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Abgesehen davon könnten diese Einwände am Kern der Sache vorbeigehen. Denn wie auch immer es nun war, die meisten Menschen haben eine Vorstellung davon, wie eine faire und eine unfaire Behandlung beispielsweise ihrer Hunde oder Katzen aussieht. Und wir können uns Formen der Tierhaltung vorstellen, in die die Tiere, rein theoretisch, »einwilligen« könnten. (Es wäre immerhin denkbar, dass ein Hund, der jahrelang gute Nahrung bekommen würde, jede Menge Zeit im Freien mit anderen Hunden verbringen dürfte und so viel Platz hätte, wie er will, und der sich der Härten des Lebens in freier Wildbahn bewusst wäre, sich bereit erklären würde, dafür am Ende gefressen zu werden.)

Solche Dinge können wir uns vorstellen und tun es auch, das haben wir schon immer getan. Dass die Mär von der Einwilligung der Tiere es bis in unsere Zeit hinein geschafft hat, deutet darauf hin, dass dem Menschen bewusst ist, worum es geht. Und dass er den Wunsch hat, das Richtige zu tun.

Es überrascht nicht, dass die meisten Menschen im Laufe der Geschichte das Essen von Tieren als alltäglich akzeptiert haben. Fleisch macht satt und riecht gut und schmeckt den meisten. (Es überrascht ebenso wenig, dass nahezu in der gesamten Menschheitsgeschichte immer einige Menschen andere als Sklaven gehalten haben.) Aber die Menschen haben, soweit es überliefert ist, auch von Anfang an ihr ambivalentes Verhältnis zu der Gewalt und dem Töten zum Ausdruck gebracht, das mit dem Essen von Tieren einhergeht. Deswegen haben wir Geschichten erzählt.

Das erste Vergessen

WIR SEHEN HEUTE SO SELTEN NUTZTIERE, dass es sehr einfach ist, das alles zu vergessen. Die Generationen vor uns waren viel vertrauter mit den Charakteren ihrer Tiere und der Gewalt, die ihnen angetan wurde. Sie wussten noch, dass Schweine verspielt, klug und neugierig sind (wir würden sagen: »wie Hunde«) und dass sie ein kompliziertes Sozialverhalten haben (wir würden sagen: »wie Primaten«). Sie wussten noch, wie ein Schwein in einem Käfig aussieht und sich verhält, ebenso wie sie den kleinkindartigen Schrei kannten, den ein Schwein ausstößt, wenn es kastriert oder geschlachtet wird.

Weniger Kontakt zu Tieren zu haben macht es einfacher, die Frage beiseite zu schieben, inwiefern wir Einfluss auf ihre Behandlung haben. Das Problem mit dem Fleisch ist ein abstraktes geworden: Es gibt kein einzelnes Tier mehr, keinen einzelnen freudigen oder gequälten Blick, keinen wedelnden Schwanz und keinen Schrei. Die Philosophin Elaine Scarry sagt, dass »Schönheit immer im Detail liegt«. Grausamkeit hingegen bevorzugt die Abstraktion.

Manch einer versucht, dieses Problem zu lösen, indem er selbst jagen geht oder ein Tier schlachtet, als würde eine solche Erfahrung das Verlangen nach Fleisch irgendwie legitimieren. Das ist aber Unsinn. Jemanden zu ermorden, würde eindeutig beweisen, dass man in der Lage ist zu töten, aber es ist nicht gerade der sinnvollste Weg, um herauszubekommen, ob man das wirklich tun sollte. Ein Tier zu töten dient meistens dazu, das Problem zu verdrängen, während man so tut, als wolle man es sich bewusst machen. Das ist vielleicht noch schlimmer als Unwissenheit. Es ist immer möglich, jemanden aus dem Schlaf zu wecken, aber kein Lärm der Welt kann jemanden wecken, der nur so tut, als würde er schlafen.

Die erste Tierethik

ES WAR EINMAL EINE vorherrschende ethische Haltung gegenüber domestizierten Tieren, die in den Erfordernissen der Tierhaltung wurzelte und auf das grundsätzliche Problem reagierte, dass ein Leben sich von einem anderen fühlenden Leben ernährt. Sie lautete (natürlich) nicht iss das nicht, aber auch nicht iss unbesorgt, sondern: iss nicht unbesorgt.

