schlachtung und sagte: »Was zustimmend nickt … sage ich, darfst du mit Recht opfern.« Eine traditionelle Formel bei den russischen Jakuten lautet: »Du bist zu mir gekommen, o Bär, du möchtest, dass ich dich töte.« In der alten israelitischen Tradition muss die rote Kuh, die für Israels Sühne geopfert wird, bereitwillig zum Altar gehen, sonst ist das Ritual unwirksam. Den Mythos der Einwilligung gibt es in vielen Versionen, aber alle implizieren einen »fairen Deal« und zumindest metaphorisch eine Komplizenschaft der Tiere bei ihrer Domestizierung und Schlachtung.

Der Mythos vom Mythos

ARTEN TREFFEN ABER KEINE ENTSCHEIDUNGEN, das tun nur Individuen. Und selbst wenn Arten es irgendwie könnten, wäre kaum davon auszugehen, dass sie Kontinuität über das Wohlergehen des Einzelnen stellen würden. Mit dieser Logik müsste man auch Menschen versklaven dürfen, wenn ihre Existenz sonst gefährdet wäre. (Das Motto für unsere Nutztiere ist nicht Freiheit oder Tod, sondern Stirb in Sklaverei, aber lebe.) Es ist offensichtlich, dass die meisten Tiere, auch einzelne, nicht in der Lage sind, einen solchen Handel zu verstehen. Hühner können vieles, aber sie können keine ausgeklügelten Vereinbarungen mit Menschen treffen.