Dass man zunächst einmal für die Tiere sorgen musste, hing nicht unbedingt mit einer geltenden Moralvorstellung zusammen. Die brauchte es gar nicht, denn diese Ethik beruhte auf den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Nutztierhaltung. Es lag in der Natur des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier, dass der Mensch für das Tier sorgte; er kümmerte sich um Nahrung und eine gewisse Sicherheit für seine Herde. Für seine Tiere zu sorgen war ein einigermaßen gutes Geschäft. Aber die Tiere zahlten auch einen Preis dafür, dass sie Schäferhunde und sauberes Wasser bekamen: Kastration, schwere Arbeit, sie wurden zur Ader gelassen, oder ihnen wurde bei lebendigem Leib Fleisch herausgeschnitten, sie wurden gebrandmarkt, als Jungtiere ihren Müttern weggenommen, geschlachtet – all das war ebenfalls ein gutes Geschäft. Die Tiere bekamen Polizeischutz, und im Austausch dafür wurden sie ihren Polizisten geopfert: Schutz gegen Dienst.

Die Iss-nicht-unbesorgt-Ethik hat sich im Laufe der Jahrtausende immer weiterentwickelt und in unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen ethischen Vorstellungen geführt: In Indien wurde das Essen von Kühen verboten, im Islam und im Judentum herrscht das Gebot der schnellen Schlachtung, in der russischen Tundra behaupteten die Jakuten, die Tiere wollten geschlachtet werden. Aber diese Ethik hielt sich nicht.

Die Iss-nicht-unbesorgt-Ethik ist nicht im Laufe der Zeit obsolet geworden, sondern sie ist plötzlich gestorben. Beziehungsweise sie wurde getötet.

Der erste Fließbandarbeiter

IN DEN 1820ER- UND 1830ER-JAHREN wurde in den ersten Fleischverarbeitungsbetrieben (vulgo: Schlachthöfen) zuerst in Cincinnati und dann in Chicago das Fachwissen der Schlachter durch Arbeiterkolonnen ersetzt. Sie verrichteten an einer Schlachtstraße eine koordinierte Abfolge von Arbeitsschritten, die Verstand, Muskeln und Gelenke gleichermaßen taub machte. Anhängen, stechen und entbluten, Kopf absetzen, Schwanz abtrennen, Füße abtrennen, Haut abziehen, ausweiden und das ganze Tier spalten (unter anderem). Nach seiner eigenen Aussage hat die Effizienz dieses Vorgehens Henry Ford dazu inspiriert, das Modell auf die Automobilindustrie zu übertragen, was zu einer Revolution der Produktionsmethoden führte. (Ein Auto zusammenzusetzen ist dasselbe, wie ein Rind auseinanderzunehmen, nur umgekehrt.)

Der Druck, das Schlachten und Verarbeiten immer effizienter zu gestalten, ging teilweise mit den Fortschritten im Eisenbahnverkehr einher, beispielsweise mit der Erfindung des Kühlwagens 1879, mit dem es möglich war, immer größere Mengen Rindfleisch über immer weitere Strecken zu transportieren.

Heute ist es nicht ungewöhnlich, dass Fleisch um die halbe Welt reist, bis es im Supermarkt landet. Die durchschnittliche Entfernung, die unser Fleisch zurücklegt, liegt bei etwa 2500 Kilometern. Als würde ich zum Mittagessen von Brooklyn zum Texas Panhandle fahren.

1908 wurden für diese Art der Arbeitsteilung Förderbänder eingeführt und gestatteten es eher den Aufsehern als den Arbeitern, das Arbeitstempo vorzugeben. Mehr als 80 Jahre lang wurde das Tempo immer weiter gesteigert – in vielen Fällen hat es sich verdoppelt oder sogar verdreifacht –, was erwartungsgemäß dazu führte, dass es bei immer mehr Schlachtungen zu Fehlern kam und entsprechend viele Arbeitsunfälle passierten.

Trotz dieser Entwicklungen in der Verarbeitung wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tiere auf Farmen und Ranches zum größten Teil auf dieselbe Weise wie immer gehalten – so, wie die meisten Menschen es sich weiterhin vorstellen. Die Farmer waren noch nicht auf die Idee gekommen, lebende Tiere wie tote zu behandeln.